Man könnte es wohl auch problemlos als eine der bekanntesten und zugleich eindringlichsten politischen Fabeln der Literaturgeschichte bezeichnen. Diese Neuübersetzung von Lutz-W. Wolff mit einem Vorwort von Ilija Trojanow präsentiert George Orwells Klassiker in einem neuen Licht. Jedoch wird die ursprüngliche Botschaft dabei nicht verwässert.
Die Geschichte spielt auf einem Bauernhof. Die Tiere dort leiden unter der harten und gewalttätigen Hand von Mr. Jones, einem alkoholabhängigen Farmer. Eines Tages träumt Old Major, ein älterer Eber, von einer Zukunft ohne Menschen, in der Tiere frei und gleich sind. Nach seinem Tod übernehmen die Schweine, angeführt von Napoleon, die Führung und planen eine Revolution gegen Mr. Jones. Die Rebellion gelingt und die Tiere übernehmen die Farm. Doch was zunächst wie eine hoffnungsvolle Befreiung erscheint, entwickelt sich bald zu einer weiteren Form der Unterdrückung.
Denn als sich die Macht zunehmend auf Napoleon konzentriert, wird sein Rivale Snowball vertrieben. Die anderen Tiere, insbesondere die Schafe, werden durch Propaganda manipuliert und eingeschüchtert. Auch die ursprünglichen Ideale der Revolution, symbolisiert durch die sieben Gebote, werden schrittweise verändert. Schließlich ist nichts mehr von ihrer ursprünglichen Bedeutung übrig. Die bekannteste Umformulierung ist die des letzten Gebots: „Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als andere.“
George Orwells Fabel ist eine meisterhafte Darstellung der Dynamik von Macht, Propaganda und Korruption. Sie zeigt, wie leicht Ideale insbesondere in Systemen mit konzentrierter Macht korrumpiert werden können und wie Machtmissbrauch zu Unterdrückung führt. So sind die Charaktere, insbesondere die Schweine, allegorische Darstellungen politischer Figuren und Ideologien. Napoleon symbolisiert Stalin und Snowball steht für Trotzki. Auch die anderen Tiere repräsentieren verschiedene Gesellschaftsschichten: vom arbeitsamen, aber gutgläubigen Boxer bis zum intelligenten, aber zurückhaltenden Benjamin.
Die Neuübersetzung von Lutz-W. Wolff bringt frischen Wind in den Klassiker, ohne die Schärfe der ursprünglichen Erzählung zu verlieren. Das Vorwort von Ilija Trojanow liefert wertvolle Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Buches und betont seine anhaltende Relevanz. Auch die Anmerkungen und die Zeittafel am Ende des Buches bieten zusätzlichen Kontext und Hintergrundinformationen.
„Ein paar Tage später, als sich der Schrecken über die Hinrichtungen etwas gelegt hatte, erinnerten sich einige Tiere an das Sechste Gebot – oder jedenfalls glaubten sie sich daran zu erinnern. Hieß es nicht: Kein Tier soll ein anderes Tier töten? Obwohl sie sich hüteten, das in Gegenwart der Hunde und Schweine zu erwähnen, glaubten viele, dass sich die Hinrichtungen damit nicht vereinbaren ließen. Clover bat Benjamin, ihr das Sechste Gebot vorzulesen, und als Benjamin wie üblich erklärte, er wolle sich in solche Dinge nicht einmischen, holte sie Muriel. Die Ziege las ihr das Gebot vor. Es hieß: Kein Tier soll ein anderes ohne Grund töten. Irgendwie mussten diese zwei Worte den Tieren entfallen sein. Aber sie wussten jetzt, dass niemand gegen das Gebot verstoßen hatte, denn natürlich gab es gute Gründe, die Verräter hinzurichten, die sich mit Snowball verbündet hatte. Ein paar Tage später las sich Muriel die Sieben Gebote noch einmal allein durch und entdeckte, dass es noch ein weiteres gab, an das die Tiere sich falsch erinnerten. Sie hatten alle gedacht, das Fünfte Gebot laute: Kein Tier soll Alkohol trinken. Aber da waren zwei Worte, die sie vergessen hatten. Denn an der Wand stand: Kein Tier soll im Übermaß Alkohol trinken.“ Aus der Fabel „Farm der Tiere“ von George Orwell
An dieser Stelle ein paar Worte zum Autor: George Orwell, geboren 1903 in Indien als Eric Arthur Blair, war einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sein Vater war als britischer Kolonialbeamter tätig. Nach dem Abschluss seiner Studienjahre in Eton und Wellington trat Orwell 1922 in den burmesischen Polizeidienst ein. Diese Erfahrung prägte seinen kritischen Blick auf Kolonialismus und autoritäre Strukturen.
