Die Bremsen der Innovation – wie man sie erkennt und löst

Neodigital / Portraitshooting , Stephen Voss, Vorstand Marketing und Vertrieb
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Stephen Voss: "Innovationen sollten in unserem Markt an der Tagesordnung sein. Sind es aber leider nicht."

Die Voraussetzung für Innovationen könnten im deutschen Markt kaum besser sein. Es gibt genug Talent und finanzielle Ressorcen. Man muss Produkte nicht erklären. Hinzu kommt, dass Kunden risikoavers und sparfreudig sind. Innovationen sollten im Versicherungsmarkt also eigentlich die Regel sein. Warum das nicht so ist und wo es bei den Versicherungsgesellschaften hakt? Von Stephen Voss.

Verfolgt man die Konferenzen, Messen und Publikationen der letzten Monate, so lässt sich für Deutschland sagen: gute Ideen gibt es in der Versicherung an jeder Ecke. Innovationen sollten in unserem Markt also an der Tagesordnung sein. Sie sind es aber leider nicht. Was also blockiert die Versicherungen, neue Ideen umzusetzen?

Mangelt es am eigenen Talent oder doch an etwas anderem? Nur viel zu oft wird der schwarze Peter der zu komplexen Regulatorik zugeschoben. Alles wäre zu schwerfällig, zu träge, die Verwaltung und Politik nicht digital genug. Kein Wunder also, dass Innovationen dadurch ausgebremst werden. Nur stimmt das so nicht wirklich.

Zum einen, weil es viel zu einfach ist, das Problem auf andere Marktfaktoren zu schieben, zum anderen, weil es inzwischen tatsächlich bei den Regulierungsbehörden und in der Politik viele Ansätze, Initiativen und bereits Umsetzungen gibt, die beweisen, dass man es dort anders machen will und dies auch schon in die Tat umsetzt. Warum tun wir uns in der Versicherungsbranche also mit Innovationen so schwer? Nun ja, ein bisschen liegt das vielleicht auch an uns selbst.

Beste Umgebungen für Innovation – oder?

Die Voraussetzungen für Innovationen im Bereich Versicherungen könnten kaum besser sein. Der deutsche Markt, also die Kunden, kennen die Versicherungen und ihre Produkte sowie die dazugehörigen Marktplayer seit gefühlten Ewigkeiten. Man muss das Produkt an sich nicht erklären. Hinzukommt, dass die Deutschen risikoavers und sparfreudig sind und die Digitalisierung sich im privaten Bereich ungebremst durchsetzt. Mit der Folge, dass kaum ein Aspekt des sozio-ökonomischen Umfeldes existiert, der nicht auch von der Digitalisierung betroffen ist. Das alles sind doch beste Rahmenbedingungen, um Produkte, Services und die Kundeninteraktion der Versicherung durch Innovation weiterzuentwickeln. Halten wir also fest, der Markt ist etabliert, das Produkt vorhanden, die Regulatorik gibt sich Mühe und die Kunden wollen digitale moderne Risikoabsicherung. Dann liegt offensichtlich der schwarze Peter doch bei den Unternehmen?

Ja und Nein. So einfach ist das nicht. Wir haben in Deutschland einen Markt mit großen Versicherungsunternehmen, mit abertausenden Angestellten und gefühlt unbegrenzten Ressourcen. Das bisschen Innovation machen die, so will man meinen, doch mit Links. Und darüber hinaus haben wir junge dynamische Unternehmen, klein, agil und voller Ideen, die antreten könnten, den Markt zu revolutionieren. Und trotzdem stockt es hie und da.

Fangen wir bei den etablierten Versicherungsunternehmen an. Sie sind groß, sie haben bereits viele Kunden und einen kapitalen Pool an talentierten Mitarbeiterinnen. Bester Nährboden also für Innovation. Im süddeutschen Sprachraum würde man jetzt sagen „eine gemähte Wies“, die sich den etablierten Playern bietet. Eine im Grunde sichere Sache, denn hier kommt alles zusammen: Talent, Stabilität und finanzielle Ressourcen. Alles tipptopp. Und genau da liegt jetzt der Hund begraben, an dieser perfekt einstudierten Choreografie, die das abliefert, was die Kunden aktuell genau wollen.

Das berechtigte Zögern der Großen

Diese Perfektion wurde durch jahrelange Entwicklung, Optimierung und Übung erreicht und liefert auf den Punkt ab. Innovation an dieser Stelle in diese Darbietung einfach einzukippen könnte bedeuten, die gesamte Architektur strukturell unter Stress zu versetzen. Für ein großes Unternehmen steht eben viel mehr auf dem Spiel als „mal eben“ schnell innovativ etwas zu verändern.

Die Stammkunden, die mit ihren Beiträgen das Unternehmen tragen, dürfen nicht zu stark irritiert werden. Eingespielte Prozesse über mehrere Abteilungen hinweg könnten zusammenbrechen, weil vielleicht die Technik nicht optimal vernetzt ist oder einfach deswegen, weil Mitarbeiter:innen sich an die neuen Innovationen erst langsam gewöhnen und trainiert werden müssen. Eine noch so vorteilhafte Innovation, auch wenn sie noch so einfach erscheint, erfordert in den vielschichtigen Strukturen moderner Versicherungskonzerne ein hohes Maß an Disziplin, Analyse und Vorbereitung.

