Coronomics lässt Kapitalkosten in der Eurozone kräftig steigen

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Von ignorant bis irrational reichen viele Einschätzungen zur laufenden Erholungsrallye an den Aktienbörsen. Dabei haben gestiegene Risikoprämien für viele Unternehmen die Hürde zur Wertschöpfung noch höher gelegt. Christophe Bernard analysiert die augenscheinliche Entkopplung von Wall und Main Street und erläutert, warum eine kapitalkostenbasierte Analyse weiterhin US-Techwerte begünstigt.

Von ignorant bis irrational reichen viele Einschätzungen zur laufenden Erholungsrallye an den Aktienbörsen. Dabei haben gestiegene Risikoprämien für viele Unternehmen die Hürde zur Wertschöpfung noch höher gelegt. Christophe Bernard analysiert die augenscheinliche Entkopplung von Wall und Main Street und erläutert, warum eine kapitalkostenbasierte Analyse weiterhin US-Techwerte begünstigt.

Ökonomen sprechen von dem stärksten Wachstumseinbruch seit der Weltwirtschaftskrise, aber die Aktienkurse kennen seit Wochen nur eine Richtung, nämlich aufwärts. Neue Höchststände für den Technologie-Index Nasdaq und eine mehr als schleppende Kursentwicklung bei vielen Industriewerten werfen Fragen nach Gewinnprognosen, Wachstumsmöglichkeiten und Risikoprämien auf.

Die blitzartige digitale Umstellung vieler Handelszweige gleicht eher einem Meteoriteneinschlag, statt einem Transformationsprozess. In nur wenigen Wochen hat ein Großteil der Unternehmen seine Arbeitsabläufe weitestgehend in die Wohnungen der Arbeitnehmer verlagert. Diese wiederum haben ihren Konsum umgehend auf Onlineangebote umgestellt. Der Zuwachs von E-Commerce-Umsätzen innerhalb der Monate März und April entspricht der Entwicklung mehrerer Jahre, verglichen mit der Zeit vor Ausbruch der Pandemie.

Börsenwerte diskontieren bekanntermaßen die Zukunft. Mögen viele Analysen auch komplex sein, die dahinterstehende Formel ist simpel: der heutige Wert einer risikobehafteten Anlage ist die Summe der zukünftigen Erträge, die mit der Differenz aus Kapitalkosten und Wachstumsrate auf die Gegenwart abgezinst werden. Kapitalkosten umfassen die Verzinsung einer risikofreien Anlage und einen Risikoaufschlag. Dieser schwankt, je nachdem wie Investoren das wirtschaftliche Umfeld einschätzen.

Kapitalkosten in Eurozone nach Corona gut ein Drittel höher

Dieses Prinzip ändern auch die neuen Rahmenbedingungen der „Coronomics“ nicht. Niedriges Wachstum drückt auf den Unternehmenswert. Jetzt, wo schnelle Anpassung und Flexibilität gefragt sind, leiden die Unternehmen der Eurozone unter dem Image, schwerfälliger als ihre internationalen Pendants zu sein. Investoren trauen ihnen weniger Wachstum zu und verlangen eine höhere Risikoprämie. In Europa steigen daher die Kosten der privaten Kapitalbeschaffung stärker, als Im Vergleich zu den USA.

Bereits in der Zeit vor Corona gab es in Euroland eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Unternehmen, deren Ertragskraft nicht ausreichte, um die Kapitalkosten von etwa 6 Prozent zu decken. Infolge der Pandemiebekämpfung sind viele Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Staatliche Beihilfen federn vorübergehend den Schaden ab. Dennoch konzentriert sich privates Kapital bevorzugt in Branchen mit steigenden Gewinnen. Aktuell taxieren Experten die Renditeanforderung der Eigenkapitalgeber für die Länder der Eurozone zwischen 8 und 9 Prozent. Das weicht stark von den Werten für die USA ab, wo die Kapitalkosten aktuell auf etwas über 5 Prozent geschätzt werden, während der historische Durchschnitt eher 4 Prozent ist.

Im Kern geht es bei der Kapitalkostenanalyse um den Denkprozess eines Unternehmers: Welches Kapital soll wo, zu welchen Kosten und für welche Rendite eingesetzt werden. Wieviel freier Cash-Flow steht dem Unternehmen anschließend für die Expansion zur Verfügung. Projekte, deren Rendite die Kosten für das eingesetzte Kapital nicht einspielt oder übertrifft, sind Wertvernichter.

Turbo-Transformation begünstigt Turbo-Kapitalismus

Angesichts dieser Zusammenhänge lässt sich die Beliebtheit amerikanischer Nasdaq-Konzerne gut nachvollziehen. Die digitale Blitztransformation weiter Teile unserer Wirtschaft spielt dem Geschäft der dominanten US-Techriesen genau in die Hände. Mit harten Bandagen erkämpfte Wettbewerbsvorteile treiben die Rendite ihrer Geschäftsmodelle deutlich über das in den USA ohnehin niedrige Kapitalkostenniveau. Das wiederum schafft mehr Spielraum für den Ausbau ihrer technologischen Ökosysteme. Plattformeffekte sorgen für einen Turboantrieb in der Gewinnentwicklung und bringen Resilienz in die Geschäftsmodelle.

Ein besonders gutes Beispiel hierfür ist Microsoft. Der CEO kommentierte den Rekordgewinn des vergangenen Jahres damit, er beobachte wie Organisationen, die ihre eigenen digitalen Fähigkeiten aufbauen, sich schneller erholen und aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Sein Unternehmen liefert alle nötigen Werkzeuge für diese Transformation. Setzt man hier eine Kapitalkostenbetrachtung an und vergleicht für mehrere Unternehmen, wieviel den Börsianern ein Dollar Überschuss über die Kapitalkosten wert ist, ergibt sich sogar für eines der größten Unternehmen der Welt, Microsoft, noch Aufwärtspotential.

In einem Umfeld niedriger oder negativer Wachstumsraten gewinnt eine starke Wettbewerbsposition mit überdurchschnittlich hohen Ertragsperspektiven an der Börse mehr Wert. Das ist nicht neu. Höhere Kapitalkosten in Gestalt steigender Renditeanforderungen seitens der Investoren verschärfen diesen Effekt aber bis hin zu einer ununterbrochen weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen vermeintlichen Value-Werten und den Profiteuren der digitalen Turbo-Transformation.

Aussagekräftiger als die herkömmliche Betrachtung von KGVs ist es, den Ertragsüberschuss von Unternehmen über ihre Kapitalkosten ins Verhältnis zur Börsenbewertung zu setzen. Insofern ist die Börsenentwicklung auch in Zeiten von Corona weder irrational noch ignorant. Sie erfordert aber differenzierte Analyse-Werkzeuge. Geht es nach Unternehmensrendite und Kapitalkostenüberschuss, gehören US-Technologiekonzerne fundamental bewertet weiter ins Depot.

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