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Guido Bader, Stuttgarter: „Höchste Zeit, den Regulierungs-Irrsinn zu stoppen“

Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender Stuttgarter Lebensversicherung
Foto: Die Stuttgarter
Dr. Guido Bader: "Eine Verschlankung der Vorschriften auf das wirklich Notwendige, unter Beteiligung von Praktikern, die wissen, welche Dokumente und Maßnahmen tatsächlich einen Mehrwert bieten."

Immer neue Berichtspflichten und Regulierungen – ohne erkennbaren Mehrwert für Kunden, Vermittler und Versicherer. Warum Bürokratie Kosten hochtreibt, Prämien belastet und echte Beratung behindert. Eine Kommentar von Dr. Guido Bader.

Die Regulierung in der Versicherungsbranche ist dabei, sich selbst ad absurdum zu führen. Anstatt Risiken zu reduzieren oder Verbraucher zu schützen, produziert sie immer neue Papierberge, deren Nutzen fraglich ist – wenn man mal von der Papiererzeugenden Industrie absieht. Statt kluger Steuerung gibt es Kontrollwahn, statt praktikabler Vorgaben eine Bürokratieflut, die wertvolle Ressourcen bindet – personell wie auch materiell. Alleine die Umsetzung der Digital Operational Resilience Act (DORA) bedeutet für unser Haus einen Mehraufwand von über 2.000 Personentagen.

Die Folge: Wir Versicherer stecken immer mehr Zeit und Geld in Berichte, die niemand liest. In Kontrollen, die keinen Mehrwert bringen. In Dokumentationen, die keiner benötigt. Leidtragende sind letztlich unsere Kundinnen und Kunden, denn die steigenden Kosten landen unweigerlich in ihren Prämien oder schmälern ihre Überschüsse.

Wenn wir grob geschätzt von fünf bis zehn Millionen Euro vermeidbaren Bürokratiekosten pro Jahr ausgehen, entspricht dies derzeit gerundet 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte der Deckungsrückstellung. Wieso greift der Verbraucherschutz dieses Thema aus Perspektive der Versicherungsnehmer eigentlich nicht auf?


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Meine Meinung ist da ganz klar: Es ist höchste Zeit, diesen Irrsinn zu stoppen und Regulierung auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das bedeutet auch, bestehende Gesetze und Regulierungsvorgaben wieder zurückzubauen. Ich möchte hier anhand weniger Beispiel beleuchten, wo sich Regulierung verselbständigt hat – und wie sie wieder praxistauglich gestaltet werden kann.

CSRD & CSDDD: Berichterstattung als Selbstzweck?

Die neuen Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht (CSDDD) führen zu einer kaum mehr bewältigbaren Berichtspflicht. Versicherer müssen Unmengen an Daten beschaffen, aggregieren und berichten, deren Qualität oft fraglich ist – und das zu hohen Kosten. Diese Kosten tragen die Versicherten, was sich negativ auf ihre Renditen und Beiträge auswirkt.

Besonders problematisch ist, dass der Fokus nicht auf unserem drängendsten Problem, dem Klimawandel liegt, sondern quasi jeder nur denkbare Aspekt der Nachhaltigkeit abgedeckt werden soll. Die Berichte werden damit über hundert Seiten lang und für die breite Öffentlichkeit weitgehend irrelevant. Dabei sollte es doch darum gehen, die Pariser Klimaziele effizient zu erreichen. Die bürokratische Last dieser Berichte bindet jedoch Ressourcen, die für konkrete Maßnahmen zur Emissionsreduktion fehlen.

Mein pragmatischer Vorschlag: Fokus auf das Wesentliche – den CO2-Ausstoß der Kapitalanlagen und des eigenen Betriebs. Diese Informationen könnten kompakt auf der Unternehmenshomepage veröffentlicht werden – ohne aufwendige Prüfpflicht durch Wirtschaftsprüfer. Über mehr können wir nachdenken, wenn vollständige Daten zu allen denkbaren Kapitalanlagen weltweit seitens der EU kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die jetzige Bemühung der EU, hier die Bürokratie zu reduzieren, geht in keinster Weise weit genug. Das ist ein Vorschlag, der keinem Bürokraten weh tut.