1927 kehrte Orwell nach England zurück und begann, sich als Schriftsteller und Journalist zu etablieren. Er lebte in Paris und London, wo er sich mit Gelegenheitsjobs als Tellerwäscher und Lehrer über Wasser hielt. Diese Erfahrungen inspirierten seine ersten Werke, die sich durch einen direkten, ehrlichen Schreibstil auszeichnen und sozialkritische Themen aufgreifen.
Orwell ist vor allem bekannt für seine Romane „Farm der Tiere“ und „1984“, die zu Klassikern der Weltliteratur geworden sind. „Farm der Tiere“ ist eine politische Fabel, die den Aufstieg und Fall einer Revolution darstellt und totalitäre Tendenzen kritisiert. „1984“ ist ein dystopischer Roman, der ein erschreckendes Bild einer Überwachungsgesellschaft zeichnet. Nicht zuletzt hat er Begriffe wie „Big Brother“ und „Neusprech“ in die kulturelle Lexikografie eingeführt. Orwell starb 1950 im Alter von nur 46 Jahren, doch sein literarisches Vermächtnis lebt bis heute fort. Seine Werke sind zeitlos und weiterhin relevant, insbesondere im Kontext von Machtmissbrauch, politischer Korruption und sozialer Gerechtigkeit.
„Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das konsumiert, ohne zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, um den Pflug zu ziehen, er läuft nicht schnell genug, um Kaninchen zu fangen. Und doch hat er sich zum Herrn aller Tiere gemacht. Er zwingt sie zur Arbeit, gibt ihnen gerade nur so viel zurück, dass sie nicht verhungern, und behält den Rest für sich selbst. Wir beackern den Boden mit unserer Arbeit, unser Dung macht ihn fruchtbar, und doch gibt es keinen von uns, der mehr besitzt als seine nackte Haut. Ihr Kühe, die ich da vor mir sehe, wie viele Hektoliter Milch habt ihr in diesem Jahr gegeben? Was ist aus der Milch geworden, die zur Aufzucht eurer Kälber hätte dienen sollen? Jeder Tropfen ist in den Gurgeln unserer Feinde verschwunden. Ihr Hühner, wie viele Eier habt ihr dieses Jahr gelegt? Und aus wie vielen davon sind jemals Küken geschlüpft? Die meisten sind auf den Markt gewandert, weil Jones damit Geld machen wollte. Wo sind die vier Fohlen, die du geboren hast, Clover? Sie hätten die Stütze und Freude deines Alters sein sollen. Jedes einzelne ist verkauft worden, als es ein Jahr alt war (…) Es ist also sonnenklar, Genossen, dass alle Übel in unserem Leben der Tyrannei des Menschen entspringen, nicht wahr? Nur den Menschen müssen wir loswerden, dann gehören die Früchte unserer harten Arbeit uns selbst. Praktisch über Nacht könnten wir reich und frei werden. Was also müssen wir tun? Wir müssen Tag und Nacht mit Leib und Seele daran arbeiten, die menschliche Rasse zu stürzen! Das ist meine Botschaft für euch, Genossen: Rebellion! Ich weiß nicht, wann die Rebellion genau kommt. Das kann in einer Woche oder in hundert Jahren sein, aber früher oder später wird es Gerechtigkeit geben, das weiß ich so sicher, wie ich das Stroh hier unter meinen Füßen sehe. Darauf, Genossen, müsst ihr für die kurze Lebensspanne, die euch bleibt, euren Blick richten! Und vor allem: Gebt diese meine Botschaft an die weiter, die nach euch kommen, damit künftige Generationen den Kampf fortsetzen können, bis der Sieg unser ist.“ Der Old Major aus der Fabel von George Orwell
Egal in welcher Fassung: Dieses Buch ist für mich ein Muss in jeder gut sortierten Bibliothek. Immer wieder wird es von verschiedenen Verlagen neu aufgelegt, neu übersetzt und optisch nochmals in Szene gesetzt. Auch diese Highlight-Ausgaben haben allesamt einen Platz in meinem Bücherregal.
