Die Bröning-Kolumne: It ain’t over, ‘til it’s over

Tim Bröning
Foto: Fonds Finanz
Tim Bröning, Fonds Finanz

EXKLUSIV Die Inflationsgefahr sinkt immer weiter, während gleichzeitig die Wirtschaft in Europa und in den USA schwächelt. Was passiert mit den Zinsen und welchen Einfluss haben die aufkommenden politischen Verhältnisse dies- und jenseits des Atlantiks. Was aus dieser Gemengelage für Anleger folgt

Die bis vor Kurzem noch eklatant hohe Inflation hat scheinbar ihren Schrecken verloren. Die Teuerungsraten fielen in den letzten zwei Jahren von mehr als zehn Prozent in Deutschland und neun Prozent in den USA wieder auf ein akzeptableres Niveau zwischen zwei und drei Prozent. Ob die Teuerung dauerhaft auf das Zwei-Prozent-Zielniveau der Notenbanken oder auf das Niveau vor der Corona-Pandemie sinkt, bleibt aber fraglich. Dass sich viele Anleger fallende Inflationsraten wünschen, weil sie den Weg für Zinssenkungen der Notenbanken frei machen, scheint gewiss. Da die Inflationsdaten in den USA Mitte Juli etwas geringer als erwartet ausfielen, feierten Investoren erneut die Aussicht auf sinkende Zinsen, was sich in steigenden Aktienkursen äußerte.

Tatsächlich deuten einige Entwicklungen auf eine zurückgehende Teuerung und eine schwächere Wirtschaft hin, die den Einsatz von Zinssenkungen rechtfertigen könnte. Nicht mehr nur in Europa, sondern auch in den USA gibt es Anzeichen einer Konjunkturabschwächung. Obwohl die Arbeitslosenquoten in den USA weiterhin historisch niedrig sind, ist ein punktueller Anstieg zu verzeichnen: Über das letzte Jahr gab es dort 1,6 Millionen weniger Vollzeitstellen. Außerdem haben die Verbraucher sowohl in Deutschland als auch den USA begonnen, ihre nicht unbedingt erforderlichen Ausgaben erheblich herunterzufahren.


Das könnte Sie auch interessieren:

China drängt währenddessen wieder mit billigen Waren auf den Weltmarkt. Die Lieferengpässe und Lockdowns der Corona-Zeit sind längst vergessen. Günstige E-Autos, Technik, Kleidung und mehr üben weltweit Preisdruck aus und könnten die Inflation weiter abmildern. Doch diese deflationären Faktoren sind lediglich eine Seite der Medaille. Anleger sollten nicht zu vorschnellen Schlüssen kommen, denn es gibt einige absehbare Faktoren, die einer weiter fallenden Inflation entgegenwirken.

Populismus treibt die Preise

Vor allem die Politik ist für die weitere Entwicklung der Teuerungsrate entscheidend. Einerseits dämpften die Notenbanken durch hohe Zinsen bislang die Nachfrage. Staaten, die über den Regierungshaushalt Subventionen oder Steuersenkungen finanzieren, schaffen andererseits künstlich Nachfrage. Insbesondere schuldenfinanzierte Geschenke an die Wähler sind für die Inflationsentwicklung fatal. Je größer der Schuldenberg, desto wichtiger ist zudem die hohe Inflation, um die Verbindlichkeiten zu entwerten.

In Europa scheinen vor allem populistische Politiker Wählerstimmen zu gewinnen. Während in Frankreich wohl die linksnationale, ausgabefreudige Partei „Unbeugsames Frankreich“ mitregieren wird, hat in Italien die rechtspopulistische Regierungschefin Giorgia Meloni großzügige Steuergeschenke und Förderprogramme verabschiedet. Die Ausgaben des Mittelmeerstaates werden daher um 28 Milliarden Euro steigen. Man muss kein Ökonom sein, um zu begreifen, dass indirekte Geldgeschenke inflationär wirken.

In den USA steht die politische Richtungsentscheidung mit der Präsidentschaftswahl im November noch aus. Unabhängig davon, wer das Rennen macht, dürften inflationäre Kräfte zulegen. Die Demokraten hatten schon in der laufenden Legislaturperiode mit dem sogenannten „Inflation Reduction Act“ ein massives Subventionsprogramm verabschiedet, das die Inflation in Wahrheit viele Monate weiter anheizte, anstatt sie zu reduzieren. Auch unter Kamala Harris oder einem anderen Demokraten ist ein „Weiter so“ wahrscheinlich.