DORA: Bürokratie ohne Sicherheitsgewinn?

Die Digital Operational Resilience Act (DORA) soll die IT-Sicherheit in der Finanzbranche stärken, führt jedoch zu einer Vielzahl an Dokumentationspflichten, die den eigentlichen Sicherheitsgewinn fraglich erscheinen lassen.

Anstatt klare und praktikable Vorgaben zu machen, verlieren sich die Regularien in unzähligen Leitlinien. Jede einzelne Anforderung mag für sich genommen sinnvoll sein, doch in der Summe entsteht eine unübersichtliche Bürokratielast. Beispielsweise werden detaillierte Notfallpläne verlangt, die in der geforderten Tiefe in der Praxis kaum anwendbar sind, da reale Krisen immer anders verlaufen als vorhergesehen.

Mein Lösungsvorschlag? Eine Verschlankung der Vorschriften auf das wirklich Notwendige, unter Beteiligung von Praktikern, die wissen, welche Dokumente und Maßnahmen tatsächlich einen Mehrwert bieten. Zudem sollte die verpflichtende Prüfung durch Wirtschaftsprüfer gestrichen werden, da sie nicht nur teuer, sondern aufgrund des Fachkräftemangels auch kaum sinnvoll umsetzbar ist. Auf teure „Abhakprüfungen“ ohne Tiefgang können wir verzichten.

Solvency II: Weniger Papier, mehr Relevanz?

Ein weiteres Beispiel für regulatorische Bürokratie ohne echten Mehrwert sind die SFCR-Berichte im Rahmen von Solvency II. Diese Berichte werden von den wenigsten Marktteilnehmern genutzt, da sie zu lang, zu komplex und für Versicherungsnehmer unverständlich sind. Versicherte und Vermittler haben kaum Interesse daran, und Analysten würden sich mit einem übersichtlichen One-Pager deutlich leichter tun. Zur Überarbeitung der Vorgaben zu den Berichten im Rahmen des Solvency II – Reviews kann man nur sagen: „Gesprungen wie ein Tiger… den Rest kennen Sie“.

Meine Alternativ-Idee: Statt Dutzende Seiten zu produzieren, könnte ein kompakter Bericht auf einer Seite genügen: Er sollte die verwendeten Modelle, Solvenzquoten sowie eine kurze Begründung wesentlicher Veränderungen zum Vorjahr enthalten. Die Aufsichtsbehörden haben ohnehin alle relevanten Daten – warum also weiterhin Informationsflut produzieren?

Drei Prinzipien für eine sinnvolle und effektive Regulierung

Eine sinnvolle Regulierung sollte drei Prinzipien folgen:
Fokus auf das Wesentliche
: statt alles zu erfassen, sollten nur die wirklich entscheidenden Kennzahlen berichtet werden.
Verhältnismäßigkeit:
die Anforderungen sollten in einem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen stehen. Dabei sind die Kosten, die bei den Unternehmen erzeugt werden, REALISTISCH zu berücksichtigen.
Praxisbezug
: Vorgaben sollten nicht im Elfenbeinturm entstehen, sondern in Zusammenarbeit mit denjenigen, die sie umsetzen müssen.

Wir Versicherer und unsere Verbände sollten sich aktiv in die Debatte einbringen, um eine schlankere und effektivere Regulierung zu erreichen. Denn am Ende profitieren nicht nur die Unternehmen, sondern vor allem die Versicherten – durch geringere Kosten und mehr Fokus auf das, was wirklich zählt.

Dr. Guido Bader ist Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Lebensversicherung und Vorstandmitglied der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV)

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