Gut möglich, dass mir die Thematik deshalb emotional so präsent ist, weil ich 2019 eine lange Zeit in Kuba verbracht habe. Dort habe ich vieles wiedererkannt, was Orwell beschreibt. Falls du politisch interessiert bist, empfehle ich dir eine Reise nach Kuba, Venezuela oder in ein anderes sozialistisches Regime. Natürlich nicht, um vor allem am Strand zu liegen, sondern um sich mit den Leuten zu unterhalten. Vielleicht kannst du dann ebenfalls heraushören, wie es ihnen dort wirklich geht und was sie sich wünschen. Und vielleicht auch, wie es früher dort war, zum Beispiel vor der kubanischen Revolution durch Fidel Castro und Che Guevara.
Immer wieder ist mir die Umformulierung des letzten Gebots aus „Farm der Tiere“ über den Weg
gelaufen: „Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als andere.“ Diese Geschichte ist also nicht weit von der Realität in einigen Regionen der Welt entfernt. Dabei gelingt es dem Autor, mit einer wundervoll ausgeschmückten Geschichte ein höchst sensibles Thema zu analysieren. Die Rebellion der Tiere gegen ihren Farmbesitzer bildet eine sozialistische Revolution par excellence ab. Doch nur zu schnell können sich unsere Visionen von einer besseren Welt in einen totalitären Albtraum verwandeln. Das ist die zeitlose Warnung dieser Fabel.
Wie von Zauberhand verändern sich die sieben Vorschriften auf der Scheunenwand. Eigentlich sollten sie das friedliche Zusammenleben auf der Farm der Tiere regeln. Doch mit jeder Vorschrift, die sich ändert, verändert sich auch das Leben der Tiere auf der Farm. So schwindet ihr Traum von Gleichheit und Freiheit. Bis am Ende nur noch eine Vorschrift bleibt. Über die Zeit verschlechtert sich die Lage auf der Farm. Zwar sind die Tiere nun vermeintlich frei, doch das Glück, das ihnen die Rädelsführer versprochen haben, bleibt aus. Stattdessen kommt Leid über sie und die Hiobsbotschaften häufen sich. George Orwell skizziert amüsant und spannend die unmögliche Umsetzbarkeit des Sozialismus und die Entstehung einer sozialistischen Diktatur.
Dabei spürt man beim Lesen, dass zentralisierte Macht selbst die tollsten Vorsätze zunichte macht. Die Erzählung ist gleichzeitig unterhaltsam und beunruhigend. Sie vermittelt ein tiefgründiges Verständnis für die menschliche Natur und die politischen Mechanismen, die zur Tyrannei führen. Insgesamt ist „Farm der Tiere“ ein meisterhaftes Werk, das Generationen von Lesern beeinflusst hat. Und auch weiterhin wird es eine wichtige Rolle in der politischen Literatur spielen. Man könnte meinen, der Autor nehme mit seiner Geschichte Bezug auf Kuba, Venezuela, Nordkorea, China oder Enteignungsdebatten in Berlin. Aber nein, dieses Buch entstand im Jahr 1943. Absolut lesenswert! Vor allem für politisch interessierte und junge Menschen, die den unwiderstehlich wirkenden Sog des Sozialismus hinterfragen wollen.
Klare Empfehlung für alle Sozialwissenschaftskurse in der Oberstufe
„Animal Farm erschien am 17. August 1945, vier Monate nach dem Sieg der Alliierten in Europa, als die Rede vom ‚Eisernen Vorhang‘ zwischen dem ‚Westen‘ und den von der Roten Armee besetzten Ländern in Ost- und Mitteleuropa bereits ein geflügeltes Wort war. Die hohen Auflagen, die das Buch in den nächsten Jahren erreichte, brachten Orwell den literarischen und ökonomischen Durchbruch und schufen damit die Grundlage für die Entstehung seines letzten großen Romans: 1984. Animal Farm passte perfekt zum beginnenden Kalten Krieg. Das kleine Lehrstück wurde im Ostblock verboten und im Westen zur Schullektüre. Anhand von Dutzenden Übersetzungen erklärten Tausende Lehrer Hundertausenden Schülern die Schrecken des Kommunismus, die Abscheulichkeit des Personenkults, das fatale Wesen des bürokratischen Sozialismus, die Brutalität der Propaganda und die Peinlichkeit schleichender Korruption.“ Aus dem Nachwort
Warum ist es so schwierig, offen über den Sozialismus zu sprechen? Ich habe wirklich lange darüber gegrübelt, ob ich ein solches Buch überhaupt auf meinem Blog aufnehmen soll. Denn politische Themen sind immer heikel. Und Sozialismuskritik in weiten Teilen der westlichen Welt erst recht. Über den Kapitalismus kann man sich jederzeit lauthals öffentlich auslassen und erhält dafür noch Beifall. Dagegen wird man bei Kritik an sozialistischen Systemen in die hinteren Reihen verwiesen. Aber woran liegt das? Auf diese Frage habe ich leider noch keine Antwort gefunden. Wenn du eine hast, lass es mich wissen.
