Seit Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020 ist häufig von Trends die Rede, die durch die Pandemie beschleunigt worden sind, und das in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen: Online-Shopping zum Beispiel, mobiles Arbeiten, der Siegeszug der Streamingdienste. Und auch der Trend zum Haustier gehört dazu: Im vergangenen Jahr lebten 34,9 Millionen Hunde, Katzen, Kleinsäuger und Ziervögel in deutschen Haushalten, ein Zuwachs um knapp eine Million im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt gab es in 47 Prozent und damit fast der Hälfte aller Haushalte mindestens ein Heimtier. Dies zeigt eine Erhebung, die das Marktforschungsinstitut Skopos zu Beginn des zweiten Lockdowns im Herbst 2020 für den Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) und den Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands (ZZF) durchgeführt hat. Die langen Monate des Lockdowns haben offensichtlich viele Deutsche dazu veranlasst, sich ein Haustier anzuschaffen – sie waren aber nicht der alleinige Grund für den deutlichen Zuwachs.
„Der Zuwachs an Heimtieren ist natürlich erfreulich, kommt aber nicht ganz unerwartet“, kommentiert Georg Müller, Vorsitzender des IVH, die Entwicklung. „Der seit vielen Jahren anhaltende Trend zu Vierbeinern, besonders zu Hunden und Katzen, wurde 2020 sicherlich noch durch die besonderen Homeoffice-Umstände während der Coronakrise verstärkt. Aber unsere Befragung zeigt, dass über alle Heimtierarten hinweg entscheidende Gründe für eine Tieranschaffung insbesondere passende Gelegenheiten oder eine Neuanschaffung nach dem Tod des bisherigen Heimtieres sind“, so Müller.
Auch die Umsatzzahlen der Heimtiernahrungs- und Bedarfsindustrie unterstreichen den Trend zum Haustier, sie stiegen im vergangenen Jahr zum Teil deutlich. Der Gesamtumsatz im stationären Einzelhandel erreichte 2020 im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 4,3 Prozent und lag bei 4,5 Milliarden Euro. Dazu addierten sich 822 Millionen Euro, die online umgesetzt wurden (eine Steigerung von über 16 Prozent), sowie 128 Millionen Euro für Wildvogelfutter. Damit lag der Gesamtumsatz der deutschen Heimtierbranche 2020 bei rund 5,5 Milliarden Euro. Eine beachtliche Summe.
„Ich stimme mit vielen Experten aus unserer Branche überein, dass die Corona-Pandemie für die Umsatzentwicklung im deutschen Heimtiermarkt ein relevanter Einflussfaktor war“, sagt Norbert Holthenrich, Präsident des ZZF, mit Blick auf die Zahlen. „Heimtiere sind für viele Menschen Familienmitglieder, für deren Gesundheit Tierhalter bereit sind, Geld auszugeben. Im vergangenen Jahr standen die Beschäftigung mit Tieren, gesunde Ernährung und Neuanschaffungen für das Zuhause für Mensch und Tier im Mittelpunkt.“
Die Katze ist gemäß der Skopos-Erhebung nach wie vor Deutschlands Heimtier Nummer eins: Insgesamt leben 15,7 Millionen Katzen in 26 Prozent der Haushalte. An zweiter Stelle folgen 10,7 Millionen Hunde in 21 Prozent der Haushalte. In 5 Prozent der Haushalte leben 5 Millionen Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster und Mäuse. „Die Marktentwicklung der Heimtierbranche und die steigende Zahl der Heimtiere in Deutschland zeigen, dass die Deutschen nach wie vor das Leben mit Heimtieren lieben und ihre Tiere, vielleicht sogar gerade auch in besonderen Zeiten wie der aktuellen Pandemie, gewissenhaft pflegen und versorgen“, schlussfolgern die Chefs von IVH und ZZF. Der Trend zum Haustier spiegelt sich auch im Produktangebot der Versicherungsbranche wider: War die Sparte Tierversicherungen bis vor wenigen Jahren eher Spezialanbietern vorbehalten, tummeln sich mittlerweile viele Versicherer auf dem Markt. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) listet derzeit 46 Versicherer auf, die Tierversicherungen anbieten, darunter Branchengrößen wie die Allianz, Axa und Gothaer – Tendenz steigend. „Wir stellen fest, dass es seit Jahren immer mehr Versicherer gibt, die Tierkranken- bzw. Tier-OP-Versicherungen anbieten. Vor zehn Jahren konnte man die Anbieter noch an einer Hand abzählen, jetzt werden es sukzessive mehr“, bestätigt Melanie Freund, Leiterin des Fachbereichs Schaden, Unfall, Haftpflicht beim Analysehaus Softfair. „Dass es generell einen Markt für Tierkrankenversicherungen gibt, sieht man auch daran, dass wir bei Softfair im Jahr 2020 einen entsprechenden Vergleichsrechner gebaut haben, weil die Nachfrage unserer Kunden so groß ist.“