Das kann von außen dann als Innovationsfeindlich oder gar langsam missverstanden werden, dabei ist es das gar nicht. Es ist eher wie bei einer langen Domino-Reihe: Ein Stein, der nicht richtig sitzt, kann dazu führen, dass das gesamte Konstrukt nicht mehr durchläuft. Das mag bei ein paar tausend Kunden vielleicht noch manuell abzufangen sein, bei Hunderttausenden ist es ein nicht zu umfassendes Risiko. Daher ist es nur nachvollziehbar, dass die Big Player im Markt in ihren Kernbereichen sehr vorsichtig und gut überlegt in die Umsetzung gehen. Auch auf die Gefahr hin, einen Trend vielleicht zu spät zu erkennen.

An dieser Stelle darf man aber die Kraft der Bestandskunden nicht unterschätzen: Es ist für ein solches Unternehmen besser, etwas hinter dem Trend herzulaufen als ein zu hohes Risiko einzugehen. Im schlimmsten Fall muss der Trend mit mehr finanziellen Mitteln teuer wieder eingeholt werden. Das ist immer noch besser als einen gesamten, über Jahre und Jahrzehnte gewachsenen, Bestand zu gefährden.

Das risikoreiche Vordenken der Kleinen

Liest man all das, müsste es für die jungen kleinen Unternehmen viel einfacher sein. Sie haben keine großen Belegschaften, ihre Technik ist auf dem neuesten Stand und nicht durchwachsen von alten über Jahre am Leben gehaltenen Systemen. Es ist auf den ersten wie auch auf den zweiten Blick alles neu und modern. Dazu gesellt sich junges Durchschnittsalter der Mitarbeitenden und ein Tatendrang der Berge versetzen möchte.

Nur, und man könnte meinen, das sei ein Vorteil, keine Rücksicht auf Bestandskunden nehmen zu müssen. Diese Kundinnen und Kunden sind aber genau die Basis, die das System tragen und für die so wichtige Kontinuität sorgen. Naturgemäß hat ein junges Unternehmen diese nicht, man könnte also mit innovativen Ideen, „out of the box“ gedacht, neue Kundengruppen erschließen.

Ja kann man, das kann vielleicht klappen, aber eben auch nicht. Sollte sich dann herausstellen, dass die Innovationen vielleicht doch nicht so innovativ sind (oder schlicht nicht gut), oder der Markt einfach noch nicht bereit ist, hat man am Schluss gar keine Kunden – und ein Problem. Und die Kunden, die einen über das nächste Bilanzjahr retten könnten, die schon mehrere Jahre dabei sind, die gibt es eben noch nicht. Gerade bei den neuen jungen Unternehmen spielt diese finanzielle Balance zwischen „solide finanziert“ und „genug Kapital für moderne Lösungen“ die absolut größte Rolle. Ganz einfach: Ein Unternehmen, sei die Idee auch noch so gut, skaliert nicht über die Idee allein, sondern es benötigt Zugang und Absatz.

Ist es also bei den etablierten Versicherern das größte Risiko, das funktionierende Geschäftsmodell nicht zu gefährden und trotzdem gleichzeitig nicht den Trend zu verpassen. So haben die jungen Unternehmen die Herausforderung, die eigene Innovationskraft nicht einzuschränken und sich trotz allem solide zu finanzieren – ohne gleich die gesamte Unternehmensexistenz ins Feuer zu stellen.

Die elegante Lösung

Hierzu gibt es, und das ist keine Überraschung, eine elegante Lösung, die für beide funktioniert. Sie Bedarf nur ein wenig Überwindung. Sie nennt sich Kooperation. Die Überwindung, und diese gilt für beide Parteien, liegt darin, dass große Unternehmen in einem solchen Modell ein wenig die Zügel loslassen müssen, damit das kleinere Unternehmen im Rahmen seiner Möglichkeiten frei agieren kann. Idealerweise funktioniert das in einem vorab klar abgesteckten Terrain, damit die etablierten funktionierenden Geschäftsbereiche des großen Partners nicht beeinträchtigt werden, aber gerade genug durchlässig sind, damit die gesamte Organisation von den Ideen der Jugend lernt und langfristig profitiert.

Dabei ist es unerlässlich, das gegenseitige Kennenlernen zuzulassen. Das muss und sollte auch moderiert werden, denn das Vorhandensein eines Schnellbootes macht den Tanker an sich ja nicht schneller. Überwinden, oder nennen wir es einmal „Kompromissbereitschaft“, muss auch beim „Junior“ Partner, dem agilen innovativen Schnellboot, an den Tag gelegt werden. Das innovative Team muss sich abseits der idealen Konstruktion überwinden, „den Großen“ zu verstehen, ein Stück weit auf dessen Risikoaversion einzugehen und trotzdem das innovative Modell angepasst nach vorne zu treiben, damit beide profitieren. Dabei hat keiner gesagt, dass weder das eine, das Loslassen, noch das andere, das Antizipieren struktureller Grenzen in einem Konzern, einfach wäre. Aber solche Modelle haben für beide Seiten großes Potenzial zu skalieren.

Gehen beide in einem solchen Modell aufeinander zu, kann Innovation im Kleinen entstehen, dann in einem sicheren Umfeld eingeübt werden, dann wachsen, um letztendlich zu weiterer Reife und Größe ausgerollt zu werden. Für die Innovation in der Versicherungsbranche sieht es bei diesen Voraussetzungen also doch eigentlich ganz gut aus.

Autor Stephen Voss ist Vertriebs- und Marketingvorstand der Neodigital Versicherung AG.

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