Die eigene Arbeitskraft ist für die meisten Menschen die wirtschaftliche Grundlage ihres Lebens. Doch wer denkt in jungen Jahren schon daran, dass ein Unfall oder eine Krankheit plötzlich alles verändern könnte? In Deutschland bleibt die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit weiterhin eine große Baustelle.
Mangelnde Sensibilisierung
Ein zentrales Problem ist die fehlende Aufmerksamkeit für dieses Thema. Insbesondere junge Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger machen sich viele Gedanken – aber kaum um die Absicherung ihrer Arbeitskraft. Der Wert einer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) ist für viele abstrakter als der einer Kfz-Versicherung. Dabei ist das finanzielle Risiko enorm: Wer monatlich 3.000 Euro verdient, erzielt in 40 Berufsjahren ein Gesamteinkommen von über 1,5 Millionen Euro. Doch diese Summe haben die wenigsten vor Augen.
Bezahlbarkeit als großes Hindernis
Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist für viele Berufsgruppen finanziell kaum noch tragbar. „Der Preiskampf ist völlig unsinnig und wird in eine falsche Richtung geführt“, kritisierte Michael Franke, Geschäftsführer des Analysehauses Franke und Bornberg, im Sommer 2024 im Interview mit Cash. Besonders die immer feinere Differenzierung nach Berufsgruppen sehen Analysehäuser kritisch. Franke warnt sogar davor, dass die derzeitigen Markttrends die Zukunft der Berufsunfähigkeitsversicherung in ihrer aktuellen Form gefährden könnten.
Vor allem für Menschen mit körperlich anspruchsvollen Berufen sind die Beiträge oft unerschwinglich. Handwerker, Pflegekräfte, Industrie- und Bauarbeiter zahlen deutlich höhere Prämien als Akademiker mit Bürojobs. Dadurch müssen ausgerechnet diejenigen, die am meisten auf eine Absicherung angewiesen wären, oft darauf verzichten. Statistiken unterstreichen das Problem: Laut einer Untersuchung der Versicherungswirtschaft besitzen nur rund 25 bis 30 Prozent der Berufstätigen in Deutschland eine BU-Versicherung. Die restlichen 70 Prozent stehen im Ernstfall ohne finanzielle Absicherung da. Die staatliche Erwerbsminderungsrente fängt nur einen Bruchteil des Einkommensverlusts auf und das auch nur unter strengen Bedingungen.
Hürden bei der Gesundheitsprüfung
Ein weiteres Hindernis stellt die Gesundheitsprüfung dar, die vor Vertragsabschluss erfolgt. Wer Vorerkrankungen hat oder psychische Belastungen wie Stress oder Depressionen in seiner Krankenakte stehen hat, erhält oft entweder gar keine Versicherung oder muss mit Ausschlüssen und hohen Zuschlägen rechnen. Doch selbst vermeintlich gesunde Antragsteller sind nicht vor Überraschungen sicher. Insbesondere die steigende Zahl psychischer Erkrankungen stellt eine wachsende Herausforderung dar. Burnout oder Depressionen sind längst keine Seltenheit mehr. Hinzu kommt das Problem fehlerhafter Patientenakten: Nach Angaben von Makler Bastian Kunkel enthalten die Krankenakten rund der Hälfte seiner Kundinnen und Kunden Diagnosen, von denen sie nichts wissen. So sollen etwa Männer Schwangerschaftsbehandlungen in ihrer Akte stehen haben oder eine Studentin fälschlicherweise als suizidgefährdet eingestuft worden sein. Solche Falscheinträge bleiben oft unbemerkt – bis die Betroffenen eine BU-Versicherung abschließen oder in die private Krankenversicherung wechseln wollen. Kunkel schätzt, dass etwa ein Viertel der Betroffenen aufgrund solcher Einträge nicht mehr an private Versicherungen vermittelbar ist.
Versicherungsschutz oft unzureichend
Die Diskrepanz zwischen Bedarf und tatsächlicher Absicherung ist erheblich. Nach Berechnungen von Michael Franke gibt es bei rund 46 Millionen Berufstätigen nur etwa 5,9 Millionen selbstständige Invaliditätsversicherungen und 10,9 Millionen Zusatzversicherungen. „Das Problem liegt darin, dass viele Zusatzversicherungen lediglich die Beitragsbefreiung der Hauptversicherung absichern und keine echten Renten darstellen. Zudem gibt es zahlreiche Verträge mit pauschalen Leistungen, etwa 500 Euro“, erklärt Franke. Stichproben hätten gezeigt, dass viele Verträge mit Mini-Renten von 500, 1.000 oder 1.250 Euro abgeschlossen wurden. „Natürlich gibt es auch Verträge, die den tatsächlichen Bedarf absichern. Aber insgesamt gibt es zu wenige Policen, und viele bestehende Verträge sind nicht bedarfsgerecht. Man muss es deutlich sagen: Die Beitragsbefreiung für Rentenversicherungen macht Sinn, aber Verträge mit Mini-Renten kann man sich wirklich schenken“, so Franke. Frankes Aussagen zeigen: Das System der Arbeitskraftabsicherung hat Lücken und ein enormes Wachstumspotenzial.
Dieser Artikel ist Teil des EXKLUSIV Berufsunfähigkeit. Alle Artikel des EXKLUSIV finden Sie hier.