Nie zuvor war die Betreuung von Kundinnen und Kunden so wichtig – aber auch leicht umsetzbar – wie heute. Gerade die Versicherungswirtschaft sieht sich beinahe durchgehend mit Anfragen konfrontiert. Die Digitalisierung macht eine erhöhte Erreichbarkeit notwendig. Angebote werden vom Sofa aus recherchiert, erste Fragen kommen auf. Viele Kundinnen und Kunden zögern dann, zu Kontaktformularen oder gar dem Telefon zu greifen. Zeit und Nähe sind entscheidend, um Kundinnen und Kunden nicht während des Erstkontakts zu verlieren.
Je niedrigschwelliger mit den Kunden in Kontakt getreten wird, desto erfolgreicher die weitere Betreuung.
Neben den klassischen Kanälen wie Agenturen und Telefonie sowie stärker genutzten Self-Services wie Apps für Vertragsübersichten und -änderungen, ergänzen online- und dialogbasierte Wege das Instrumentarium: Live-Chat, Sprachbot, Chatbot. Der Einsatz von Chatbots kann, als vorgelagerte Instanz, den entscheidenden Unterschied für die erfolgreiche Betreuung darstellen. Im Tool-Kit der Kundenbetreuung hat jeder der aufgezeigten Kanäle unterschiedliche Vorteile.
Dazu gehören neben Kostenvorteilen eine 24/7-Verfügbarkeit sowie stärkere Personalisierungsmöglichkeiten. Entscheidend ist das Verständnis wie diese Mittel orchestriert werden. Grundsätzlich gilt: Jeder Kanal, der zur Kundeninteraktion eingesetzt wird, muss explizit den Kunden einen erlebbaren Mehrwert bieten. Empfehlenswert sind Kanäle, die von den Kunden nachgefragt werden und einen wirklichen Mehrwert darstellen. Leicht auffindbar und intuitiv bedienbar müssen diese gestaltet sein.
Die Zeit der Bots
Kunden widmen sich stärker der dialogbasierten digitalen Kommunikation. Dementsprechend haben sich auch Chatbots als digitaler Touchpoint etabliert. In den letzten fünf Jahren hat sich das Interesse der Kunden an Chatbots laut Google Trends fast verfünffacht. Zufrieden sind Kunden dann, wenn der Chatbot schnell erreichbar ist und den funktionalen Nutzen mit emotionaler Ansprache optimal vereint. Für die anbietenden Unternehmen offerieren Chatbots klare Vorteile.
Da wäre zum einen die Verfügbarkeit: Der Chatbot steht den Usern 24/7 zur Verfügung. Zudem profitiert das Unternehmen von Kostenvorteilen bei gleichzeitig steigender Kundennähe. Hinzu kommt, dass Chatbots zu einer signifikanten Reduktion der Anfragen im Customer Service führen. Eine Studie von Aidbusiness zeigt: 44 Prozent der Kunden bevorzugen, mit einem Chatbot zu kommunizieren, anstatt mit einem echten Menschen.
Gleichwohl sind Entscheidungsträger oft noch skeptisch gegenüber Chatbots. Der Grund: In der Startphase der Chatbots ab 2016 erfüllten die digitalen Helfer die Erwartungen der Nutzer häufig nicht. Bis 2018 sahen 72 Prozent der Kunden ihre Erwartungen als nicht erfüllt an, wie ein Chatbot-e-Studie zeigte. Heute sind Chatbots ausgereifter und werden von den Kundinnen und Kunden aktiv nachgefragt. Die klare Botschaft in Unternehmen sollte daher lauten: Chatbots einzuführen lohnt sich, wenn sie richtig eingesetzt werden und Probleme der Nutzerinnen und Nutzer lösen.
Jedoch ist für Chatbots im Bereich der Versicherungswirtschaft das Vertrauen der Kundinnen und Kunden eine Herausforderung. In diesem Umfeld sind die Interaktionen teilweise komplex und betreffen sensible Themen der persönlichen Lebenssituation des Kunden. Ob Kundinnen und Kunden den jeweiligen Chatbot nutzen, hängt auch davon ab, welche vorherige Erfahrung sie mit Chatbots gesammelt haben.
Daher ist wichtig zu verhindern, dass Misstrauen während des Kontakts mit dem Chatbot entsteht – denn hier gegenzusteuern und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen ist äußerst schwierig. Empfehlenswert ist daher die psychologischen Verhaltensmuster, sogenannte Behavior Patterns, von Kunden zu adressieren. Der Chatbot kann im Dialog durchgängig versuchen, „Liking“ zu erzeugen. Zum Beispiel kann der Dialog mit „Schön, Ihnen heute helfen zu dürfen!“ begonnen und anschließend über den gesamten Dialog kommuniziert werden, dass Chatbot und Nutzer:in ein gemeinsames Ziel verfolgen.
