Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika haben sich auf ihrem Treffen in Johannesburg um sechs Länder vergrößert. Bald sollen sogar noch mehr als 20 weitere Länder hinzukommen und eine Art „BRICS+“ bilden. Zeichnet sich hier eine geopolitische Zeitenwende zum Nachteil des Westens ab? Auch wenn diese Bewegung aktuell noch mehr Schaum als Bier ist, hat der Westen keinen Grund, sich zurückzulehnen. Und Brüssel und Berlin sollten ihre ideologische Irrfahrt schnell beenden.
Die BRICS stellen 41 Prozent der Weltbevölkerung, ein Viertel der Weltwirtschaft und sitzen auf im Westen heiß begehrten Rohstoffen wie Onkel Dagobert auf seinen Golddukaten. Wenn das nicht überzeugende Gründe sind, es mit weiteren befreundeten Ländern den „Imperialisten“ vor allem aus den USA zu zeigen, die ihre Dominanz zu Lasten der Entwicklungsländer ausnutzen. So zwingt die Weltleitwährung US-Dollar Länder wie China oder Indien dazu, die dramatische US-Staatsverschuldung mitzufinanzieren.
BRICS wie Popeye ohne Spinat?
Dennoch muss viel Wasser in den vermeintlich neuen süßen geopolitischen Wein gegossen werden. Bislang ist BRICS ja keine schlagkräftige Allianz, sondern eher eine „Interessenvereinigung“ (IG) und ohnehin ein Kunstbegriff, den ausgerechnet ein amerikanisches Geldhaus initiiert hat.
Und wie stark ist eine IG, die Wladimir Putin trotz internationalem Haftbefehl noch nicht einmal freies Geleit nach Johannesburg gewähren kann?
Gefährliche Konkurrenz zu Amerika würde BRICS erst dann, wenn sie mit einer alternativen Weltwährung die „Ent-Dollarisierung“ einleiteten. Das würde das Dollar-Imperium sicherlich ins Wanken bringen.
Mit dieser Währungsalternative ist aber auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Sollte der Yuan der Anker einer neuen Weltleitwährung werden, müsste China seine Finanz- und Devisenmärkte FKK-ähnlich liberalisieren. Jedoch geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass die kontrollsüchtige KP diese Freiheit gewährt, zumal damit über Yuan-Stärke Exportverluste drohen.
Zwar sieht Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva den Euro als Vorbild einer alternativen Weltwährung. Doch selbst die Gemeinschaftswährung brauchte von den ersten Planungen bis zur Einführung weit über 25 Jahre, obwohl Europa bereits ökonomisch stark integriert war. Davon kann bei BRICS keine Rede sein.
Überhaupt, je größer „BRICS+“ wird, umso schwerer ist es, Corpsgeist zu entfachen. Und wer soll den Hahn im Hühnerstall spielen? Viele der „BRICS+“-Mitglieder wollen nicht amerikanische gegen chinesische Abhängigkeit eintauschen, schon gar nicht Indien. Und was nutzen Bodenschätze, die man nicht an die kaufkräftige westliche Welt verkauft? Das Klumpenrisiko, nur an China zu verkaufen, wird man wohl kaum eingehen.
Eine anti-westliche Bewegung nicht nur als Zwergenaufstand abtun
Auch wenn die Gefahren eines neuen starken Staatenbündnisses oder sogar einer zum US-Dollar alternativen Währung vorerst nicht bestehen, hat der Westen keinen Grund für arrogante Selbstzufriedenheit.
Amerika hat genügend eigene Probleme, u.a. Überschuldung, eine dramatisch gespaltene Gesellschaft und politische Verhältnisse, die an „House of Cards“ erinnern. Außerdem sollte es im Kampf um die Weltspitze nicht seinen transatlantischen Vorgarten in Europa vernachlässigen. Je mehr der Westen zusammenhält, umso mehr kann er sich gegen zunehmend undemokratische Tendenzen wehren. Es ist zu hoffen, dass diese Weisheit bei der US-Präsidentschaftswahl 2024 eine Rolle spielt.
