Braucht die Wirtschaft niedrigere Zinsen?

Der EZB-Refinanzierungssatz beträgt zurzeit null und der Einlagensatz ist negativ. Die US-Notenbank erhöhte zwar im letzten Jahr die Zinsen gleich vier Mal, Fed-Chef Powell ließ aber jüngst durchblicken, dass eine Zinssenkung in der zweiten Jahreshälfte 2019 möglich wäre. Doch sind Zinssenkungen wirklich sinnvoll? Ein Kommentar von Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities bei Neuberger Berman.

Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities bei Neuberger Berman.

Angesichts schwacher Konjunkturdaten hält die US-Notenbank Zinssenkungen in der zweiten Hälfte des Jahres für möglich Paradebeispiel Deutschland: Obwohl die lockerere Geldpolitik meist die Wirtschaft stimuliert, ist in der aktuellen Konjunkturphase zu befürchten, dass Regierungen bei niedrigeren Zinsen dringend benötigte Fiskalreformen schleifen lassen

Zinssenkungen verlängern den Konjunkturzyklus

Daher: Zinssenkungen mögen den Konjunkturzyklus verlängern, ein höheres und nachhaltigeres Wachstum wird so aber nicht erreicht
Wer weiß eine gute Aktienmarktrallye nicht zu schätzen? Wir tun es zweifellos. Viel wichtiger ist aber die Frage, ob die Wirtschaft wirklich niedrigere Zinsen braucht.

Vor drei Wochen wurde deutlich, wir sehr den Märkten der „Powell Put“ gefällt, also die Möglichkeit einer Zinssenkung in der zweiten Jahreshälfte. Letzte Woche wurden die US-Notenbank (Fed) und Mario Draghi von der Europäischen Zentralbank (EZB) dann noch expansiver.

Draghi sorgt für Ankurbelung der Märkte

Der Dot Plot, die Leitzinserwartung der Fed, ging zurück. Fast die Hälfte der Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed erwarten für dieses Jahr mindestens eine Zinssenkung, und ein Mitglied wollte einen solchen Schritt schon letzte Woche. Das Notenbank-Statement ließ keinen Zweifel daran, dass die Geldpolitik den Aufschwung verlängern soll.

Draghi hatte die Märkte bereits angekurbelt, indem er sagte, dass „zusätzliche Impulse erforderlich sein werden“, sollte das Inflationsziel der EZB nachhaltig gefährdet sein. Die Notenbank werde dann „über neue Instrumente nachdenken“, um dieser Bedrohung zu begegnen, bei Bedarf „auch über weitere Leitzinssenkungen“.

Der EZB-Refinanzierungssatz beträgt zurzeit null, der Einlagensatz ist negativ.

Die schwachen Konjunkturdaten sind besorgniserregend, keine Frage. Aber lösen niedrigere Zinsen das Problem?

Eine lockerere Geldpolitik stimuliert meist die Wirtschaft. In der aktuellen Konjunkturphase ist es aber zweifelhaft, ob sie wirklich viel bewirkt. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Regierungen bei niedrigeren Zinsen ihrer fiskalpolitischen Verantwortung nicht nachkommen und dass unproduktive Unternehmen nicht vom Markt verschwinden. Produktive Unternehmensinvestitionen werden dadurch verdrängt, und insbesondere in Europa könnte das Bankensystem unter Druck geraten.

Zinssenkungen könnten zwar die Konjunktur stabilisieren, aber um den Preis schwachen Wachstums, einer stagnierenden Produktivität und niedriger Eigenkapitalrenditen.

 

Seite 2: Warum ein neues Wirtschaftsmodell nötig ist

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