„Irgendwie schien es, als ob die Farm reicher geworden wäre, ohne die Tiere selbst reicher zu machen – außer den Schweinen und Hunden natürlich.“ Aus der Fabel „Farm der Tiere“ von George Orwell
Warum ein solches Buch dennoch extrem wichtig ist: George Orwell wurde mir von etlichen Leuten empfohlen. Interessanterweise vor allem von Menschen, die in sozialistischen Ländern gelebt haben und keine Anhänger des Systems waren. Dort konnten sie den Sozialismus am eigenen Leibe spüren. Und was mit Abtrünnigen passiert, wissen wir ja zur Genüge.
Das Schöne an diesem Buch ist der simple und verständliche Aufbau der Geschichte. Der Autor versteht es, vermeintlich komplexe Sachverhalte in ihre kleinen, trivialen Bestandteile zu zerlegen. Nach den knapp 250 Seiten sollte den Lesern eines bewusst geworden sein: Der Sozialismus war nicht nur 1943, sondern kann auch heute in vielen Teilen der Welt zu einem ernst zu nehmenden Problem werden.
Vielleicht erschließen sich dir die psychologischen Zusammenhänge der Geschichte noch nicht so recht. Dann empfehle ich dir noch einen Klassiker, der sogar noch etwas älter ist: „Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon. Ansonsten sind auch die deutlich neueren Bücher von Rainer Zitelmann sehr zu empfehlen. Zum einen „Die 10 Irrtümer der Anti-Kapitalisten“ und „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“.
Orwell und Le Bon sollten meiner Meinung nach absolutes Pflichtprogramm an unseren Schulen werden. Damit ermutigen wir unsere Kinder, zu mündigen und freiheitlich denkenden Menschen heranzuwachsen. So können wir der Meinungsfreiheit wieder mehr Gewicht verleihen und Diktaturen und Unterdrückung einen Riegel vorschieben.
Hinweis zu dieser Ausgabe: Hier handelt es sich um die Neuübersetzung von Lutz-W. Wolff in gebundener Ausgabe aus dem dtv Verlag. Sie ist im Inneren schmucklos, kommt aber mit einem auffallenden und für meinen Geschmack auch gelungenen Einband daher. Ich habe aber auch eine Taschenbuchausgabe aus dem Diogenes Verlag rezensiert. Ebenso eine weitere Neuübersetzung von Heike Holtsch in gebundener Ausgabe aus dem Anaconda Verlag. Der Inhalt ist in allen Fassungen vergleichbar. Lediglich die Einordnung in der dtv-Ausgabe stellt für mich einen wirklichen Mehrwert dar. Deshalb habe ich dieser auch als einziger Version volle fünf Sterne gegeben. Alle anderen leiden noch etwas unter der langatmigen und teilweise in die Jahre gekommenen Sprache George Orwells.
Dementsprechend kann ich zwar alle drei Fassungen empfehlen. Wenn ich nur eine wählen dürfte, würde ich selbst aber zur dtv-Version greifen. Am Ende ist es aber wohl auch Geschmackssache, welches Cover einem besser gefällt. Alle Fassungen haben einen verdienten Platz in meiner Bibliothek.
Celine Nadolny ist seit 2022 Kolumnistin des Cash.-Magazins sowie von Cash.Online. 2019 gründete sie Book of Finance und wurde zu Deutschlands einflussreichster Sachbuchkritikerin. Mit mehr als 400 rezensierten Sachbüchern erhielt sie mittlerweile 12 Branchenpreise, ist somit die mistausgezeichnete Finanzbloggerin der DACH-Region und wurde von Forbes auf die 30-Under-30 Liste aufgenommen. Celine möchte so viele Menschen wie möglich dazu inspirieren, mehr zu lesen, ihre Finanzen in die Hand zu nehmen und ein erfülltes Leben zu führen.