Die großen und die kleinen Gewinner des Brexit
In einer ähnlichen Position befindet sich derzeit die britische Biotechindustrie. Dank der herausragenden universitären Landschaft mit den Flaggschiffen Cambridge und Oxford sowie eines funktionierenden Venture Capital-Markts hat Großbritannien eine dominante Stellung in Europa eingenommen. Hier schlägt das Herz der europäischen Biotechs. Doch manchmal sind es die kleinen Unternehmen und Geschichten, die bei großen Umwälzungen zu den Profiteuren werden. So kennen viele Pharmazeuten das Unternehmen Bencard Allergie aus ihren ersten Tagen in der Apotheke. Der Hersteller von Spezialpharmazeutika mit Sitz in München ist bekannt für seine Allergieimpfstoffe. Wahrgenommen wurde Bencard bisher vor allem als deutsches Unternehmen. Nur wenige wissen, dass die Pioniere im Allergiebusiness zu der bereits 1934 im englischen Devon gegründeten und in England börsengelisteten Allergy Therapeutics gehören. Mit über 60 Prozent Umsatzanteil ist Deutschland ihr wichtigster Markt. Für das mit einem Börsenwert von rund 140 Millionen Pfund noch relativ kleine Unternehmen hat der Brexit große Auswirkungen. So konnte man den Umsatz im ersten Geschäftshalbjahr (per Ende Dezember 2016) bei konstanten Wechselkursen um knapp 18 Prozent steigern. Da das Pfund aber gegenüber dem Euro an Wert verlor, lagen die Einnahmen letztendlich mit 40,4 Millionen Pfund satte 39 Prozent über dem Vorjahreszeitwert. Der Brexit macht es möglich! Die deutsche Tochter spielt bei der Wachstumsstrategie dementsprechend eine wichtige Rolle. Allergy Therapeutics verfügt derzeit über eine große Produktpipeline und hat knapp 28 Millionen Pfund in der Kasse. Ein relevanter Teil davon dürfte in den Ausbau des Deutschlandgeschäfts fließen.
Wichtiges Treffen in Bonn
In die ohnehin übernahmefreudige Branche ist mit dem Brexit ein weiterer Unsicherheitsfaktor gekommen, der Risiken, aber eben auch Chancen bietet. Derzeit rätseln Analysten und Fondsmanager zugleich, wer wohl die Gewinner und Verlierer eines EU-Austritts in der Pharmabranche sind. Wie wichtig das Thema für die Unternehmen selbst ist, wird übrigens Ende April in Bonn diskutiert. Dann lädt der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) ganz offiziell zum „1. BAH Brexit-Informationstag“. Das Königreich hält die Branche in Atem.
Tarik Dede ist freier Finanzjournalist und ein anerkannter Finanzmarktexperte, Frankfurt
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