Werfen wir zunächst noch einen kurzen Blick zurück auf 2023, das über weite Strecken hüben wie drüben von massiven Zinsanhebungen der Fed und der EZB geprägt war, gefolgt von einer Börsen-Rallye zum Jahresende. Wie hat sich dieser doch ungewöhnliche Verlauf auf die Geschäftsentwicklung von BNP Paribas Asset Management ausgewirkt?
Schremmer: Es war in der Tat ein spannendes Jahr und es gab einige Paradigmenwechsel. Sie haben die Zinsen angesprochen, aber genauso war die Rallye der „Magnificent 7“ außergewöhnlich und der breite Marktkonsensus erwartete eine Rezession, die dann ausblieb. Für uns war 2023 gekennzeichnet durch sehr intensive Kundeninteraktion und erneut starkes Wachstum. Vor dem Hintergrund der Makro-Unsicherheit standen in vielen Gesprächen die Risikoabsicherung und Wertsicherungsstrategien im Vordergrund. Bei institutionellen und Unternehmenskunden war zudem das Thema Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen sehr zentral, was infolge der gestiegenen Zinsen eine großartige Opportunität darstellt.
Im Wholesale-Bereich und bei Privatanlegern herrschte aus Sorge vor einer möglichen Rezession vielfach Zurückhaltung gegenüber Risiko-Assets. Aktieninvestments waren vielfach unterallokiert, insbesondere brach nach guten Jahren zuvor die Nachfrage nach thematischen Aktieninvestments ab – Technologiefonds ausgenommen. In diesem Zusammenhang sei auch das negativere Sentiment gegenüber nachhaltigen Investments erwähnt, deren Erfolge angesichts finanzieller Sorgen, hoher regulatorischer Auflagen und mangelndem Kundenverständnis leider hinter den Erwartungen blieben. Das Hauptaugenmerk galt stattdessen der Zinsseite. Starke Zuflüsse in Fixed Income kamen sowohl aus dem institutionellen als auch aus dem Wholesale-Bereich. Uns bei BNP Paribas Asset Management hat das klar in die Karten gespielt.
Zum einen konnten wir erneut enorme Zuflüsse in unserem starken Money Market Geschäft verzeichnen. Mit mittlerweile 110 Milliarden Euro in Geldmarktfonds sind ein führender Anbieter in Europa. Zum anderen hat sich auch das langfristige Zinsgeschäft sehr stark entwickelt. Gerade bei Euro-Unternehmensanleihen und im Euro-High-Yield-Bereich konnten wir in Deutschland einige sehr große Mandate gewinnen.
Schauen wir auf dieses Jahr. Welche Fonds und Produkte stehen bislang im Fokus der Anleger?
Schremmer: „More of the same“, die Rallye ist sicherlich da, aber viele Anleger bleiben skeptisch. Einen breiten Shift zu Aktien sehen wir noch nicht. Fixed-Income ist nach wie vor die Assetklasse, bei der wir die stärkste Nachfrage erleben, gerade bei Asset Allokatoren und weiterhin im Pensionsbereich. Innerhalb der Zinsseite sehen wir wachsendes Interesse an Spezialthemen. Structured-Credit zum Beispiel ist etwas, was in diesem Jahr gut läuft. Bei aktiven Fonds sehen wir vorsichtige Vorstöße in den Bereich der Nebenwerte in Europa, aber auch in die USA. Und bestimmte thematische Fonds-Klassiker wie BNP Paribas Aqua und BNP Paribas Disruptive Technology gehen selbstverständlich immer angesichts der dahinterstehenden weltumspannenden Investmentideen.
Ein Thema, das letztes Jahr stark diskutiert, aber in das weniger investiert wurde, war der Alternative-Bereich. Hier sehen wir dieses Jahr insbesondere bei Infrastruktur-Investments eine deutliche Belebung. Gerade der Bereich Infrastruktur Debt sollte 2024 sehr gut laufen, zumal die Erträge für Junior-Tranchen teilweise fast attraktiver sind als auf der Aktien-Seite. Selbst klassische Infra-Equity-Investoren schauen sich jetzt die Debt-Seite an.
Stichwort ESG. Wie hat sich das Segment in Ihrem Haus entwickelt?
Schremmer: Nachhaltigkeit ist für uns eine zentrale Überzeugung und fest verankert in Investmentprozessen und Produkten. Über 90 Prozent unserer Publikumsfonds sind kategorisiert in Artikel-8- oder Artikel-9. Bereits 2019 haben wir unsere Global-Sustainability-Strategie publiziert und unsere Überzeugungen und vor allem unser Vorgehen transparent gemacht. Ende 2023 haben wir diese Strategie aktualisiert und unseren Fokus für die kommenden Jahre transparent gemacht, wie wir unsere gesamte Nachhaltigkeitsstrategie in die einzelnen Investmentprozesse einbringen. Das zieht sich als roter Faden durch alle Assetklassen.
Bei unseren Publikumsfonds haben wir weiterhin ein starkes Standbein im Bereich der nachhaltigen Themenfonds, also beispielhaft Themen wie Wasser, Smart Food, Circular Economy, Biodiversity oder Energy Transition. Nachdem die letzten 1-2 Jahre nahezu ausschließlich durch eine enorme Outperformance der dominierenden Tech-Unternehmen gekennzeichnet waren, warten wir darauf, dass auch die nachhaltigen Sektoren wieder in das Augenmerk der Anleger kommen. Gerade das Thema Renewable Energy, welches 2020 bis 2021 eine extreme Aufmerksamkeit erlebte, ist im Umfeld der restriktiven Zinspolitik bei Investoren in Ungnade gefallen. Sobald die Zinsen wieder fallen und gerade die jungen Firmen dann erneut wachsen können, wird es sicherlich wieder einen Favoritenwechsel auch in Richtung der Themenfonds geben. Die säkularen nachhaltigen Langfristthemen wie Energiewende oder Biodiversität werden dann vermutlich auch wieder den Fokus erhalten, den sie aufgrund der Dringlichkeit verdienen.
