Na? Wie geht es Ihnen? Wo erwische ich Sie gerade? Ich möchte Ihnen heute einen Fall aus meiner Beratung* vorstellen, wie er mir am Fürstenberg Institut immer wieder begegnet:
„Meine Kinder sollen es besser haben“: Ein Satz mit Sprengstoff, denn was genau das heißt und wie das gehen soll, ist dabei nicht ganz klar. Klar ist aber, dass nichts so sein darf wie früher: Kein Streit, kein Ärger, keine Dissonanzen. Dieses Ideal ist so weit weg von einer echten natürlichen Beziehung, dass spätestens mit den Problemen der Corona-Zeit alles angezweifelt wird.
Frau B., 38, hat eine schwierige Kindheit hinter sich: Ihr Vater war nie da und wenn, dann hieß es, aufzupassen, um ihn nicht zu verärgern. Ihre Mutter ließ viel über sich ergehen und wehrte sich nicht – drohte allerdings immer wieder damit, sich das Leben zu nehmen. Frau B. versuchte, sich und ihren kleinen Bruder so gut wie möglich durch diese Kindheit zu manövrieren, bespaßte ihn, kümmerte sich, war für ihn da und hielt Ärger möglichst fern von ihm.
Mittlerweile hat Frau B. ihre eigene kleine Familie: Zwei Kinder von vier und sechs Jahren, Mann und Hund, ihren Job und ein kleines Reihenhaus – eigentlich perfekt! Dafür tut Frau B. auch alles, denn die Kinder sollen es besser haben als sie: eine Kindheit voll Liebe, Vertrauen und Sicherheit. Ohne Geschrei, immer füreinander da.
Und Zack! ist die Falle zugeschnappt. Denn Frau B.s Seele hat nie gelernt, wie das geht: eine „normale“ Beziehung. Liebe wurde von ihr als gefährlich abgespeichert. Vertrauen? Besser nicht! War auch zu gefährlich… Aber da ist dieses Ideal – gebaut aus dem, was Frau B. im Außen wahrgenommen hat. Wie sie sich eben vorgestellt hat, wie Familienidylle geht.
Mist. Damit war Frau B. weit weg von jeder „normalen“ Beziehung. Eine normale Beziehung, nicht die idealisierte, hat eben auch mal Probleme – ohne daran zu zerbrechen. Denn Probleme tauchen bei ihr seit Corona zunehmend auf: Jetzt, wo sie und ihr Mann im Homeoffice sind, kracht es öfter und dieser Krach versetzt Frau B. in eine Art Panik-Zustand. Sie weint plötzlich ohne Grund und schläft schlecht. Probleme machen in einer idealisierten Idylle Angst!
Tatsächlich hat Frau B. ihr Leben als Mutter auch vor Corona schon zunehmend überfordert, denn sie hat ihre eigenen Genzen und Bedürfnisse ihrem Ideal geopfert. Der emotionale Stress, der Druck, zeigt sich bei ihr seit Längerem auf körperlicher Ebene:
Sie fühlt sich zunehmend freudlos und antriebslos, geplagt von einer inneren Unruhe und immer wieder erlebt sie sich den Kindern gegenüber dünnhäutig und aggressiv, was bei ihr massive Schuldgefühle hervorruft.
Vor diesem Hintergrund hat sich Frau B. einen Termin bei mir geholt: Sie wisse nicht, ob sie sich nicht besser trennen solle. Es ist doch eh alles kaputt! Sie habe große Angst, dass sich jetzt die Vergangenheit, das alte Trauma wiederholt – „dabei sollten es ihre Kinder doch besser haben als sie“.
Meine Arbeit lag bei Frau B. in der Integration ihrer eigenen Vergangenheit und der Entwicklung eines eigenen Familienideals, entlang des Möglichen, unter Berücksichtigung der empfindlichen Grenzen und speziellen Bedürfnisse von Frau B. Was das genau heißen kann, klang für sie ziemlich verrückt aber es braucht eben manchmal den Mut für genau das, was ist: Wir haben gesprochen über eine Beziehung mit Vernunft statt Liebe. Mit Sicherheit, aber ohne Vertrauen.
Erst dann, in dieser splitterfasernackten Echtheit, war für Frau B. ein Neulernen von echter Beziehung möglich. Innerhalb weniger Sitzungen geschah plötzlich das, was Frau B. nie für möglich gehalten hatte: Eine „normale“ Beziehung, in der Frau B. die Verantwortung für ihr Verhalten annehmen konnte ohne in Schuldgefühlen zu versinken. Es kam Ruhe ins System. Erst innen, dann außen. Damit war Frau B. plötzlich näher an ihrem vermeidlichen Ideal, als je gedacht hätte.
Hier meine Tipps für Sie:
- Selbstannahme: Verleugnen Sie nicht, wer sie sind – niemand ist perfekt.
- Abgrenzung: Leben Sie Ihr Ideal, aber gebaut entlang Ihrer Bedürfnisse und Grenzen.
- Mut: Trauen Sie sich Ihrer Familie zu. Sie sind genau richtig.
- Innere Erlaubnis: Probleme dürfen sein. Sie sind nicht mehr – wie früher – in Gefahr.
- Akzeptanz: Wenn ein gesundes Beziehungsverhalten nicht gelernt werden konnte, können Sie es noch lernen. Aber es wird nie Ihre Muttersprache. Akzeptieren Sie Ihren „Akzent“.
- Hilfe: Wenn die die Not zu groß wird, holen Sie sich Hilfe. Sie müssen nicht alles alleine schaffen.
*Der Fall wurde mit dem Einverständnis der Betroffenen anonymisiert.
Autorin Mareike Fell ist systemischer Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie und ist als Beraterin und Trainerin in der externen Mitarbeiterberatung für das Fürstenberg Institut tätig. Internet: www.fuerstenberg-institut.de