Der Weg zum digitalen Helfer – Chatbots einführen
Für ein erfolgreiches Gelingen beim Thema Chatbots ist es sinnvoll, mit einem konkreten und kleinerem Use Case zu starten. Ein Hebel in der Entwicklung: eine systematische Herangehensweise unter Einbezug der Nutzerwünsche, etwa in Design Thinking-Sessions zu etablieren. Im ersten Schritt sollte der Problemraum geöffnet werden, um die Schmerzpunkte der Kund:innen konkret zu identifizieren. Im zweiten Schritt sollten Lösungsideen gesammelt und priorisiert werden.
Es empfiehlt sich, hierbei die potenziellen Nutzer einzubeziehen, etwa durch qualitative und quantitative Befragungen. Sobald ein erster Prototyp vorhanden ist, sollte dieser beispielsweise im Rahmen eines Family-and-Friends-Tests evaluiert werden. Bei solchen Projekten ist wichtig zu beachten, dass nach Go-Live des ersten Minimal Viable Product (MVP) das Projekt nicht abgeschlossen ist. Stattdessen sollte der Chatbot durch ein iteratives Vorgehen kontinuierlich verbessert und an die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden angepasst werden.
Für die Phase nach dem Go-Live sind daher ausreichend Ressourcen einzuplanen. Zudem sollte geprüft werden, welche Fragen die Kunden häufig stellen. Optimierungen sollten hier ansetzen. Dabei sollte stetig reales Feedback der Kunden eingeholt werden, etwa durch eine kurze Bewertungsabfrage mit Daumen hoch/runter nach dem Ausspielen eines Dialogs.
So kann der Chatbot kontinuierlich ausgebaut und optimiert werden. Die vorausgehenden Schritte sind bedeutend, um in der Entwicklung des Chatbots…
die Themenvielfalt zu erhöhen
Ist der erste Themenbereich optimiert, kann mit dem nächsten, komplexeren Thema oder Produkt gestartet werden.
die Kontextsensitivität des Chatbots zu verbessern
Kommen die Nutzerinnen und Nutzer zu einer Uhrzeit in den Chat, zu der auch menschliche Ansprechpartner verfügbar wären? Wenn zusätzlich berücksichtigt wird, welche Seiten der Unternehmenswebsite Kundinnen und Kunden vor Interaktion mit dem Chatbot besucht haben, können gegebenenfalls die Inhalte dieser Seiten in der Konversation aufgegriffen werden.
die Funktionalitäten zu erweitern
Es können transaktionale Erweiterungen eingebaut werden, etwa die Möglichkeit, im Chatbot direkt ein Angebot zu berechnen und einen Kaufabschluss herbeizuführen.
verhaltenspsychologische Aspekte im Chatbot zu berücksichtigen
Die Gestaltung des Bots folgt dem Ziel, einen für den Kunden intuitiven Entscheidungsprozess zu schaffen. Beim Aufbau einer kundenorientierten und natürlichen Gesprächsführung sollten die zugrundeliegenden psychologischen Verhaltensmuster des Kunden (95 Prozent der Entscheidungen, die Kundinnen und Kunden täglich treffen, sind intuitiv und nicht rational) beachtet werden.
personalisierte Chatbots in alle Sales-Journeys des Unternehmens aufzunehmen
Die Bots könnten durch den dialoggeführten Aufbau individuellere Empfehlungen aussprechen. Tools, wie bspw. Sentiment-Analysen, könnten dabei ermöglichen, die Nutzerinnen und Nutzer und deren Empfindungen besser zu verstehen und adaptiv darauf zu reagieren.
Kunden eine seamless experience auf der Websitezu ermöglichen
Generell ist es bei der Einführung von Chatbots wichtig, einen gesamtheitlichen Blick auf die Customer Journey zu behalten und ein möglichst flüssiges Erlebnis zu gewährleisten. Dafür ist es notwendig, die Chatbots langfristig mit anderen Interaktionkanälen zu verzahnen.
Zukunftsfähige Kundeninteraktion
Die Praxis zeigt: Chatbots bieten Unternehmen zahlreiche und vor allem zeitgemäße Vorteile. Kundinnen und Kunden erwarten diese Verfügbarkeit. Zudem: Beginnt der Dialog mit dem Chatbot, sind Abschlüsse wahrscheinlicher. Heute können Unternehmen mit einem Chatbot noch begeistern, morgen nur noch Erwartungen erfüllen.
Für eine zukunftsfähige Kundeninteraktion über Chatbots ist es daher wichtig, die Bedürfnisse der Kunden im Detail zu kennen und auch den Markt stets zu beobachten – ein Blick, etwa in Richtung Asien, kann dabei viele wertvolle Impulse bieten. Die Antwortqualität des Chatbots muss regelmäßig überprüft werden, um laufend Optimierungen vorzunehmen. Unternehmen sollten intuitive Dialoge für ihre Kunden gestalten und agil sowie evidenzbasiert bei der Chatbot-Implementierung vorgehen. Damit stellen sie die Weichen für den Erfolg des Chatbots.
Der Autor Fabian Reinkemeier ist Senior Consultant bei Elaboratum