Das BIP-Wachstum in der Eurozone fiel im 2. Quartal um ein Zehntel auf immer noch starke 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal – denn das schwache Ergebnis des deutschen BIP wurde durch starke Zahlen aus Italien, Spanien und Frankreich wieder wettgemacht. Allerdings hat sich in der Zwischenzeit das Inflationsbild weiter verschlechtert, was die EZB in ein akutes politisches Dilemma versetzt.
Lewis Grant, Senior Global Equities Portfolio Manager:
„Nachdem die Aktienmärkte in der ersten Hälfte des Jahres 2022 mit einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und einer anhaltend hohen Inflation zu kämpfen hatten, haben sie nun begonnen, sich zu erholen. Es ist noch zu früh, um mit Zuversicht zu behaupten, dass die Inflation unter Kontrolle ist. Denn in der Tat gibt es nach wie vor Engpässe in den Lieferketten, und Russlands Krieg in der Ukraine entzieht sich eindeutig der Kontrolle der Zentralbanken – aber es gibt erste Anzeichen dafür, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben könnte. Angesichts der sinkenden Rohstoffpreise richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Wohnkosten und die Lohnsteigerungen, um die neue Normalität der Inflation zu ermitteln: Die Zeiten, in denen die Zentralbanken um ein Inflationsziel von 2 Prozent kämpften, scheinen nun weit entfernt zu sein. Und die Inflation könnte sich auf einem Niveau einpendeln, das zu Beginn des Jahres kaum vorstellbar war. Diese Entwicklung wirft einen schweren Schatten auf die Aktienmärkte, trotz der jüngsten Anzeichen dafür, dass sich das Tempo der Zinserhöhungen in den USA verlangsamen wird.
Wir sind nach wie vor optimistisch, dass sich die derzeitige Rally zu einem längerfristigen Bullenmarkt entwickeln wird. Wir sind uns aber bewusst, dass die geopolitischen Risiken nach wie vor hoch sind und es zu früh ist, die Möglichkeit einer Bärenmarktrally auszuschließen. Die Risikobereitschaft der Anleger ist nach wie vor unbeständig. Es ist klar, dass sich der Markt von den zyklischsten Value-Titeln abgewandt hat und sich auf wachstumsstärkere Titel konzentriert – insbesondere auf solche, die ein überdurchschnittliches Ertragswachstum aufweisen.“
James Rutherford, Leiter für europäische Aktien:
„Ein Trend, den wir in dieser Berichtssaison beobachten konnten, ist die hohe Anzahl von Unternehmen, die einen starken Anstieg ihrer Auftragseingänge melden. In vielen Fällen war dies eher auf starke Preiserhöhungen aufgrund des inflationären Umfelds als auf ein Volumenwachstum zurückzuführen. Daher kann ein hoher Auftragsbestand für sich genommen irreführend sein und den Eindruck erwecken, dass die Nachfrageaussichten für die Unternehmen besser sind, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Die Anleger müssen sich dessen bewusst sein und von den Unternehmensführungen ein besseres Abbild bezüglich Preisgestaltung und Volumen einfordern. Es wird immer deutlicher, dass Unternehmen, die ein Mengenwachstum erzielen, durch höhere Bewertungsmultiplikatoren auf dem Markt belohnt werden. Unternehmen, deren Erträge in erster Linie auf Preiserhöhungen zurückzuführen sind, werden dagegen nicht in gleichem Maße honoriert.“
Silvia Dall’Angelo, Senior Economist:
Wie steht es um das Bruttoinlandsprodukt und den Verbraucherpreisindex innerhalb der Eurozone?
„Das BIP-Wachstum in der Eurozone fiel im 2. Quartal um ein Zehntel auf immer noch starke 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im ersten Quartal hatte es noch 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal betragen. Was die Hauptländer betrifft, so wurde das schwache Ergebnis des deutschen BIP durch starke Zahlen aus Italien, Spanien und Frankreich mehr als wettgemacht.
Insgesamt ist die Wirtschaft der Eurozone gut in das Jahr 2022 gestartet, aber die russische Invasion in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise werfen einen Schatten auf die Aussichten für den Rest des Jahres sowie für 2023. Die künftigen Gaspreise in Europa haben sich seit Anfang Juni fast verdreifacht, was auf die schwerwiegenden Unterbrechungen der russischen Lieferungen zurückzuführen ist. Sie werden wahrscheinlich den ganzen Winter über erhöht bleiben, da die Gefahr eines vollständigen Stopps der russischen Gaslieferungen weiter besteht. Es besteht die Gefahr, dass sich der Energiepreisschock zu einem Quantitätsschock ausweitet, der im weiteren Verlauf des Jahres zu Energierationierungen, Produktionsunterbrechungen und einer schweren Rezession führen könnte. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission könnte ein Gaspreisschock in diesem Winter das BIP zwischen 0,6 Prozent und 1,5 Prozent beeinträchtigen – je nachdem, wie gut die europäischen Regierungen in der Lage sein werden, ihre Maßnahmen zu koordinieren, und wie streng der kommende Winter ausfallen wird.
