Es gibt ja bereits diverse Bewertungsansätze für die Bewertung der Beitragsstabilität der Berufsunfähigkeitsversicherer. Sie haben einen neuen Ansatz zusammen mit dem Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) aus Ulm entwickelt. Was sind Ihre Beweggründe hierfür gewesen?
Heermann: Bei unseren Überlegungen haben wir uns vor Augen gehalten, dass ein stabiler Zahlbeitrag ein ganz wesentliches Kriterium für das langfristige Kundenvertrauen in die Berufsunfähigkeitsversicherung ist. Bei deutschen BU-Policen spielt in diesem Zusammenhang die Überschussbeteiligung eine besondere Rolle. Lebensversicherer sind aufsichtsrechtlich angehalten, vorsichtig zu kalkulieren. Dadurch entstehen Überschüsse, welche die Unternehmen in der Regel dazu nutzen, die Beiträge zu reduzieren. Dadurch zahlt der Kunde nicht die kalkulatorische Bruttoprämie, sondern die um die Überschussgutschrift geminderte Nettoprämie. Die Höhe der Überschussbeteiligung steht allerdings unter Risiko, da sie nicht garantiert werden darf. Genau hier setzt unser Bewertungsverfahren an, indem es die Gefahr einer Beitragssteigerung bereits im Vorhinein abschätzt. Dies ist ein komplexes Unterfangen, weil die potenziellen Beweggründe für eine Überschusssenkung vielschichtig sind. Für den einzelnen Vermittler ist dies von außen gar nicht abschätzbar, denn verschiedene Ursachen können zu einer Erhöhung der Zahlbeiträge für die Versicherten führen, die davon zumeist völlig unvorbereitet getroffen werden. Um gefährdete Tarife frühzeitig zu erkennen, haben wir gemeinsam mit ifa das neue Verfahren entwickelt.
Was ist das Neue an Ihrem Modell und wie funktioniert das Verfahren?
Heermann: Wir schauen uns bei der Prüfung alle drei Bereiche an, die für die langfristige Beitragsstabilität relevant sind: Die Kalkulation des einzelnen BU-Tarifs, den insgesamt vorhandenen BU-Bestand und die übergeordnete Ertragskraft des Anbieters. In jedem Teilbereich steckt dann der Teufel im Detail. Beispielsweise sollte sich ein Versicherer bereits bei der Tarifkalkulation mit den versicherungsmathematischen Anforderungen an einen langfristig stabilen Nettobeitrag auseinandersetzen. Dazu gehören eine professionelle Herleitung der zugrunde liegenden Kalkulationsannahmen sowie umfangreiche quantitative Analysen und Profit-Tests. Für die Einschätzung dieser aktuariellen Fragestellungen greifen wir auf die Expertise von ifa zurück. Daneben sollte der BU-Anbieter sorgfältig in seinen Antrags- und Leistungsprozessen agieren, um das Versichertenkollektiv langfristig zu schützen. Falls ein Unternehmen etwa in der Vergangenheit besondere Aktionen durchgeführt hat, die einen Versicherungsschutz mit vereinfachter Gesundheitsprüfung ermöglichten, hat es sich womöglich Risiken in den Bestand geholt, die die Beitragsstabilität auf lange Sicht gefährden können. Umso wichtiger ist dann ein engmaschiges versicherungstechnisches Controlling. Nicht zuletzt ist es für die Beitragsstabilität entscheidend, dass die Kapitalanlageergebnisse und sonstigen Ertragsquellen dauerhaft auskömmlich sind – Stichwort Querverrechnungsgefahr. Für jedes Einzelkriterium in den drei Teilbereichen haben wir objektive Bewertungsanforderungen definiert, an denen sich ein BU-Anbieter messen lassen muss.
Stichwort Objektivität: Wie neutral, objektiv und transparent ist das Verfahren und wieviel Einfluss haben die Versicherer auf das Prüfverfahren? In welche Daten bzw. Bereiche erhalten Sie hierbei Einsicht.
Heermann: Für unsere Prüfung können wir nicht allein auf öffentlich verfügbare Daten zurückgreifen, da diese keine tiefergehende Analyse zulassen. Daher fordern wir vom Versicherer eine Menge interner Unterlagen an, beispielsweise die Meldungen an die BaFin, aktuelle Planzahlen sowie Unterlagen zur Tarifentwicklung und zum Bestandscontrolling. Darüber hinaus interviewen wir im Zuge der Untersuchung Vorstand und Produktverantwortliche, um die gelieferten Daten kritisch zu hinterfragen und die vom Versicherer getroffenen Annahmen und Maßnahmen zu diskutieren. Das ist übrigens auch neu an unserem Verfahren, denn jeder teilnehmende Versicherer muss uns im Rahmen einer interaktiven Prüfung diese internen Daten zur Verfügung stellen. Nur wenn wir im Zuge der Analyse in keinem der Prüfbereiche gravierende Mängel identifizieren, zertifizieren wir den entsprechenden Tarif mit unserem Qualitätssiegel. Dieses ist 24 Monate gültig, spätestens dann muss eine Folgeprüfung erfolgen. Auch wenn die Prüfung an sich freiwillig ist, kann der Versicherer keinerlei Einfluss auf die Bewertung und die Beschlussfassung nehmen. Diese nehmen ausschließlich Assekurata und ifa gemeinsam vor.