Europa wiederum muss aus seiner Oberlehrerhaltung heraus. Moralisierend werden weltweit eigene Standards beim Umweltschutz und Menschenrechten eingefordert und damit autoritären Regimen der Vorwurf des westlichen Neo-Kolonialismus erlaubt. Hans-Dietrich Genscher wusste noch, dass Außenpolitik die Kunst des Möglichen ist. Daneben sollte Europa eigene geopolitische und militärische Stärken aufbauen, um nicht nur vom Traktorstrahl Asiens loszukommen, sondern auch um von Amerika ernstgenommen zu werden.
Europa muss vom ideologischen Highway to Hell abbiegen
In vielen industriellen und technologischen Bereichen müssen wir zudem zurück an die Spitze. So mancher Gesundbeter, der noch keine Schaufel in der Hand hatte, sollte zur Kenntnis nehmen, dass der deutsche Wohlstand auf Industrie beruht. Deindustrialisierung, die weitere Unternehmen wie Zulieferer in den Abgrund zieht, ist also keine gute Idee.
Allerdings gibt es in Berlin zu viele Anhänger des Staatsinterventionismus, die meinen, der Staat könne es besser als Unternehmen. Die Finanzgeschichte lehrt jedoch, dass diese oft behauptete ideologische These die ständige Wiederholung einer Dummheit ist. Der Staat setzt die Rahmendaten und dann lässt er die Menschen machen.
Ideologie wird dann pathologisch, wenn man die Schäden der interventionistischen Politik zwar sieht, darauf aber mit noch mehr staatlicher Einflussnahme reagiert: Nachdem man den Strom durch Verbote deutlich verteuerte, soll er jetzt auf Steuerzahlers Kosten für die Großindustrie subventioniert werden. Jedoch bleibt der deutsche Mittelstand außen vor, obwohl er das Rückgrat der deutschen Industrie ist. Die gleiche Glanztat sehen wir in der Wohnungsbaupolitik. Seit 20 Jahren wird das Bauen durch härtere Vorschriften, höhere Grunderwerbsteuer und Bürokratie immer unbezahlbarer. Und da sich insofern der Wohnraummangel verschärft, wird der Mietenstopp diskutiert. Welcher private Vermieter wird noch gerne bauen wollen? Insgesamt nimmt die Wohnungsnot weiter zu.
Überhaupt, wie attraktiv kann ein deutscher Industriestandort sein, wenn kein Ende der planwirtschaftlichen Sünden absehbar ist, die übrigens auch noch die Inflation treiben? Sexy sieht anders aus. Im Moment erleben wir die wirtschaftsfeindlichste Politik aller Zeiten.
Die Karl Marx-Bettwäsche gegen die von Ludwig Erhard eintauschen
Der Trend nach links muss zügig gestoppt und der Weg zurück in die Mitte der sozialen Marktwirtschaft angetreten werden. Deutschland darf seine Probleme nicht nur weglächeln. Die Wende der Energiewende muss her, zumal Deutschland eine CO2-Dreckschleuder ist. Die weltmeisterliche Steuer- und Abgabenlast muss sinken. Die Hürden für qualifizierte Zuwanderung müssen weg und die Abwanderung der Fachkräfte beendet werden. Und die maßlose Bürokratie gehört auf den Scheiterhaufen. Entschuldigung, die letzten Reformen wurden vor 20 Jahren gemacht.
Und ganz wichtig: Das Leistungsprinzip muss wieder gelten. Es ist nicht populistisch, angesichts von 2,6 Mio. Arbeitslosen mehr Beschäftigungsaufnahme einzufordern, sondern fair denen gegenüber, die jeden Morgen aufstehen und den Buckel für das Gemeinwohl hinhalten.
Das allgemein erodierende Leistungsprinzip in Deutschland zeigen übrigens auch null Medaillen bei der Leichtathletik-WM in Budapest. Dagegen holt Indien auf.
„Wunder gibt es immer wieder“ heißt es in einem deutschen Schlager von Katja Ebstein. Leider passieren diese in der Wirtschaftspolitik nicht. Man muss etwas dafür tun. Von nichts kommt nichts, eben auch kein Wohlstand. Und Kiffen ist keine Lösung.
Wenn der Westen so weitermacht, gräbt er sein eigenes Grab.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725