Die Ängste der Deutschen 2024: „Wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, reagieren die Deutschen sensibel“

3D-Illustration einer zerrissenen und zerrissenen Fahne Deutschlands vor einem dunklen wolkenverhangenen Himmel
Bildagentur PantherMedia / Burgstedt
Deutschland ist mit multiplen Krisen konfrontiert. Das schürt Ängste in der Bevölkerung.

Die R+V Versicherung hat ihre neue Studie "Die Ängste der Deutschen" vorgestellt: Finanzielle Sorgen vor weiter steigenden Lebenshaltungskosten und die Folgen durch Migration dominieren das diesjährige Ranking. Die Angst, dass Wohnen in Deutschland unbezahlbar wird, liegt auf Platz drei.

Wo liegen die Ängste und Sorgen der Deutschen? Seit 1992 befragt die R+V-Versicherung 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit. Insofern ist die Studie ein sehr guter Indikator, wie es um den Zustand der Gesellschaft steht. In diesem Jahr führt die Angst vor weiter steigenden Lebenshaltungskosten das Ranking an.

„Die Menschen blicken mit Skepsis auf die aktuelle Entwicklung. Hohe Tarifabschlüsse, Inflationsprämien und spürbar langsamer steigende Preise konnten den Deutschen ihre Sorgen nicht nehmen“, sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Die Furcht vor höheren Lebenshaltungskosten landet mit 57 Prozent auf Platz eins im Ängste-Ranking. Zum dritten Mal in Folge.

Angst vor Inflation: Der Dauerbrenner

„Der Blick in unsere Langzeitstatistik zeigt: Wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, reagieren die Deutschen sensibel“, berichtet Brower-Rabinowitsch. „Die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten hat öfter als jede andere Angst die Langzeitstudie dominiert.“ In den vergangenen drei Jahrzehnten lag sie insgesamt 14-mal auf Platz eins und siebenmal auf Platz zwei. 


Das könnte Sie auch interessieren:

Eine weitere finanzielle Sorge belegt Platz drei der Studie: Mehr als die Hälfte der Deutschen (52 Prozent) befürchtet, dass Wohnen unbezahlbar wird. „Knapper Wohnraum, hohe Preise und viel Konkurrenz bei der Wohnungssuche – das bleibt eine Mixtur mit sozialem Sprengstoff“, erklärt Professorin Dr. Isabelle Borucki. Die Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg begleitet die R+V-Studie als Beraterin. Nach der Furcht vor unbezahlbarem Wohnraum fragt die R+V seit 2022 – sie landete jedes Jahr auf einem der ersten drei Plätze. 

„Die Bevölkerung ist mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenübersteht. Die Wirtschaftslage bleibt angespannt, genauso wie die geopolitische Lage. Auch die Folgen der laufenden Kriege sind nicht absehbar. All das verunsichert die Menschen.“

Prof. Dr. Isabelle Borucki

Doch warum bereiten die finanziellen Themen den Deutschen so große Sorgen? „Die Bevölkerung ist mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenübersteht. Die Wirtschaftslage bleibt angespannt, genauso wie die geopolitische Lage. Auch die Folgen der laufenden Kriege sind nicht absehbar. All das verunsichert die Menschen“, erläutert Borucki. „Dieses Ohnmachtsgefühl führt laut Borucki dazu, dass sich der Fokus auf persönliche Belange verschiebt. „Die Menschen sorgen sich um ihre individuelle finanzielle Sicherheit.“

Laut R+V zeigt die Studienneuauflage aber auch eine Entspannung. „Im Vergleich zum Vorjahr sinken die Ängste vor hohen Lebenshaltungskosten und vor teurem Wohnraum – um jeweils acht Prozentpunkte“, sagt Brower-Rabinowitsch. „Die Menschen haben mehr Geld im Portemonnaie. Das bleibt nicht ohne Wirkung.“

Ein Rückgang des Angstniveaus beobachten die Studienautoren bei zwei weiteren wirtschaftlichen Themen beobachten, die 2023 weit vorn im Ranking lagen: Die Hälfte der Deutschen hat Angst, dass der Staat wegen der Schuldenlast die Steuern erhöht oder Leistungen kürzt, Platz fünf der Studie (2023: 57 Prozent, Platz drei). Vor einer schlechteren Wirtschaftslage fürchten sich 48 Prozent der Befragten (Platz acht). 2023 belegte diese Furcht mit 51 Prozent noch Platz fünf.