Der republikanische Gegenspieler, Donald Trump, wäre ebenfalls kein Inflationsbekämpfer. Der ehemalige Immobilienmogul plant erhebliche Unternehmenssteuersenkungen. Experten fürchten, dass die Wirtschaft dadurch erneut befeuert und die hohe Inflation auf absehbare Zeit zu einem ständigen Begleiter wird. Keiner der Kandidaten will letztendlich zulassen, dass die Konjunktur ausgerechnet in der eigenen Amtszeit kollabiert, weshalb sie weiterhin fleißig mit Staatsausgaben angekurbelt werden dürfte.

Aber was, wenn die Wirtschaft doch nachlässt, der Arbeitsmarkt weiter abkühlt und die Fiskalpakete ausbleiben? Selbst dann ist das Risiko eines erneuten Inflationsanstiegs oder einer Verstetigung nicht gebannt. Die Gründe dafür liegen unter anderem in scheinbar unumgänglichen Preistreibern, z. B. dem sogenannten „Re-Shoring“, mit dem sich westliche Unternehmen unabhängiger von Fertigungs- und Lieferketten in und aus China machen. Während der Trend in Deutschland kaum eine Rolle spielt, haben laut einer Umfrage beinahe 70 % der US-Industrieproduzenten bereits damit begonnen, Teile ihrer Fertigung zurück in die Heimat zu verlagern. Produkte werden sich aufgrund des wesentlich höheren Lohniveaus in den USA dadurch zwangsläufig verteuern, selbst wenn die Nachfrage zurückgeht.

Zu allem Überfluss ist ein neuer Handelskrieg zwischen der westlichen Welt und China entbrannt. Als Reaktion auf günstige E-Autos, mit denen chinesische Firmen den europäischen Markt erobern wollen, verhängte die EU bereits Anfang des Monats Strafzölle. Die Modelle einiger Hersteller werden dadurch rund 40 Prozent teurer und die USA wollen die Einfuhrgebühren sogar auf 100 Prozent anheben. Noch-Präsident Joe Biden hat zudem eine massive Erhöhung der Zölle für Solarzellen, Medizinprodukte, Halbleiter, Batterien sowie Stahl und Aluminium beschlossen.

Leider trieben auch die bewaffneten Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten die Ausgaben und Inflation an. Falls der NATO-skeptische Donald Trump noch einmal in das Weiße Haus einzieht, müssten z. B. europäische Staaten nicht nur zur Verteidigung der Ukraine viel tiefer in die Staatskassen greifen, sondern auch die eigene Rüstung massiv ausbauen.

Zinswetten bleiben riskant

Eine wirtschaftliche Stagnation bei erhöhter Inflation und hohen Zinsen sollte somit auf das Anlegerradar zurückkehren. Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, werden die Notenbanken die Leitzinsen zwar etwas senken müssen. Ob es nach ein bis zwei Schritten noch weiteren Spielraum gibt, dürfen Investoren aber anzweifeln. Auf drastische Zinssenkungen zu wetten, insbesondere mit spekulativen Wachstumsaktien, bleibt ein Wagnis. Doch auch für den Gesamtmarkt gilt: Dass Zinssenkungen zwangsläufig höhere Aktienkurse nach sich ziehen, ist historisch nicht belegbar. Zur Freude der Aktionäre könnten aber manche Substanzunternehmen mit Preissetzungsmacht auch bei steigenden Kosten wieder ihre Margen ausweiten.

Auch Anleihen bleiben spannend, weil Investoren die hohen Zinsen langfristig als Ausschüttung vereinnahmen können und bei unerwartet starken Zinssenkungen Kursgewinne hinzukommen. Der historisch verlässliche Inflationsschutz Gold sollte im Portfolio ebenfalls nicht fehlen, zumal die bereits hohen Notierungen durch geopolitisch motivierte Goldkäufe vieler Schwellenländer gestützt werden.  Anleger müssen sich derzeit für alle Eventualitäten bereit machen. Ein amerikanisches Sportlersprichwort, dürfte dabei in nächster Zeit ein nützlicher Leitfaden zur Inflations- und Zinsentwicklung sein: „It ain’t over ‘til it‘s over“.

Autor Tim Bröning ist Mitglied des Beirats der Fonds Finanz Maklerservice GmbH.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments