Großbritannien ist mit Stichtag 1. Februar 2020 förmlich aus der Europäischen Union ausgetreten. Seitdem gilt eine Übergangsphase bis 31. Dezember 2020. Bis dahin findet in und gegenüber dem Vereinigten Königreich das bestehende EU-Recht weiter Anwendung, einschließlich die mit dem Binnenmarkt verbundenen EU-internen Investitionssicherheiten. Gastbeitrag von Rechtsanwältin Aziza Yakhloufi, Rödl & Partner
Derzeit verhandeln die Europäische Union und Großbritannien über eine zukünftige Partnerschaft, wobei ein geordneter Austritt mit einem Austrittsabkommen sowie darüber hinaus ein Freihandelsabkommen mit entsprechenden Investorenschutzmaßnahmen angestrebt wird.
Da die Verhandlungen noch nicht zu einer Klärung der Rechtslage über die Übergangsphase hinausgeführt haben, und es zuletzt durch die Corona-Pandemie zu Verzögerungen in den Austrittsverhandlungen gekommen ist, muss zum derzeitigen Stand davon ausgegangen werden, dass es zu einem harten Brexit kommt. Dies hat zur Folge, dass Großbritannien gegenüber der Europäischen Union ab dem 1. Januar 2021 den rechtlichen Status eines Drittstaates erhalten wird. Darüber hinaus ist seit dem 1. Juli 2020 keine Verlängerung der Übergangsphase mehr möglich.
Investitionsschutzabkommen
Aufgrund der Rechtsunsicherheiten und fehlender alternativer Regelungen können zukünftig die Grundsätze des Investitionsschutzes in Form von Investitionsschutzabkommen eine tragende Rolle spielen.
Bei solchen Abkommen handelt es sich um völkerrechtliche Verträge, die zwischen zwei (bilateral) oder mehreren (multilateral) Ländern geschlossen werden. Weltweit existieren über 3.000 solcher Investitionsschutzabkommen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat seit 1959 mehr als 130 bilaterale Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Mit dem Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 wurde die Zuständigkeit für die Verhandlung und den Abschluss der Abkommen auf die Europäische Union übertragen. Der EU-Kommission wird damit die Möglichkeit eingeräumt, für die Europäische Union und deren Mitgliedstaaten Investitionsschutzabkommen zu vereinbaren. Entsprechend ist die Vereinbarung eines neuen Investitionsschutzabkommens zwischen der Europäischen Union und Großbritannien denkbar.
Sinn und Zweck der Investitionsschutzabkommen ist der Schutz von Investitionen vor Wertverlust. Dabei können sich grundsätzlich alle Investoren mit Zugehörigkeit zum Vertragsstaat auf ein Abkommen berufen, wobei sich die Zugehörigkeit nach dem Sitz des Unternehmens bestimmt.
Typische Regelungsinhalte betreffen für Investoren besonders relevante Themen wie den Schutz des Eigentums gegen Enteignung ohne Entschädigung, den freien Transfer von Kapital und Erträgen sowie den Schutz von Kapitalanlagen.
Möglichkeit von Investorenklagen
Der Brexit kann zu empfindlichen Verlusten bei Investitionen führen. Hier kommen Investorenklagen ins Spiel. Wesentlicher Anknüpfungspunkt bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wird in der Praxis in der Einschränkung der Geschäftsmöglichkeiten liegen, insbesondere bei Unternehmen mit Sitz in Großbritannien, die den Zugang zum Binnenmarkt, oder in Fällen von regulierten Industrien, eine wesentliche Betriebsgenehmigung auf europäischer Ebene verlieren.
Die Frage, ob einem Investor gegenüber einem Staat ein Schadensersatzanspruch zusteht, ist in der Praxis eine rechtlich komplexe Frage des Einzelfalls. Ein normativer Anknüpfungspunkt für solche Überlegungen kann unter anderem in dem investitionsschutzrechtlichen “Fair and Equitable Treatment”-Standard gefunden werden. Dieser in Investitionsschutzabkommen festgelegte Standard sieht vor, dass Staaten für berechenbare Rahmenbedingungen sorgen müssen, um auf diese Weise eine gewisse Berechenbarkeit des Investitionsumfeldes zu gewährleisten. Wird hiergegen verstoßen, erscheint ein Schadensersatzanspruch zumindest von vornherein nicht ausgeschlossen.
Klärung von Streitigkeiten im Rahmen von Schiedsverfahren
Die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten erfolgt im Rahmen von Schiedsverfahren, die Investoren ein zielgerichtetes und effizientes Verfahren bieten, um Investitionsstreitigkeiten beizulegen.
Schiedsverfahren werden nach feststehenden Regelwerken, den Schiedsverfahrensordnungen durchgeführt. Ein Beispiel solcher Verfahrensregeln ist beispielsweise die Verfahrensordnung des Internationalen Zentrums für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes – ICSID). Die ICSID ist hierbei eine unabhängige internationale Organisation mit Sitz in Washington, deren Rechtsgrundlage das Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten von 1965 ist.
Ferner können Investitionsschutzverträge bestimmte Mechanismen der Streitbeilegung vorsehen.
Die Erfolgsaussichten dieser Verfahren zugunsten von Investoren sind durchwachsen. Das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) hat alle im Jahr 2015 nach den ICSID-Konventionen durchgeführten Schiedsverfahren untersucht, wobei 10 von 38 Schiedsverfahren, mithin lediglich 26 Prozent der Fälle zugunsten des Investors entschieden wurden.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Nach dem derzeitigen Stand ist es unklar, welcher Einfluss das Ende der Übergangsfrist auf den Investitionsschutz in Großbritannien haben wird, denn ein bilateraler Investitionsschutzvertrag zwischen der Europäischen Union und Großbritannien existiert bis heute nicht.
Ferner ist der Rechtsschutz für Investoren eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen mit Investitionen in Großbritannien in jedem Fall bereits jetzt eventuelle Risiken für ihre Investitionen prüfen lassen, um für alle Eventualitäten abgesichert zu sein.
Autorin Aziza Yakhloufi ist Bereichsleiterin Arbeitsrecht und Niederlassungsleiterin im Eschborner Büro von Rödl & Partner.