In der Zwischenzeit hat sich das Inflationsbild weiter verschlechtert, was die EZB in ein akutes politisches Dilemma versetzt. Die Gesamtinflation des Harmonisierten Verbraucherpreisindex bestätigte sich im Juli mit 8,9 Prozent gegenüber 8,6 Prozent im Juni und erreichte damit einen neuen Höchststand in der Geschichte der Eurozone. Während sich der Inflationsdruck vor allem auf die Bereiche Energie und Nahrungsmittel konzentrierte, erreichte die HVPI-Kerninflation im Juli mit vier Prozent ebenfalls ein Rekordhoch. Mit Blick auf die Zukunft ist die Inflation im Euroraum wahrscheinlich nahe an ihrem Höhepunkt, dürfte aber bis zum Jahresende in etwa auf dem derzeitigen Niveau verharren. Sofern kein zusätzlicher Schock eintritt, dürfte die Inflation im Laufe des Jahres 2023 zurückgehen, was auf eine Stabilisierung/Mäßigung der meisten Rohstoffpreise (und die damit verbundenen Basiseffekte), nachlassende Angebotsengpässe und vor allem eine deutliche Verlangsamung der Nachfrage zurückzuführen ist.
Das jüngste FED-Protokoll zusammengefasst
Aus dem Protokoll der Fed-Sitzung von Juli geht hervor, dass die Fed ihren Kampf gegen die hohe Inflation weiterhin fest im Blick hat. Auch wenn die Finanzmärkte einige Aspekte aufgriffen, die als taubenhaft interpretiert werden könnten. Die Fed machte deutlich, dass eine weitere Straffung der Geldpolitik angemessen sei, auch wenn sich das Tempo zu einem gewissen Zeitpunkt verlangsamen werde – was kaum überrascht, wenn man bedenkt, dass die Fed im Juni-Juli eine kumulative Straffung um 150 Basispunkte vorgenommen hat, das schnellste Tempo seit Anfang der 1980er Jahre.
Die Fed ist vor allem abhängig von den Wirtschaftsdaten, so dass das Tempo der Straffung und der endgültige Zinssatz von der Entwicklung der Inflation und des Arbeitsmarktes in den kommenden Wochen und Monaten bestimmt werden. Nach den günstigen Inflationsdaten für Juli gehen wir von einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte auf der nächsten Sitzung im September aus. Aber ein größerer Zinsschritt um 75 Basispunkte ist immer noch möglich, sollte er aufgrund der Datenlage in den nächsten Wochen erforderlich sein.
Aktuelles zu China
Alle chinesischen Konjunkturdaten haben sich im Juli unerwartet abgeschwächt und die Erwartungshaltung bezüglich einer raschen Erholung der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres in Frage gestellt. Besonders ausgeprägt war die Wachstumsverlangsamung im Juli bei den Einzelhandelsumsätzen und den Anlageinvestitionen, was die Schwäche der Inlandsnachfrage und den angeschlagenen Immobiliensektor widerspiegelt. Die Covid-Beschränkungen sind nach wie vor in Kraft und haben wahrscheinlich die Wirksamkeit der bereits begrenzten Konjunkturmaßnahmen beeinträchtigt.
Seit der Bekanntgabe der Daten haben die Behörden weitere geldpolitische Initiativen angekündigt bzw. vorgeschlagen. Zunächst senkte die PBOC unerwartet den einjährigen Zinssatz der mittelfristigen Kreditlinie um zehn Basispunkte auf 2,75 Prozent, um zu versuchen, das gedämpfte Kreditwachstum wieder anzukurbeln.
Insgesamt erwarten wir, dass die politischen Entscheidungsträger in den kommenden Monaten einen maßvollen und gezielten Ansatz für Stimuli-Maßnahmen verfolgen werden, was zu einer langsamen Erholung in der zweiten Hälfte dieses Jahres führen wird. Die geldpolitische Lockerung dürfte sich in Grenzen halten – sie birgt nicht nur mittel- bis langfristig Risiken für die Finanzstabilität, sondern wird auch kurzfristig die Inlandsnachfrage durch die Nullzins-Politik weiter belasten, so dass die Kreditlockerung weitgehend wirkungslos bleibt. Darüber hinaus ist unklar, ob die Infrastrukturmaßnahmen ausreichen werden, um die Auswirkungen der anhaltenden Korrektur im Immobiliensektor auszugleichen. Dementsprechend haben viele Analysten – darunter auch der IWF – ihre Wachstumserwartungen für China für 2022 auf drei Prozent bis 3,5 Prozent gesenkt, was deutlich unter dem offiziellen Ziel der Regierung von 5,5 Prozent liegt. Dennoch wird erwartet, dass das Wachstum 2023 wieder auf circa fünf Prozent ansteigt, was die wahrscheinliche Lockerung der Nullzins-Politik Ende dieses Jahres, nach dem entscheidenden Nationalen Parteitag im Oktober/November, widerspiegelt.“
Die hier vertretenen Ansichten und Meinungen sind die des Verfassers. Sie decken sich nicht zwangsläufig mit den in anderen Mitteilungen ausgedrückten oder wiedergegebenen Ansichten. Diese Mitteilung ist weder eine Aufforderung noch ein Angebot zum Kauf oder Verkauf der darin erwähnten Wertpapiere oder Finanzinstrumente.