Doch Brüssel kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Plan- statt Marktwirtschaft, die zentral von Brüssel gesteuert wird, erinnert eher an sozialistischen Dirigismus und ist nicht geeignet, warme europäische Sympathien auf der Insel oder sonst wo in der EU aufkommen zu lassen. Um nationale Anliegen hat sich kein Eurokrat zu kümmern. Brüssel muss nicht überall seine Nase reinstecken. Und auch wenn es mittlerweile langweilig klingt: Ohne Reform- und Wettbewerbsfähigkeit gehen wir weltkonjunkturell vor die Hunde. Und dass aus der Europäischen Stabilitätsunion und Wertegemeinschaft eine Romanische Schuldenunion und ein Egoistenverein geworden sind, sorgt für ähnliche Freude wie ein Besuch des Gerichtsvollziehers.
Dazu kommt die Unfähigkeit, EU-Staatsgrenzen zu schützen, Migration Europa-einheitlich anzupacken und eine einheitliche Terrorabwehr hinzubekommen. Stattdessen gibt es in all diesen Bereichen nationale Alleingänge. Und auf die undurchsichtigen und damit undemokratischen Kungeleien in Hinterzimmern, um irgendwie stinkende Kompromisse zu erzielen, hat auch kein EU-Bürger mehr Lust. An all diese Punkte muss man ran, wenn man es zukünftig mit Europa ernst meint.
Haben die EU-Politiker etwas aus dem Votum der Briten gelernt?
Wer jetzt nur mit dem Motto „Mehr Europa wagen“ um die Ecke kommt, also mehr Europäischen Einheitsstaat anmahnt, hat nichts begriffen. Mehr Europäische Integration und eine vertiefte Eurozone sind theoretisch großartige Sachen, werden aber in der Praxis mindestens zurzeit abgelehnt. Wenn Politiker jetzt behaupten, man habe die Europäer von den Vorzügen der EU noch nicht überzeugen können, ist das kabarettreif. Sie hatten ihre Chance, nein viele Chancen. Das Volk ist nicht dumm sondern hat ein feines Gespür für Dinge, die in und um die EU falsch laufen. So wie die Sonne sich nicht um die Erde dreht, drehen sich die Bürger nicht um Politiker. Umgekehrt muss es sein.
Wer dennoch weiterhin Selbstgerechtigkeit an den Tag legt, hat in der EU-Politik nichts zu suchen und sollte den Platz frei machen. Mit erfolglosen Trainern in Fußballvereinen macht man es genauso. So ist der englische Fußballtrainer zurückgetreten. Rücktritte auf EU-Ebene würden den EU-Bürgern klar machen, dass man verstanden hat. Doch bei vielen in Brüssel scheinen die Ohropax besonders fest zu sitzen, sie sind politisch auf beiden Ohren taub. Mit ihnen ist aber kein EU-Staat zu machen. Sie riskieren auch den Euro. Ihr Exit ist nötiger als der Brexit.
Bevor man den EU-Dampfer auf neuen Kurs bringt, müssen die alten Kapitäne und Offiziere von Bord. Wer nicht mit der Zeit geht, sollte mit der Zeit gehen!
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
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