Der erbrechtliche Pflichtteilsanspruch

In der Praxis kommt es vor, dass Personen, die nach dem Gesetz als Erben anzusehen sind, aufgrund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers enterbt werden. Umgekehrt gibt es Konstellationen, in denen der Erblasser Gründe hat, bestimmte Personen von der Erbfolge weitestgehend auszuschließen.

Gastbeitrag von Jürgen Streichert, Rechtsanwalt

Jürgen Schreiter: „Bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches ist auf den wahren Wert des Erblasservermögens zu achten.“

Nach dem im deutschen Erbrecht geltenden Grundsatz der Testierfreiheit könnte man annehmen, der Erblasser könne durch letztwillige Verfügung völlig frei bestimmen, dass einzelne Personen an dem Erbe nicht teilhaben sollen.

Diese Annahme trifft nicht zu, da die Testierfreiheit ihre Grenze stets in dem gesetzlichen Pflichtteilsrecht findet. Dieses Recht sichert einem bestimmten pflichtteilsberechtigten Personenkreis einen zwingenden Anspruch auf Teilhabe an dem Erbe zu.

Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, kann durch den Erblasser auch der Pflichtteilsanspruch vollständig entzogen werden, nämlich dann, wenn die pflichtteilsberechtigte Person sich gegenüber dem Erblasser einer schweren Verfehlung, wie beispielsweise eines Angriffs auf dessen Leben, schuldig gemacht hat, eine gegenüber dem Erblasser bestehende Unterhaltspflicht verletzt hat oder wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde.

Rechtsnatur des Pflichtteilsanspruchs

Seiner Rechtsnatur nach ist der Pflichtteilsanspruch kein erbrechtlicher Anspruch, der gegenüber dem oder den übrigen Erben besteht, sondern er ist ein schuldrechtlicher Anspruch, der außerhalb einer erbrechtlichen Auseinandersetzung gegenüber dem oder den Erben geltend gemacht werden muss.

Die Rechtsnatur des Pflichtteilsanspruches bestimmt sich im Wesentlichen nach der Wahl der Rechte des Pflichtteilsberechtigten. Da er nicht als Erbe berufen ist, kann er auch nicht die Rechte geltend machen, die sich etwa aus dem Bestehen einer Erbengemeinschaft ergeben würden, wie beispielsweise Mitbestimmungsrechte.

Pflichtteilsberechtigter Personenkreis

Pflichtteilsberechtigte Personen können grundsätzlich nur Abkömmlinge des Erblassers sein. Wenn der Erblasser keine eigenen Kinder, Enkel oder Urenkel hinterlassen hat, sind dessen Eltern, Ehegatte oder dessen Lebenspartner, soweit er in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gelebt hat, pflichtteilsberechtigt.

Die Frage des Pflichtteilrechts stellt sich in der Praxis regelmäßig nur dann, wenn einzelne Personen durch letztwillige Verfügung des Erblassers von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, also enterbt wurden.

Es gibt aber auch Fallkonstellationen, in denen ein Erbe ausnahmsweise einen Pflichtteilsanspruch geltend machen kann, nämlich beispielsweise dann, wenn der Erbteil des berechtigten Erben mit einer Beschränkung oder einer Belastung behaftet ist (Fallbeispiel: Bestimmung von Vor- und Nacherben).

Seite zwei: Ermittlung der Quote des Pflichtteilsanspruches 

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