„Die neuen Regulierungsmaßnahmen sollen der chinesischen Regierung helfen, mit Unternehmen bzw. Sektoren umzugehen, von denen sie befürchtet, dass sie zu dominant werden oder sich negativ auf die Gesellschaft bzw. die Lebensgrundlagen der Menschen in China auswirken“, sagt Juliana Hansveden, Portfoliomanagerin von Nordeas Emerging Stars Equity Strategie
Strengere Regeln für Technologie- und Internetunternehmen
Zunächst waren es Chinas massive neue Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf den Internetsektor, die die Anleger verunsicherten. So leitete Peking eine datenschutzrechtliche Untersuchung des Ride-Hailing-Riesen Didi Global Inc. ein, nur zwei Tage nach dessen Börsengang in New York, der dem Unternehmen 4,4 Milliarden US-Dollar einbrachte. Hansveden und ihr Team sahen sich jedoch nicht zu Portfolioanpassungen gezwungen: „Wir haben keine wesentlichen Änderungen an unseren chinesischen Big-Tech-Beständen im Portfolio vorgenommen“, sagt Hansveden. „Wir bleiben übergewichtet in Alibaba, Tencent und Meituan. Die Kurse dieser drei Unternehmen haben korrigiert, seit die chinesischen Aufsichtsbehörden nach dem Börsengang von Didi Ermittlungen aufgenommen haben, weil sich die Stimmung unter den Marktteilnehmern verschlechtert hat.“
Aus Sicht der Expertin scheinen sich die chinesischen Aufsichtsbehörden auf chinesische Unternehmen zu konzentrieren, die über große Datenmengen verfügen, in den USA börsennotiert sind und sich mehrheitlich in ausländischem Besitz befinden. „Wir sind jedoch keine Anteilseigner von Didi und haben lediglich ein Engagement in einem chinesischen Unternehmen, das in den USA gelistet ist: Kingsoft Cloud. Dieses wiederum macht nur ein Prozent im Portfolio der Emerging Stars Equity Strategie von Nordea aus“, erklärt Hansveden.
Die direkten Auswirkungen der behördlichen Untersuchung von Didi beschränken sich aus Sicht der Expertin auf Tencent, das nach dem Börsengang von Didi einen kleinen Anteil an dem Unternehmen halte, und seien insgesamt vernachlässigbar. „Alibaba, Tencent und Meituan liegen alle deutlich unter ihren Höchstständen und wir glauben, dass die regulatorischen Risiken hier mehr als eingepreist sind“, betont Hansveden. Alle drei Unternehmen seien bereits in Hongkong börsennotiert und von den chinesischen Aufsichtsbehörden unter die Lupe genommen worden.
Auch das Unternehmen Meituan werde von der Regulierungsbehörde durchleuchtet, erläutert Hansveden, allerdings aus anderen Gründen. Meituan beschäftige eine große Anzahl von Lieferfahrern und schaffe damit viele Arbeitsplätze. Die Regierung wolle jedoch sicherstellen, dass die Angestellten angemessen geschützt seien. Daher sehe die neue Politik unter anderem vor, dass Meituan für deren Unfall- und Sozialversicherung aufkomme. „Als wir Meituan kauften, rechneten wir damit, dass irgendwann ein verstärkter Arbeitsschutz durchgesetzt werden würde“, erklärt Hansveden, „Aber wir waren der Meinung, dass die Attraktivität des Unternehmens dies aufwiegen würde. Unserer Einschätzung nach dürften die direkten finanziellen Auswirkungen der zusätzlichen Regulierungsanforderungen gering ausfallen.
Zudem kann ein Teil der höheren Kosten vermutlich an die Kunden weitergegeben werden.“ Der jüngste Kursrückgang von Meituan um 30 Prozent habe all dies mehr als einpreist, selbst wenn der Marktanteil des Unternehmens weiter unter Beobachtung stehen sollte. Bei weiteren Technologie-/Internetunternehmen wie Alibaba, Tencent und anderen, deren Kurse zuletzt gelitten hätten, sei dies eher auf die Marktstimmung zurückzuführen. Diese Unternehmen seien bereits von der Aufsichtsbehörde untersucht worden. Hansveden und ihr Team halten es deshalb für unwahrscheinlich, dass sie künftig erheblich beeinträchtigt werden.
