Cash.: Was bedeutet das Votum für die eigene Geschäftsentwicklung? Inwieweit ist eine Neubewertung der strategischen Ausrichtung erforderlich? Welche Auswirkungen erwarten Sie durch das Abstimmungsergebnis auf bestehende Produkte Ihres Hauses?
Mark Burgess, Chief Investment Officer für die Region Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) sowie globaler Aktien-Chef bei Columbia Threadneedle Investments: Wir haben unsere Portfolios im Vorfeld des Referendums relativ neutral positioniert. Beispielsweise sind unsere Aktienportfolios relativ defensiv ausgerichtet, europäische Finanzwerte haben wir untergewichtet. Die Volatilität dürfte ziemlich hoch bleiben. Das bietet uns Chancen, unsere Portfolios anzupassen, sofern wir entsprechende Gelegenheiten sehen.
Björn Jesch: Unsere insgesamt defensive Grundpositionierung der letzten Wochen dämpft den Effekt der aktuellen Marktbewegung. Darüber hinaus haben wir im Vorfeld des Referendums verschiedene Vorsichtsmaßnahmen für den Brexit-Fall getroffen, wie beispielsweise die Reduzierung unseres Engagements im Britischen Pfund. Allerdings werden heute vom negativen Gesamt-Sentiment auch viele Werte in Mitleidenschaft gezogen, die fundamental eigentlich besser dastehen. Im Rahmen unseres aktiven Investmentansatzes steuern wir hier allerdings gegen, um die weiteren Abwärtsrisiken zu minimieren. Wie schon in den vergangenen Wochen sehen wir aktuell eine stark erhöhte Nachfrage nach den „sicheren Häfen“.
Staatsanleihen aus den Kern-Euroländern und den USA, Gold, aber auch US-Dollar und Japanischer Yen werden aktuell gesucht. Diese defensiven Investments haben auch wir derzeit vermehrt in unseren Portfolios. Auf der Verlierer-Seite stehen vor allem Aktien, insbesondere natürlich aus Großbritannien und der Eurozone. Die Auswirkungen auf die Wall Street oder die Emerging Markets dürften hingegen moderater ausfallen. Ebenfalls verlieren sollten europäische Peripherie- und Unternehmensanleihen, auch wenn die ganz großen Ausschläge nach unten von den Ankaufprogrammen der EZB abgefedert werden. Bei den Währungen dürfte neben dem Britischen Pfund auch der Euro gegenüber dem US-Dollar weiter abwerten. Das volatile Umfeld birgt also Risiken, eröffnet aktiven und entschlossenen Investoren gleichzeitig aber auch Chancen, um von dem veränderten Marktumfeld zu profitieren.
Paras Anand, Leiter des europäischen Aktienteams bei Fidelity International: Unser Investmentansatz wird morgen noch der gleiche sein wie gestern. Wir nutzen die Chancen, die von diesen makroökonomischen Ereignissen ausgehen und konzentrieren uns auf Unternehmen, in die wir langfristig investieren möchten. Der paneuropäische Unternehmenssektor ist sehr international aufgestellt – ganz im Gegensatz zum US-amerikanischen oder asiatischen Unternehmenssektor. Selbst in einem Szenario, in dem das Abstimmungsergebnis negativere Auswirkungen auf die Nachfrage in Großbritannien und stärkere Auswirkungen auf Europa hat, als wir derzeit glauben, wird dies die Aussichten für europäische Unternehmen nicht so stark beeinflussen wie manche glauben.
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Karl Stäcker: In unseren vermögensverwaltenden Fonds haben wir die Aktienquoten schon im Vorfeld des Brexit reduziert. Auch der Anteil britischer Werte ist im Vergleich zum Vergleichsindex gering. Außerdem konzentrieren wir uns auf eher defensive, konjunkturresistente Werte und global tätige Unternehmen, die von einem schwachen Pfund profitieren. Auch die meisten unserer Aktienfonds sind aktuell relativ zu ihren Benchmarks eher defensiv ausgerichtet. Trotz der zu erwartenden, stark volatilen Marktbewegungen in den nächsten Tagen sehen wir daher keinen Anlass, unsere fundamental begründete derzeitige Ausrichtung zu verändern.
Interview: Tim Rademacher
Foto: Union Investment