Marktteilnehmer der deutschen Immobilienbranche erwarten, dass die Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, zu vorübergehender Unsicherheit an den Immobilienmärkten führt. Die Investorennachfrage könnte sich zum Teil nach Deutschland verlagern.
„Der Austritt Großbritanniens stellt den deutschen Immobilienmarkt vor eine große Herausforderung. Die Folgen lassen sich heute noch nicht richtig kalkulieren. Die Immobilienwirtschaft ist als kapitalintensive Branche ganz besonders auf ein stabiles Investitionsklima angewiesen“, sagt Dr. Andreas Mattner, Präsident des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss.
Das Ziel müsse nun sein, die Rahmendaten der neuen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU zu formulieren. „Unsere Branche, aber auch alle anderen Wirtschaftszweige in Deutschland, müssen Klarheit haben. Die aktuelle Lähmung muss zügig gelöst werden“, so Mattner.
Voraussichtlich werde der deutsche Immobilienmarkt eine weiter steigende Nachfrage verzeichnen: „Internationale Investoren könnten sich nun verstärkt auch in den deutschen Standorten nach neuen Möglichkeiten umsehen. Die stabilen Fundamentaldaten der Bundesrepublik haben bereits in den vergangenen Jahren zu einem wachsenden Interesse geführt“, sagt Mattner.
Überreaktionen nicht auszuschließen
Dr. Frank Pörschke, CEO Jones Lang LaSalle Deutschland geht davon aus, dass sich die ohnehin vorhandene Unsicherheit in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht zunächst weiter verstärken wird.
„Besonders in der Anfangsphase sind Überreaktionen auf den Finanz- und Immobilienmärkten leider nicht auszuschließen. Als Folge des Brexit werden die Marktakteure ihren Blick möglicherweise verstärkt auf Deutschland als wirtschaftlich stärkste Nation in Europa richten“, sagt Pörschke. Aber auch Großbritannien werde nach diesem Referendum ein wichtiger Standort auf den globalen Immobilienmärkten bleiben.
Blasengefahr durch den Brexit
Auch Wulff Aengevelt, Geschäftsführer von Aengevelt Immobilien, ertwartet einen größeren Andrang am deutschen Immobilienmarkt und warnt: „Der Brexit treibt die Blasengefahr.“
Marktexperten prognostizierten bereits für Paris und Frankfurt/Main eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze durch Abzugseffekte vor allem in der Londoner Finanzwirtschaft, verbunden mit einer stark steigenden Nachfrage nach Büro- und Wohnflächen und entsprechend deutlich anziehendem Miet- und Kaufpreisniveau.
Für die „normalen“ Immobilienverbraucher in der Region Frankfurt wäre dies angesichts der bereits heute angespannten Wohnungssituation eine weitere erhebliche Belastung, warnt Aengevelt.
Preiswachstum heizt sich noch weiter an
Auch die Aussichten sich von UK nach Deutschland verlagernder Investmentströme sei nur bedingt positiv. „Tatsächlich ist Liquidität, die nach Anlagemöglichkeiten sucht, in hohem Umfang im Markt vorhanden. Wer dabei aus Unsicherheit vor Investitionen in den englischen Immobilienmarkt zurückschreckt und nach Alternativen sucht, wird sicherlich auch Deutschland als ,sicheren Hafen‘ näher ins Auge fassen“, sagt Aengevelt.
Die Folge würden – bei zu knapper marktgerechter Objektverfügbarkeit insbesondere in den „Big Seven“ – noch weiter steigende Kaufpreismultiplikatoren sein. Dabei lägen die Spitzenrenditen für Büro-/Geschäftshäuser und qualifizierte Wohninvestments bereits heute in den Metropolen oftmals unter vier Prozent.
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Daher sei die Gefahr von Fehlallokationen durch schnelle Abschlüsse aufgrund von Anlagedruck hoch. „Dies kann bis in die Reihen der Privatinvestoren reichen, die aus Sorge vor Wertverlusten in demographisch weniger privilegierte Wohnungsmärkte zur Kapitalanlage investieren, ohne die Erzielbarkeit der zur mittel- bis langfristig teureren Finanzierung notwendigen Mieten rational zu prüfen“, sagt Aengevelt. Dies könne die Bildung einer Immobilienblase fördern.
Daher sei jedem Immobilienmarktteilnehmer vom Privat- bis institutionellen Investor zu raten, Professionalität zu bewahren und nicht überstürzt zu handeln. (bk)
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