„Für die Zukunft erwarten wir, dass in den USA gelistete chinesische Unternehmen, sogenannte American Depositary Receipts (ADRs), nach und nach von den US-Börsen genommen und in Hongkong neu gelistet werden“, erläutert Hansveden. „Wir sind vorsichtig, wenn es um weitere Investitionen in chinesische ADRs geht, da sowohl die US-amerikanischen als auch die chinesischen Aufsichtsbehörden verstärkt ihr Augenmerk auf diese richten. Wir gehen zudem davon aus, dass chinesische Unternehmen in Zukunft anderswo, vor allem in Hongkong, notieren werden, wenn sie ausländische Investoren anziehen wollen.“
Der Bildungssektor im Fokus chinesischer Regulatoren
Der Bildungssektor stehe in China seit langem unter regulatorischer Beobachtung. „Dies ist einer der Gründe, warum wir uns entschieden haben, nicht in ihn zu investieren“, sagt die Portfoliomanagerin. China verbiete Nachhilfeunterricht gegen Bezahlung in den wichtigsten Schulfächern, um den finanziellen Druck auf die Familien zu verringern, der zu den niedrigen Geburtenraten beigetragen habe – eine Nachricht, die den riesigen privaten Bildungssektor des Landes erschüttert und die Aktienkurse habe abstürzen lassen. „Die Regierung befürchtet, dass sich die Nachhilfe nach der Schule negativ auf die Gesundheit der Kinder auswirken könnte, da sie nach der Schule zu viel Zeit im Sitzen verbringen, statt zu spielen, und außerdem zu viele Hausaufgaben machen müssen, was verständlicherweise sehr beunruhigend ist“, führt Hansveden aus.
Nach den Zahlen der Chinesischen Gesellschaft für Bildung erhielten im Jahr 2016 mehr als 75 Prozent der Schüler im Alter von 6 bis 18 Jahren in China Nachhilfeunterricht. „Anekdotische Hinweise deuten darauf hin, dass dieser Prozentsatz sogar noch gestiegen ist“, sagt Hansveden. Es drohe deshalb die weitere Dezimierung von Chinas 120 Milliarden US-Dollar schweren privaten Nachhilfeindustrie. Entsprechend habe es bereits einen starken Ausverkauf der Aktien von Nachhilfeunternehmen gegeben, die in Hongkong und New York gehandelt werden, darunter New Oriental Education & Technology Group und Koolearn Technology Holding Ltd.
„Aus unserer Sicht wird sich die chinesische Nachhilfeindustrie davon nicht wieder erholen können“, kommentiert Hansveden. „Nach den neuen Vorschriften dürfen die Unternehmen keine Gewinne mehr erzielen, und ihre Tätigkeit auch nicht über ausländisches Kapital finanzieren. Dabei sind viele dieser Unternehmen ADRs.“ Aus Sicht der Expertin ist es wahrscheinlich, dass einige dieser Unternehmen ihre Börsennotierung aufgeben werden, während andere sich dafür entscheiden, in einer anderen Form weiterzuarbeiten. „Aus diesen Gründen ist jetzt kein optimaler Zeitpunkt, um sich als Aktionär in diesem Sektor zu engagieren, auch wenn es möglicherweise noch einige interessante Chancen im Berufsbildungssektor gibt, der sich an ältere Schüler richtet“, urteilt Hansveden.
Was bedeutet das für Anleger?
„Wir sind der Meinung, dass die regulatorischen Änderungen von Fall zu Fall betrachtet werden müssen, da die Auswirkungen auf die einzelnen Unternehmen und Branchen unterschiedlich sind“, fasst Hansveden zusammen. Viele der regulatorischen Risiken seien durch die jüngsten Aktienbewegungen bereits eingepreist. „80 Prozent der in China geschaffenen Arbeitsplätze entfallen auf den Privatsektor, und wir glauben, dass die Regierung diesen Sektor unterstützen will“, so die Portfoliomanagerin. „Es gibt jedoch einzelne Branchen, die ernsthafte Probleme haben, die die Regierung mit diesen jüngsten regulatorischen Änderungen zu lösen versucht.“