Die Bröning-Kolumne: Die Rückkehr der lebenden Toten

Tim Bröning
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Tim Bröning

Die geldpolitische Zeitenwende in Europa und den USA macht für Anleger eine Überprüfung der Portfolios notwendig. Welche Anlageklassen jetzt interessant werden.

Die vergangenen Jahre erledigte sich die Vermögensaufteilung im Prinzip von selbst. Wer ein Wachstumsaktien-Portfolio besaß, war meist ausgezeichnet für jährlich zweistellige Wertzuwächse positioniert. Besonders hohe Renditen gab es bei Technologieaktien, die selbst Investmentneulinge mit spannenden und einfach verständlichen Narrativen begeisterten. Gerade junge Anleger mussten sich bisher vielleicht noch nie Gedanken über eine klassische Vermögensaufteilung mit verschiedenen Aktien, Anleihen, Immobilien, Edelmetallen und Rohstoffen machen. Die vergangenen Renditen der FAANG-Titel oder des NASDAQ-100 zeigten: Wer diversifizierte, ließ oftmals Gewinne liegen.

Aktuell befinden sich Europa und die USA mitten in einer geldpolitischen Zeitenwende. Die US-Notenbank Fed gibt seit 2022 mit dem schnellsten Zinserhöhungszyklus seit 30 Jahren die Schlagzahl vor und ließ die Aktien- und Anleihemärkte einbrechen. Dennoch hält sich hartnäckig die Hoffnung, dass die Notenbank entgegen ihrer eigenen Aussagen bald von hohen Zinsen abkehren wird – und dadurch weltweit die Wirtschaft vor einer Rezession und die Aktienmärkte vor einem weiteren Einbruch bewahrt. Mehrmals hatten optimistische Anleger im Bärenmarkt deshalb kurzfristige Aktienrallyes ausgelöst, auf die wenig später jedoch Abverkäufe folgten. Bis auf wenige Ausnahmen wie Aktien von Energieunternehmen oder den US-Dollar gab es im letzten Jahr kaum eine Anlageklasse, mit der sich Investoren vor Kursverlusten schützen konnten. Wenig Anlass für Optimismus gibt auch die jüngste Prognose der US-Bank Goldman Sachs, die vorhersagt, dass die aus 2022 bekannten Abwärtsmärkte auch 2023 noch anhalten werden.

Die Zukunft gehört den harten Fakten

Viele Marktteilnehmer wünschen sich angesichts der hohen Verluste in ihren erfolgsverwöhnten Portfolios offenbar wieder die Zeiten des billigen Notenbankgeldes herbei. Vor allem hoch bewertete und unprofitable Unternehmen mit faszinierenden Wachstumsplänen und aufgeblähten Bewertungen sorgten lange Zeit für berauschende Erträge. Laut der Research-Agentur Morningstar fußte rund die Hälfte der Renditen am Aktienmarkt in den vergangenen zehn Jahren auf immer weiter expandierenden Bewertungen. Für mögliche Wachstumsaussichten wurde somit über die Jahre immer mehr Geld bezahlt. Eine einseitige Positionierung rächte sich in der jüngeren Vergangenheit im Übrigen nicht nur bei Wachstumsaktien, sondern auch bei Anleihen. Rentenpapiere mit langen Laufzeiten wiesen ebenfalls exorbitante Bewertungen auf und wurden scharf abverkauft. Spätestens jetzt sollte dies Anlegern einen Anlass zum Nachdenken über die eigene Strategie geben.

Im Umkehrschluss müssten in Zukunft wieder harte Fakten wie z. B. das prognostizierbare Gewinnwachstum von Unternehmen oder das wirtschaftliche Umfeld ausschlaggebend für den Anlageerfolg werden. Die kommenden Jahre dürften also wieder den akribischen „Handwerkern“ unter den Investoren gehören, die sich intensiv mit ihren Investments auseinandersetzen und sich beispielsweise in die Unternehmensbilanzen einarbeiten Die verbleibenden Anleger sollten sich daher kaltherzig von einseitigen, wachstumsfokussierten Anlagephilosophien trennen. Denn ein „Weiter so“ wird für viele mittelfristig nicht mehr funktionieren.

Lange gemiedene Anlageklassen werden wieder interessant

Alternativen finden sich mittlerweile wieder am lange geschmähten Anleihemarkt. Bei einer von der deutschen Bundesregierung erwarteten Inflation von sieben Prozent für das Gesamtjahr sind lange noch nicht alle Anleihen ein Kauf. Deutsche oder US-Staatsanleihen können mit Zinserträgen zwischen zwei und fünf Prozent die Geldentwertung weiterhin nicht kompensieren. Hochzinsanleihen rentieren aber bereits wieder mit acht bis zehn Prozent.

Gerade wegen des fragilen Marktumfeldes gibt es auch auf der Aktienseite einige Titel zur Auswahl, die das Portfolio um interessante Renditechancen bereichern. Dazu gehören etwa Qualitätsaktien, die Wachstum mit einer soliden Unternehmenssubstanz vereinen, aber auch Dividendenaktien, die z. B. unverzichtbare Gebrauchsgüter herstellen und weiterhin positives Gewinnwachstum aufweisen. Außerdem liefern zyklische Werte wie Industrietitel und Halbleiterkonzerne Chancen auf Mehrrenditen, wenn die Rezessionsgefahr gebannt oder die Rezession durchstanden ist. Darüber hinaus haben Anleger die Möglichkeit, auch unter den abgestraften Technologieaktien nach günstig bewerteten Einstiegsgelegenheiten Ausschau zu halten. Möglicherweise lassen sich hier Titel finden, die trotz guter Geschäftszahlen mit dem restlichen Markt in die Tiefe gerissen wurden. Nur sollte nicht das ganze Portfolio aus diesen Aktien bestehen!

Anleger, die etwas mehr Risiko im Portfolio nicht scheuen, könnten auch einen Blick in Richtung Schwellenländerinvestments werfen. Schon seit Jahren liegen diese Werte in Sachen Rendite hinter den entwickelten Märkten zurück. Sollte sich der Wert des US-Dollars aufgrund langsamerer Zinserhöhungen der US-Fed aber abschwächen, würde dies aus historischer Sicht vor allem Schwellenländeraktien zu Gute kommen. Anleger könnten sich somit für einen fallenden Dollarkurs positionieren. Neben den üblichen China-lastigen Produkten, vor denen manche Anleger vielleicht zurückschrecken, gibt es hierfür aber auch vereinzelt Emerging-Markets-Fonds, die das Reich der Mitte bewusst ausklammern.

Das derzeitige Comeback der diversifizierten, strategischen Vermögensaufteilung funktioniert vor allem, weil viele unbeliebte oder sogar totgeglaubte Anlagen endlich als lukrative Alternativen am Markt zurückkehrten. Totgesagte leben auch an den Kapitalmärkten manchmal länger, selbst wenn einigen Anlegern dabei vielleicht etwas mulmig wird.

Tim Bröning ist seit 2009 in der Geschäftsleitung der Fonds Finanz Maklerservice GmbH und verantwortlich für den Bereich Non-Insurance, Finance & Legal.

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