Deutsche FinTech-Branche steht vor Übernahmerekord

Die deutsche FinTech-Branche verzeichnet in diesem Jahr einen regelrechten Übernahmeboom. Das zeigt der FinTech-Kooperationsradar der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Allein im ersten Halbjahr wurden demnach 16 Finanz-Start-ups übernommen, also fast drei pro Monat.

Damit dürfte der bisherige Höchstwert – er stammt aus 2017, als es insgesamt zu 20 Akquisitionen kam – in diesem Jahr deutlich überboten werden. Insgesamt zählt der Kooperationsradar 92 FinTech-Übernahmen seit Anfang 2013. Vier Fünftel hiervon entfielen auf die vergangenen dreieinhalb Jahre.

„Bislang kaum belastbare Zahlen“

„Zum Umfang der M&A-Tätigkeit im deutschen FinTech-Sektor existierten bislang kaum belastbare Zahlen. Insofern trägt unsere Untersuchung dazu bei, die Dynamik in der immer noch jungen Branche besser erfassen zu können”, sagt Sascha Demgensky, Leiter FinTech bei PwC in Deutschland.

Der Experte betont, dass die Entwicklung nicht nur die Start-ups, sondern auch die etablierte Finanzindustrie betreffe: „Das Kernthema unseres Kooperationsradars ist die Frage, wie FinTechs mit Banken, Versicherungen und anderen Finanz-Start-ups interagieren.

So gesehen sind Übernahmen im Endeffekt die konsequenteste Form der Kooperation: Durch die Akquisition sichert sich der Käufer den zeitlich unbefristeten Zugang zu Technologie, Kunden und Mitarbeitern des jeweiligen FinTechs.”

Zwei Drittel der akquirierten FinTechs hatten einen starken B2B-Fokus

Gleichzeitig fällt auf, dass es sich bei den Käufern von deutschen Finanz-Start-ups in fast der Hälfte der Fälle um andere Finanz-Start-ups handelt; insgesamt zählt die PwC-Untersuchung 41 Übernahmen dieser Art.

Dagegen war in zehn Fällen die akquirierende Partei eine Bank, in neun Fällen ein klassisches IT-Unternehmen, in jeweils fünf Fällen kamen Zahlungsdienstleister, Asset Manager oder E-Commerce-Anbieter zum Zuge – während nur drei FinTechs von Versicherern übernommen wurden.

„Die Zahlen legen nahe, dass auch traditionelle Finanzdienstleister, die sich für spezielle FinTechs interessieren, immer öfter eine volle Übernahme zumindest in Erwägung ziehen”, sagt PwC-Experte Demgensky.

Nach fünfeinhalb Jahren erfolgt in der Regel die Übernahme

Dafür sprechen auch andere Erkenntnisse der Studie. So hatten knapp zwei Drittel der übernommenen FinTechs einen starken B2B-Fokus. Gerade für etablierte Finanzdienstleister sei dies ein wichtiges Auswahlkriterium, wenn sie sich potenzielle Übernahmeziele anschauen, so Demgensky.

Ebenfalls auffällig: Bei den meisten übernommenen FinTechs – nämlich bei insgesamt 21 – handelte es sich um Start-ups, deren Geschäftsmodelle dem Bereich „Finanzen” zuzuordnen sind. Es folgen Start-ups aus den Segmenten „Payments“ (19), „Accounting“ (12), „Investment“ (8), „Immobilien“ und „InsurTech“ (jeweils 7).

Und noch ein weiteres Ergebnis der Studie: Im Schnitt waren die FinTechs zum Zeitpunkt der Übernahme knapp fünfeinhalb Jahre alt. „Bei der Entwicklung eines FinTech-Startups ist das vierte Jahr häufig entscheidend für den zukünftigen Erfolg“, sagt FinTech-Experte Sascha Demgensky von PwC.

„In diesem Jahr finden nach unseren Analysen sowohl die meisten Geschäftsaufgaben, aber eben auch die meisten Übernahmen statt.“

„In vielen Fällen sind solche Übernahmen eine klare Win-Win-Situation”

Laut PwC-FinTech-Experte Sascha Demgensky sprechen diverse Faktoren dafür, dass der Übernahme -Trend noch eine ganze Weile anhält – oder sich sogar noch beschleunigen könnte.

„Auf der einen Seite gibt es viele FinTechs, die zwar über zukunftsweisende Technologien verfügen, sich aber dennoch schwertun, als eigenständiger Anbieter eine auskömmliche Marktnische zu besetzen.

Auf der anderen Seite stehen Banken, Versicherer und Asset Manager: Sie sehen sich damit konfrontiert, ihre Geschäftsmodelle zu digitalisieren und fit für die Zukunft zu machen, verfügen aber oftmals nicht über die Kapazitäten, die hierfür notwendigen Technologien allesamt selbst zu entwickeln.

Darum sind Übernahmen von Finanz-Start-ups durch klassische Player in vielen Fällen eine klare Win-Win-Situation.”

Zugleich warnt Sascha Demgensky allerdings davor, die Risiken solcher Transaktionen zu unterschätzen: „Wenn ein traditioneller Finanzdienstleister ein junges Start-up übernimmt, treffen meist sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander – das ist schlicht unvermeidlich.

Wer die Gefahr des Scheiterns minimieren will, muss daher sowohl der Due Diligence als auch später dem Integrationsmanagement höchste Priorität beimessen.“

Foto: Shutterstock

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