Zuwanderungstthemen geraten wieder stärker in den Fokus

Die aufgeheizte gesellschaftspolitische Debatte über Migration spiegelt sich auch in den Ängsten der Deutschen wider. Auf Platz zwei der R+V-Studie rangiert mit 56 Prozent die Sorge, dass die Zahl der Geflüchteten den Staat überfordert, 2023 war es mit 56 Prozent noch Platz vier. 51 Prozent der Befragten fürchten, dass es durch den weiteren Zuzug aus dem Ausland zu Spannungen innerhalb der Gesellschaft kommt – Platz vier der aktuellen Untersuchung – im Vorjahr war es mit 47 Prozent auf Platz zwölf. Im Vergleich zu 2023 sind die Migrationssorgen also nicht oder nur leicht gestiegen. 

Interessant auch der Langzeitvergleich: Beide Sorgen liegen deutlich unter dem Höchststand vom Jahr 2016. Damals – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle – fürchteten zwei von drei Befragten, dass der Staat überfordert ist oder es durch weiteren Zuzug aus dem Ausland zu Spannungen kommt. „Das bedeutet aber nicht, dass man die aktuellen Ängste auf die leichte Schulter nehmen darf. Im Gegenteil. Grundlegende Probleme bei der Zuwanderung und Integration wurden lange nicht angegangen – das wurde schlicht verschlafen“, mahnt Professorin Borucki. „Hier ist die Politik dringend gefordert. Und zwar ohne die aufgeladene Stimmung in Teilen der Gesellschaft noch weiter anzuheizen.“

Bei den Zuwanderungsthemen lohnt ein tieferer Blick in die Ergebnisse. „In Ostdeutschland bereitet die Migration den Menschen mehr Sorgen als in Westdeutschland“, stellt Studienleiter Brower-Rabinowitsch fest. 60 Prozent der Befragten in den östlichen Bundesländern fürchten, dass die Zuwanderung den Staat überfordert, im Westen sind es 55 Prozent. Vor Spannungen durch weiteren Zuzug haben im Osten 56 Prozent Angst, im Westen 50 Prozent. „Gerade im Osten herrscht in Teilen der Gesellschaft das Gefühl, ungleich und unfair behandelt zu werden. Das Fremde, die Geflüchteten und deren Zuzug werden als Bedrohung empfunden“, erklärt Politikwissenschaftlerin Borucki. Ein gesamtdeutsches Thema ist mit 48 Prozent die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft. „Das bereitet den Menschen im Westen genauso viel Sorgen wie im Osten“, sagt Brower-Rabinowitsch. 

Stärkster Anstieg: Angst vor politischem Extremismus

Mit acht Prozentpunkten hat die Angst vor politischem Extremismus in diesem Jahr am stärksten zugenommen. Sie bereitet 46 Prozent der Menschen große Sorgen. Brower-Rabinowitsch erinnert: „Kurz vor der ersten Befragungswelle der Studie war der tödliche Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim.“ Doch welche Art von Extremismus meinen die Befragten? 48 Prozent fürchten sich vor islamistischem Terror, 38 Prozent vor Rechtsextremismus und sieben Prozent vor Linksextremismus. Ebenfalls spürbar gestiegen – um fünf Prozentpunkte – ist die Angst vor Terrorismus. Sie liegt jetzt bei 43 Prozent.

Schallende Ohrfeige für die Politik

Noch ein knappes Jahr bis zur Bundestagswahl und fast jeder zweite Deutsche (49 Prozent) befürchtet, dass die Politiker und Politikerinnen von ihren Aufgaben überfordert sind – Platz sechs im Ranking. „Diese Unzufriedenheit muss die Politik ernst nehmen“, fordert Borucki. Entsprechend miserabel fallen die Schulnoten für die Politiker und Politikerinnen in Regierung und Opposition aus. „66 Prozent der Befragten vergeben die Note vier oder schlechter. Ein katastrophales Urteil.“

Mit dem Blick auf den Arbeitsmarkt geben sich die Deutschen hingegen entspannt. Knapp ein Drittel der Befragten (30 Prozent) fürchtet, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland steigen. Noch geringer ist die Angst der Beschäftigten um ihren eigenen Arbeitsplatz. Sie liegt bei 22 Prozent – der letzte Platz im Ranking. „Das ist eine gute Nachricht. Noch weniger Angst um den eigenen Job hatten die Menschen noch nie in der Geschichte der Studie“, sagt Brower-Rabinowitsch. Zudem zeigt die Studie, dass sich die Stimmung hierzuland etwas aufgehellt habe. Der Angstindex – der durchschnittliche Wert aller gemessenen Ängste – fällt auf 42 Prozent (2023: 45 Prozent).

In der repräsentativen Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ befragt das Infocenter
der R+V Versicherung seit 1992 jährlich rund 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen
rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments