Der Kaiser von Washington

„Schlimmer geht nimmer“ – leider wird diese Devise von Woche zu Woche widerlegt, und zwar vom 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Beck-Kolumne

Michael Beck, Leiter Asset Management, Bankhaus Ellwanger & Geiger

Die Finanzmärkte hatten sich ja eigentlich schon an seinen unorthodoxen Regierungsstil und die erratischen Wendungen in Außen- wie Innenpolitik oder leider auch in der internationalen Handelspolitik gewöhnt, aber dieser Tage wächst die Nervosität wieder immens an. Im Vorfeld der Gespräche mit der chinesischen Verhandlungsdelegation, bei denen wenigsten ein „kleiner Deal“ erwartet wird, versinkt Washington in einem Skandalsumpf sondergleichen. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem die Waagschale der internationalen Wirtschaftsindikatoren sich endgültig in Richtung Rezession zu neigen scheint. Zuversicht und Optimismus wären notwendig, stattdessen greift Resignation und Verwirrung um sich. Es wird immer klarer, dass Populisten sich nicht um rationale Handlungsalternativen bemühen, sondern einzig ihren kurzfristigen Zielen verpflichtet sind.

Bestes Beispiel bietet der englische Premier Boris Johnson, der entgegen mannigfaltigem Expertenrat an seinem Konfrontationskurs festhält und sich nicht davor scheut, zu Gewalt auf den Straßen aufzurufen, wenn der „Wählerwille“ nicht umgesetzt werden kann. Ein „No-Deal-Brexit“ wird somit jeden Tag wahrscheinlicher. Allerdings muss Premier Johnson laut Gesetzesbeschluss seines eigenen Parlaments eine Verschiebung des Brexits bei der EU beantragen, um weitere Zeit für eine Kompromisslösung zu finden. Bis dato sind sich die 27 verbleibenden EU-Länder einig, dieser Verlängerung zuzustimmen, auch wenn Johnson wohl einige Länder bezirzt, dies nicht zu tun. Der Börsenmonat Oktober gehört sowieso schon zu den historisch volatilsten Börsenmonaten, da wirken diese politischen Risiken, die sich nun zu kulminieren scheinen, wie die sprichwörtliche Lunte am Pulverfass.

Zum Glück befindet sich dieses Pulverfass inmitten eines gigantischen Zentralbankgeld-Sees, sodass diese Lunte immer wieder zur rechten Zeit gelöscht werden konnte. Die alles entscheidende Frage in den nächsten Monaten wird sein, ob die technische Rezession (zwei Minus-Quartale in Folge) in eine „richtige“, d.h. länger anhaltende Rezession mündet. Die Gewinnschätzungen für Unternehmen für das nächste Jahr sind mit +11 % sehr ambitioniert und dürften im Falle einer tieferen Konjunkturdelle größeres Enttäuschungspotential bereithalten.

Die Eigen- und Fremdsicht des US-Präsidenten ist derzeit wohl gut mit den märchenhaften neuen Kleidern des Kaisers vergleichbar – in seinen Augen die schönsten und besten, die es gibt, in den Augen der anderen (der Welt?) aber wohl kaum sichtbar bzw. nicht vorhanden. Es könnte sein, dass der US-Präsident demnächst relativ nackt dasteht. Ob das gut oder schlecht für die Finanzmärkte ist, kann noch nicht bestimmt werden. Politische Unsicherheiten sind nie gut für die Börsenentwicklungen, aber eben auch nicht von dauerhaftem Einfluss. Der Herbst bleibt spannend.

Michael Beck ist Leiter Asset Management beim Bankhaus Ellwanger & Geiger.

Foto: Thomas Bernhardt

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