Hamsterkäufe, Quarantänen, abgesagte Veranstaltungen: Die Furcht vor dem Corona-Virus steigt. Und verunsichert die Menschen. In einem Interview erklärt Psychologin Karin Clemens, Geschäftsführerin des R+V-Dienstleisters HumanProtect, wie man mit Ängsten umgeht und Panik vermeidet.
Das Corona-Virus ist in Deutschland angekommen. Alle stehen Kopf, überall tagen Krisenstäbe. Weshalb ist die Angst so groß?
Clemens: Menschen denken und handeln in Mustern, Gewohnheiten, Stereotypien. Die komplexe Welt wird damit einfacher, überschaubarer, kontrollierbarer. Auf Bedrohungen wie ein unbekanntes Virus reagiert das Gehirn höchst sensibel. Es überlegt mit Hochdruck: Wie kann ich die Gefahr vermeiden, abwehren oder sogar vor ihr flüchten?
Und in dieser Situation sind wir gerade?
Clemens: Ja, momentan erhalten wir ständig Signale, die Bedrohung erwarten lassen. Die massive, tägliche Berichterstattung über Neuinfektionen, Todesraten, Verbreitung in neuen Ländern und Regionen löst Ängste aus. Hinzu kommen Informationen über drastische Vorsorgemaßnahmen. Es klingt gefährlich, wenn ganze Schulen unter Quarantäne gestellt werden oder Firmen ihre Tore schließen.
Was würde helfen, die Situation zu entschärfen?
Clemens: Ich vermisse eine gewisse Verhältnismäßigkeit von Berichterstattung, Aufklärung und Raum, dem man dem Thema gibt. Die meisten Erkrankten werden wieder gesund, häufig verläuft die Krankheit mild. Aber diese Tatsache geht bei vielen unter, bleibt nicht im Gehirn haften.
Warum nützt der Appell, dass es keinen Grund zur Panik gibt, nichts?
Clemens: Auch gut gemeinte Beruhigungsversuche können ins Gegenteil umschlagen, wenn sie falsch formuliert sind. Das Gehirn kennt keine Verneinung. Von der Aussage „keine Panik“ bleibt nur das Wort „Panik“ hängen, also Gefahr. Besser sind Aussagen wie „bleiben Sie ruhig“.
Selbst Experten sind sich nicht einig, wie gefährlich die Lungenkrankheit ist. Verwirren die unterschiedlichen Informationen die Menschen?
Clemens: Mehr noch, widersprüchliche Aussagen schüren auch Ängste und Misstrauen nach dem Motto „Da ist doch was faul“.
Können Fakten die Menschen beruhigen?
Clemens: Ja, wenn sie eindeutig sind. Aber auch hier kann uns unser Gehirn einen Streich spielen und selbst beruhigende Nachrichten wecken dann plötzlich auch Argwohn. Ein Beispiel: Überall wird kommuniziert, dass sorgfältiges Händewaschen vor einer Infektion schützt. Wird dieser Rat jedoch zu oft und vor allem zu vehement wiederholt, kann er am Ende eher Ängste schüren.
Derzeit erleben wir einen Run auf Nudeln, Konserven oder H-Milch. Was halten Sie von Hamsterkäufen?
Clemens: Grundsätzlich ist es ja nicht verkehrt, ein paar Vorräte zuhause zu haben. Und wenn es die Menschen beruhigt, können sie jetzt auch ein Päckchen Nudeln mehr als üblich kaufen.
Aber sie sollten sich nicht hineinsteigern, sondern sich immer wieder vor Augen halten, dass die Versorgungslage in Deutschland hervorragend ist. Wenn in den Geschäften die Regale leer sind, fühlen sich auch weniger ängstliche Menschen plötzlich bedroht.
In Krankenhäusern reißen Besucher Desinfektionsmittel-Spender von der Wand. Weckt Corona niedere Instinkte?
Clemens: Wenn das Gehirn auf Bedrohungsmodus umschaltet, ist manchen Menschen jedes Mittel recht, um sich vor der Gefahr zu schützen. Aber wir sollten uns hier immer wieder die Frage der Verhältnismäßigkeit stellen.
Schließlich haben wir Menschen die Fähigkeit, besonnen und überlegt zu entscheiden und entsprechend zu handeln. Ängste sind wichtig, sogar überlebenswichtig. Aber Panik ist kein guter Ratgeber.
Gibt es einen Ausweg aus der Panik?
Clemens: In akuten Stresssituationen hat sich die Quart-A-Strategie bewährt: Annehmen, abkühlen, analysieren, Aktion oder Ablenkung. Spielen wir das mal am Beispiel Corona durch. Das Virus ist da, ich kann nichts dagegen tun. Also darf ich mich nicht hineinsteigern, sondern sollte die Situation annehmen – es ist, wie es ist.
Danach muss ich die überschießende Erregung in den Griff bekommen, damit ich wieder klar denken kann. Manchmal reicht es schon aus, tief ein- und auszuatmen, also buchstäblich Dampf abzulassen.
Auch Entspannungsübungen oder Bewegung können hier helfen. Abgekühlt kann ich dann analysieren, was ich momentan tun kann. Eine Aktion, um mich zu schützen, wäre regelmäßiges und gründliches Händewaschen. Und damit ich nicht dauernd an die Gefahren denken muss, kann ich mich ablenken und etwas tun, was mir Freude macht.
Foto: R+V