Die heutigen BU-Tarife sind Hochleistungsprodukte auf einem Top-Niveau. Dementsprechend ist der Preis mittlerweile so hoch, dass sich viele Kunden die dringend benötigte Absicherung gar nicht mehr leisten können. Was hat den BU-Schutz in den vergangenen Jahren so verteuert? Was sind die Preistreiber? Und was unternehmen die Versicherungsgesellschaften, um die Beiträge stabil zu halten?
Heermann: In der Tat ist die deutsche BU-Versicherung qualitativ hochklassig, aber dadurch auch hochpreisig. Neue bedingungsmäßige Zusatzleistungen tun ihr Übriges, beispielsweise für Arbeitsunfähigkeit oder schwere Krankheiten. Um für die vermeintlich guten Zielgruppen wie Akademiker oder Büroangestellte preislich weiterhin attraktiv zu sein, reagieren viele Versicherer mit einer stärkeren Spreizung der Berufsgruppen oder einer Ausweitung ihrer Tarifierungsmerkmale. Speziell für junge Leute mit geringem Budget kommen zunehmend auch Einsteigertarife mit deutlich reduzierten Starterprämien an den Markt. Vermehrt beobachten wir auch eine weitere Ausdifferenzierung des BU-Angebots in verschiedene Tariflinien mit unterschiedlichen Leistungsniveaus.
Es gibt immer wieder den Vorwurf, dass die BU-Beiträge einiger Lebensversicherer deutlich zu günstig kalkuliert wären. Wie sehen Sie das? Wie scharf haben die Gesellschaften mittlerweile die Beiträge kalkuliert und gibt hier noch Spielräume?
Heermann: Hier kommt es stark auf den Anbieter, den Tarif und die individuelle Kundensituation an. Die Preisunterschiede im Markt sind immens und längst nicht alle Angebote lassen sich pauschal als günstig einordnen. In den Top-Berufsgruppen ist das anders, hier buhlen viele Anbieter mit geringeren Beiträgen um die besten Risiken. Dabei stellen wir fest, dass die Risikoeinstufung mehr und mehr nach individuellen Merkmalen eines Kunden vorgenommen wird, beispielsweise Personalverantwortung, Bürotätigkeit, Bildungsabschluss oder Rauchverhalten. Viel Preisspielraum nach unten besteht aber dennoch nicht mehr.
Die Deutsche Aktuarvereinigung hat kürzlich eine neue BU-Tafel vorgestellt. Welche Folgen dürften die für die Kalkulation der BU-Tarife haben?
Heermann: Die neuen BU-Tafeln der DAV tragen den tatsächlichen Leistungsverschiebungen gegenüber den bisherigen Tafeln Rechnung, die noch aus dem Jahr 1997 datieren. Beispielsweise treten mittlerweile insbesondere bei Frauen erheblich mehr Leistungsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen auf. Demgegenüber ist die Wahrscheinlichkeit einer Berufsunfähigkeit bei Menschen über 40 Jahre geschlechterübergreifend gesunken. Direkte Auswirkungen auf das Preisniveau der Tarife im Markt erwarten wir aus den neuen Tafeln nicht, da die Beitragskalkulation von einer Vielzahl verschiedener Parameter abhängt. Dabei verwenden Versicherer neben den DAV-Tafeln noch andere Daten, die häufig auf den eigenen individuellen Bestandsmerkmalen basieren.
Welche Konsequenzen dürfte die geplante Rechnungszinssenkung für die Beiträge in der BU-Versicherung haben? Es gibt Gesellschaften, die erwarten Preissteigerungen zwischen zehn bis 15 Prozent für gewisse Altersgruppen. Andere sehen dagegen kaum Auswirkungen auf die BU-Beiträge.
Herrmann: Der zulässige Höchstrechnungszins wird zum 1. Januar 2022 von 0,90 Prozent auf 0,25 Prozent sinken, so dass die Versicherer ihre BU-Tarife neu kalkulieren müssen. Wir erwarten daraus für Neuabschlüsse einen Beitragsanstieg von durchschnittlich fünf bis zehn Prozent. Dieser betrifft zunächst den Bruttobeitrag, also die kalkulatorische Ebene. Der Bruttobeitrag reduziert sich aber eben durch die Überschussbeteiligung. Sofern ein Versicherer die Überschüsse parallel erhöht, würde man den geringeren Rechnungszins im Nettobeitrag kaum bis gar nicht erkennen. Lediglich die Spanne zwischen Brutto- und Nettobeitrag wäre dann größer als bisher. Fraglich ist natürlich, ob sich der Versicherer die höheren Überschüsse dann auch tatsächlich auf Dauer leisten kann. Genau das wollen wir bei der Prüfung der Beitragsstabilität herausfinden.
Das Interview führte Cash. Redakteur Jörg Droste