Was war vorliegend geschehen?
Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin und unterhält bei der beklagten Versicherung eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Streitfall verlangt die inzwischen wieder voll berufsfähige Klägerin von der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Dies lehnte der Versicherer jedoch ab und hat wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung den Versicherungsvertrag angefochten. Die Klägerin machte sodann ihre Ansprüche im Wege der Klage vor dem Landgericht Leipzig geltend. Das LG Leipzig hatte die Klage abgewiesen. Es hielt die vorprozessual erklärte Anfechtung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung durch die Klägerin für berechtigt. Gegen dieses Urteil hat sich die Klägerin mit der Berufung gewandt.
Die Entscheidung des OLG Dresden
Das OLG Dresden hat die Berufung jedoch zurückgewiesen. Zu Recht und mit zutreffender Begründung habe das Landgericht einen Anspruch der Klägerin wegen wirksamer Anfechtung des Vertrages durch die Beklagte verneint. Zunächst habe die Klägerin mehrere der gestellten Gesundheitsfragen objektiv falsch beantwortet. Die Möglichkeit der Anfechtung ist Versicherungen nach Paragraf 22 VVG in Verbindung mit den Paragrafen 123 ff. BGB eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer seine Offenbarungspflicht arglistig verletzt. Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann.
Der Senat führte aus, dass der künftige Versicherungsnehmer die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten habe (BGH vom 19. März 2003 – IV ZR 67/02). Er dürfe sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Daher seien auch solche Beeinträchtigungen anzugeben, die noch keinen Krankheitswert haben. Denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung sei Sache des Versicherers, so das OLG.
Offenbarungspflicht arglistig verletzt
Diese weit gefasste Offenbarungspflicht finde ihre Grenze nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, sei unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen. Abzustellen sei nach Auffassung des Senats auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermittelten.
Die Versicherungsnehmerin habe nach diesen Grundsätzen bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen die ihr obliegenden Offenbarungspflichten arglistig verletzt. Es gebe zwar keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung dahingehend, dass eine unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand von früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gegeben wird, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Umgekehrt gelte jedoch auch, dass es sich bei der Arglist und dem Arglistvorsatz um eine innere Tatsache handelt, so dass der Beweis nur durch Indizien geführt werden könne.
Das OLG Dresden betont, dass es dabei auf die konkreten Umstände und insbesondere auf die Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben, den Umfang der verschwiegenen Tatsachen, die Dauer der Störungen, die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde sowie die zeitliche Nähe zur Antragstellung abzustellen sei. Das starke Verharmlosen gewisser Umstände indiziere die Arglist hierbei ebenso, wie das Verschweigen entweder schwerer oder chronischer Erkrankungen. Stehe fest, dass Angaben beim Vertragsschluss objektiv falsch gewesen sind, treffe den Versicherungsnehmer zudem eine sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen er substantiiert und nachvollziehbar vortragen müsse, wie und weshalb es dazu gekommen ist. Letzteres sei der Klägerin nicht gelungen. Vielmehr spreche die starke Verharmlosung ihrer über Jahre währenden chronischen Schmerzen und Erkrankungen für die Annahme von Arglist, abschließend der Senat.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Dresden kann im Ergebnis überzeugen. Das Gericht hat dabei die Grundsätze der Bewertung arglistigen Verhaltens nachvollziehbar angewendet und vom Ergebnis her nachvollziehbar begründet, warum der Versicherer vorliegend nicht zu Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu verurteilen war. Völlig klar ist, dass der Versicherer eine umfassende Risikoeinschätzung machen muss und deswegen auch alle Gesundheitsanfragen – sofern diese auch gestellt werden – wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten sind. Anderenfalls riskiert der Versicherte eine Leistungsablehnung.
Die Entscheidung zeigt jedoch auch, dass jede Leistungsablehnung einer Berufsunfähigkeitsversicherung zwingend anwaltlich überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet werden. Insbesondere sollte dabei auf die Beantwortung der gestellten Gesundheitsfragen geachtet werden, um eine mögliche Anzeigepflichtverletzung zu vermeiden.
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Autor Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und Informationstechnologierecht, ist Partner und Gründer der Kanzlei Jöhnke & Reichow.