Kommen wir zum Thema Künstliche Intelligenz (KI), das derzeit heiß diskutiert wird. Welche Bedeutung hat KI für Ihr Haus?
Schremmer: In der BNP Paribas Gruppe werden jede Menge Initiativen vorangetrieben und auch zwischen den Geschäftseinheiten eng abgestimmt, um Synergien zu realisieren. Für das Asset Management allein haben wir 110 Projekte identifiziert, von denen wir mittlerweile sieben oder acht live geschaltet haben. Etliche weitere Initiativen sind im Teststadium. Die Anwendungsfälle sind so breit, wie man es sich vorstellen kann. Ich glaube, die ersten Implementierungsfelder von KI sind im Kontext effizienter Prozesse zu sehen, also für Themen wie Performance-Reporting. Aber auch im Portfoliomanagement gibt es Anwendungsfälle. Wir haben seit Jahren ein starkes Quant-Research-Team aufgebaut, unsere Quantitative-of-Research-Group (QRG). Hier arbeiten die Experten schon seit einiger Zeit mit Large-Language-Modellen, mit der Zielsetzung, frühzeitige aussagekräftige Investment-Signale zu identifizieren. Wir nutzen das unterstützend, und geben diese Signale unseren Portfolio-Managern als weiteres Instrument an die Hand und lassen nicht alles nur noch über den Computer laufen. Diese Signalgeberfunktion nimmt jetzt aber noch einmal Fahrt auf. Im ESG-Kontext arbeiten wir teilweise mit Fintechs zusammen, die KI für die Analyse von Unternehmensdaten einsetzen. Die Ergebnisse nutzen wir für unsere Bewertungsmodelle, aber auch für das ESG-Reporting. Ein anderes Start-up, mit dem wir zusammenarbeiten, hat sich auf die Auswertung von Satellitenbildern konzentriert, was auch teilweise als Signalgeber für die Analyse von Customer-Traffic oder für die Analyse von Emissionen genutzt wird. KI steckt sicherlich noch in den Kinderschuhen und wir werden in den nächsten Jahren noch große Entwicklungen sehen – es wäre naiv zu glauben, dass es irgendeinen Job gibt, der davon nicht betroffen sein wird.
Bietet KI auch für die Erzielung von Alpha Chancen?
Schremmer: Bei den Quant-Modellen haben wir Variationen von KI seit Jahren bereits im Einsatz, was die Risikoseite betrifft, um die Portfolios zu optimieren. Dies ist eine dynamische Entwicklung und wird kontinuierlich weiterentwickelt, zum Beispiel durch die Ergänzung des bereits angesprochenen Signaling. Für eine gewisse Zeit lässt sich ein Alpha generieren, welches dann aber zum Marktstandard wird.
Wettbewerber sprechen von einem Plus von zwei bis drei Prozent, die langfristig zu erreichen sind.
Schremmer: Temporär glaube ich da gerne dran, nur halte ich es für nahezu ausgeschlossen, dass Sie irgendeinen technologischen Fortschritt auf Dauer im Markt behalten können, weil es immer eine Konvergenz zur letzten Technologie oder zum neuen Marktgleichgewicht geben wird. Märkte tendieren zur Effizienz. Durch KI kontinuierlich besser zu sein als ein Markt, der irgendwann einmal von Computern noch stärker bestimmt ist als heute, soweit würde ich nicht gehen.
Ein weiteres Thema, das derzeit stark diskutiert wird, ist ELTIF. Ein Thema auch für Ihr Haus?
Schremmer: In der Tat. Die gesamte Investmentindustrie hofft, eine Assetklasse gefunden zu haben, die noch unterrepräsentiert ist. Für mich ist ELTIF 2 in erster Linie eine effiziente Verpackungsform, um damit alternative Investments für breitere Investorengruppen und auch für hoffentlich langfristige Anleger erschließen zu können. Allerdings, nur weil es eine neue Verpackung gibt, werden die Anlegergelder nicht mehr, und der Wettbewerb nicht weniger. Bei BNP Paribas AM beobachten wir die Entwicklungen genau. Wir nutzen ELTIFs bereits heute als effiziente Verpackung vor allem für unsere institutionellen Investoren. Aber auch für Privatanleger werden wir dieses Jahr ELTIF 2 Fonds auflegen. Insbesondere in den Märkten mit eigenem Filialnetz wie Belgien oder Frankreich, sehen wir im ersten Schritt starke Nachfrage. Insofern sind wir offen bei entsprechendem Bedarf auch im deutschen Markt ELTIF 2 Vertriebspartnern anzubieten. Wichtig ist mir aber, wir werden dies nicht aus Selbstzweck tun, um auch „dabei zu sein“. ELTIF 2 hat für mich den Sinn einer effizienten Verpackung, um ein heute noch exklusives Sachwertinvestment kosteneffizient, prozesseffizient und dann letztlich auch beratungseffizient breiten Investorengruppen anbieten zu können. Noch gibt es aber praktische Fragestellungen in Bezug auf die Abwicklung: Wie landet das Produkt in den Kundenportfolios? Wie werden die entsprechende Preise ausgewiesen? Wie wird mögliche Liquidität gewährleistet. Da muss sich im deutschen Markt noch ein Standard entwickeln.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.