Das Angebot der Versicherer umfasst im wesentlichen die Bereiche Tierhalterhaftpflicht und Tierkrankenversicherungen. Eine Tierhalterhaftpflicht wird in erster Linie für Hunde und Pferde benötigt, bei Katzen und anderen Kleintieren greift die Privathaftpflicht. „Die Halterinnen und Halter sind zunehmend interessierter an diesem Thema“, stellt Marco Schmidt-Spaniol mit Blick auf Tierversicherungen fest, Chief Sales Officer der W&W-Digitaltochter Adam Riese, die eine Hundehalterhaftpflicht anbietet. Je länger der Trend zum Haustier anhalte, desto deutlicher sei ein gewisses Konsumentenverhalten erkennbar: „Die Menschen sind sehr bereit, etwas Gutes für ihr Haustier zu tun, und reagieren sensibel auf die Möglichkeiten, die es in der Absicherung ihres Tieres gibt.“
Die Hundehalterhaftpflicht ist in sechs Bundesländern gesetzlich vorgeschrieben – unabhängig von der Rasse. Jedoch sind auch in anderen Bundesländern einzelne Rassen und als gefährlich eingestufte Hunde versicherungspflichtig, die sogenannten Listenhunde. In Mecklenburg-Vorpommern und Bayern hingegen wird eine Hundehalterhaftpflicht lediglich empfohlen. „Allein schon aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben ist zumindest Hundehaltern sehr bewusst, dass sie sich um das Thema Tierhalterhaftpflicht kümmern müssen. Das Bewusstsein und die Sensibilität, dass man in Sachen Versicherung handeln muss, ist bei den meisten Haltern gegeben, das gilt auch für die Tierkrankenversicherung“, sagt Freund. Der Hund übernehme immer mehr die Rolle des Familienmitglieds. „Da ist man als Halter natürlich auch gewillt, ihm die bestmögliche Krankenversorgung zukommen zu lassen.“
Doch nicht alle Tierhalter seien für das Thema Absicherung schon hinreichend sensibilisiert, meint Stephan Schinnenburg, Vorstand der Deutschen Familienversicherung (DFV). Er hat festgestellt, dass sich insbesondere viele Neuhundebesitzer nicht im Klaren darüber sind, dass dem Hund so ziemlich all das passieren kann, was auch dem Menschen passieren kann, zum Beispiel Bänder- oder Kreuzbandrisse. „Dann stellen die Halter plötzlich fest, dass die Behandlung ein paar hundert bis hin zu tausend Euro kosten kann. Da ist also noch Aufklärungsarbeit von uns allen zu leisten.“ Die DFV bietet sowohl Tierkrankenversicherungen für Hunde und Katzen als auch eine Hundehalterhaftpflicht an. „Wir haben unsere Hundekrankenversicherungskunden angeschrieben und haben festgestellt, dass die Quote derjenigen, die keine Hundehalterhaftpflicht haben, weiter über einem Drittel lag. Das erschreckt einen dann schon ein bisschen, denn es ist natürlich eine klassische Aufgabe des Vermittlers, darauf hinzuweisen, dass es die erste Pflicht eines jeden Hundebesitzers ist, den Hund haftpflichtmäßig abzusichern – zum Schutz gegen entsprechende finanzielle Verpflichtungen, die aus einem Missgeschick oder einer Attacke des Hundes entstehen können.“ Selbst wenn ein Kunde sage, dass er eigentlich nur eine Krankenvollversicherung haben möchte, müsse der Vermittler ihm deutlich machen, dass die Investition in die Tierhalterhaftpflicht existenziell wichtig sei, so Schinnenburg.
Die Vermittler wiederum würden das Thema Tierversicherungen mittlerweile gut annehmen, weil es lukrativ geworden sei, ergänzt Schmidt-Spaniol. „Es gibt eine Bewegung im Maklermarkt weg von den hochspezialisierten Maklerinnen und Maklern, die solche Produkte anbieten, hin zur Masse“, sagt er. Diese Änderung des Produktes am Markt habe bereits stattgefunden. „Tierversicherungen sind heute ein essenzielles Produkt und werden es auch in Zukunft sein.“ Denn besonders in Familien wird der Trend zum Haustier wohl weiter anhalten – auch nach Corona. Oder wie Schinnenburg es ausdrückt: „Das letzte Kind hat Fell.“