Für britische Aktien war der Januar 2022 besonders ungewöhnlich. Trotz Nervosität und allgemeiner Schwäche in praktisch allen wichtigen Aktienindizes gelang es dem FTSE100, einen kleinen Gewinn zu erzielen.1) Gleichzeitig jährte sich der Brexit am 31. Januar zum zweiten Mal. Könnten diese Ereignisse zusammenhängen? Ja, aber nur sehr indirekt.
Beginnen wir mit etwas, das offensichtlich sein sollte – aber selten ist: Korrelation impliziert noch lange keine Kausalität. Es bedarf zumindest einer plausiblen Erklärung dafür, warum etwas angeblich etwas anderes verursacht hat. Im Januar gewann der erste britische Skifahrer in der Geschichte des alpinen Weltcups eine Goldmedaille.2) Anhand dieses einen Datenpunkts lässt sich der Sieg von Dave Ryding im Slalom der Männer in Kitzbühel wohl kaum dem Brexit anrechnen. Aber wenn es um die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen politischer Ereignisse geht, machen Kommentatoren allzu unbedacht diese Art von Denksprung, und sehen im Rückblick eigene Vorurteile bestätigt.3)
Unser „Chart der Woche“ zeigt, wie leicht das schief gehen kann. Können Sie verschiedene Knackpunkte der Brexit-Saga in der Grafik erkennen? Wenn ja, liegen Sie wahrscheinlich völlig falsch. Das liegt daran, dass die Kurse in lokaler Notierung angeben sind. Der FTSE 100 enthält aber hauptsächlich multinationale Unternehmen. Diese verdienen ihr Geld auf der ganzen Welt. Währungsschwächen nach „schlechten Nachrichten“ über den Brexit waren daher für ihre auf britische Pfund lautenden Aktien in aller Regel positiv.4)
Dagegen hatten die jüngsten Kursgewinne wohl wenig mit der britischen Politik zu tun.5) Sie spiegeln hauptsächlich die relativ geringe Gewichtung unrentabler Technologieaktien im FTSE100 wider sowie die stärkere Gewichtung von Energie-, Bergbau-, Finanz- und Gesundheitsaktien. „Die Anleger werden wieder bewertungssensibler und skeptischer bei Aktien, die nur von Narrativen getrieben wurden“, betont Thomas Bucher, Globaler Aktienstratege bei der DWS. „Das war einer der Gründe, warum wir den IT-Sektor im Dezember auf neutral herab- und das Gesundheitswesen hochgestuft haben. Letzteres sollte aus unserer Sicht defensiveres Wachstum bei vernünftigen Bewertungsniveaus bieten.“
Was die Brexit-Lektionen für Möchtegern-Schnäppchenjäger gut zusammenfasst. Seismische Großereignisse wie der Austritt Großbritanniens aus der EU können in der Tat Chancen schaffen, aber eher bei kleineren Titeln als auf Indexebene. Um die zu nutzen, sollte man sich aber bei der Analyse vermeintlicher Schnäppchen ziemlich sicher sein – und darf sich nicht wundern, wenn es eine Weile dauert, bis auch der Markt zu ähnlichen Schlüssen gelangt.
2) Dave Ryding makes British skiing history with first Alpine World Cup win | Skiing | The Guardian
3) Kahneman, D., 2011. Thinking, fast and slow. Farrar, Straus and Giroux
4) Natürlich sehen Vergleiche mit US-Aktien auch deutlich schmeichelhafter aus, wenn reinvestierte Dividenden einbezogen werden (obwohl dies für europäische Aktien im Allgemeinen gilt, nicht nur für britische).
5) Angesichts der Turbulenzen im Westminister war der Januar 2022 wohl kaum der richtige Moment, um politische Brexit-Risiken vergessen zu machen.
Große britische Aktien im Vergleich zu internationalen Mitbewerbern: Können Sie die Brexit-Knackpunkte erkennen?
Quellen: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 01.02.2022