Deutschland braucht schnell einen Ruck

Um Nachfolgediskussionen zuvorzukommen hat Angela Merkel die Reißleine gezogen. Sie zieht sich vom Vorsitz der CDU zurück und verzichtet auf eine erneute Kanzlerkandidatur, will aber bis zur Neuwahl 2021 im Kanzleramt bleiben. Mit der Splittung von Partei- und Regierungsamt erodiert jedoch ihre Handlungsfähigkeit. Denn natürlich strebt die Nachfolgerin beziehungsweise der Nachfolger an der Parteispitze – wie in der CDU üblich und auch von Frau Merkel immer gewollt – ebenso die Kanzlerschaft an. Die ihr nachfolgende Person will zudem schon vor der nächsten Bundestagswahl regieren und sich profilieren, um nicht als Greenhorn in den Wahlkampf zu ziehen.

Merkel Königin ohne Land

Diese permanente „Putschgefahr“ – vor allem wenn an der CDU-Spitze ein Kandidat mit Merkel-fremden Duftmarken sitzt – macht Angela Merkel zur Königin ohne Land, zur Kanzlerin auf Abruf. Je länger der Abschied vom Kanzleramt anhält, umso mehr wird in Berlin verwaltet und moderiert statt gestaltet und regiert.

Auch für die deutsche Europa-Politik ist die Kanzlerinnendämmerung schädlich. Die EU-Partner werden die entstehende Führungslücke für eigene Zwecke ausnutzen. Die Euro-Südzone wird die Einführung einer europäischen Einlagensicherung und die Vergemeinschaftung von nationalen Schulden möglichst ohne stabilitätspolitische Gegenleistung forcieren. In Rom trinkt man bereits Prosecco: Ist die deutsche Stabilitäts-Katze aus dem Haus, tanzen die Schulden-Mäuse auf dem Tisch. Es geht um klare Kante: Entweder man geht ganz oder gar nicht. Deutschland muss in Europa mit voller Kraft auftreten.

Wirtschaftskompetenz ist kein Schimpfwort

Wirtschaft und Finanzwelt machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Sie wünschen sich an der Spitze der CDU eine Europa-freundliche, aber auch wirtschaftskundige Persönlichkeit. Sie oder er sollen keinen innovationsarmen Status Quo fortschreiben, sondern beherzte Reformschritte gehen, damit Deutschland auch morgen noch in der World Champions League spielt. Von Nix kommt Nix. Auch auf dem Bauernhof gilt: Nur Hühner, die gefüttert werden, legen Eier.

Reformagenda 2010 nicht im Nachhinein verteufeln

Tatsächlich hat Deutschland seit Kriegsende immer mit einem wettbewerbsfähigen Standort aufgetrumpft. Nur so konnte Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ erreicht werden. Die Reformagenda 2010 sollte im Nachhinein nicht verteufelt werden. Politik muss immer bereit sein, schwere Kost auf den Tisch bringen, wenn es der Zukunftsfähigkeit, den Arbeitsplätzen und natürlich der Finanzierung eines Sozialstaats dient. Was nutzt eine politische Pralinenpackung, die versucht, wählerwirksam alle Geschmackswünsche zu erfüllen, am Ende jedoch nur zu wirtschaftlichen Magenproblemen führt? 1997 sagte der damalige Bundespräsident „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“. Möge dieser Ruck in Deutschland Ruck Zuck kommen.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.

Foto: Baader Bank

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