Eine Pflicht, das Thema bei Kunden abzufragen, besteht allerdings noch nicht. Das ergibt sich erst mit der Änderung der delegierten Verordnung 2015/35 zu IDD. Und die wird voraussichtlich im Herbst im Amtsblatt der EU veröffentlicht und ein Jahr später in Kraft treten“, gibt Andreas Kick, Nachhaltigkeitsexperte beim Institut für Vorsorge und Finanzplanung, zu bedenken.
Keine Pflicht zur Abfrage
Das hannoversche Analysehaus Franke und Bornberg hatte im Frühjahr eine Studie zur Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche durchgeführt. „Wie wir bei unseren Untersuchungen rund um den ESG-Report feststellen konnten, gibt es beim Thema Nachhaltigkeit mangels fehlender gesetzlicher Standardisierung noch keine einheitliche Vorgehensweise. Diese Unübersichtlichkeit macht es auch für Vermittler aktuell schwer, sich in das Thema Nachhaltigkeit einzuarbeiten. Trotzdem sind sich Vermittler der Wichtigkeit und der daraus resultierenden Chancen bewusst, wie auch unsere diesjährige Vermittler-Umfrage zum Thema ESG und Nachhaltigkeit ergeben hat.
Rund 62 Prozent der Befragten gaben dort an, dass sie das Thema Nachhaltigkeit in ihrem beruflichen Umfeld als wichtig erachten. 42 Prozent machen Nachhaltigkeit sogar schon grundsätzlich zum Bestandteil ihrer Beratung“, erläutert Philipp Wedekind, fachlicher Leiter Arbeitskraftabsicherung und Mitglied im Team Nachhaltigkeit bei Franke und Bornberg, die Studienergebnisse. Auffällig sei, dass das Thema Nachhaltigkeit von Vermittlern vor allem auf die Umweltaspekte reduziert wird. Soziales und Unternehmensführung spielen nur eine untergeordnete Rolle.
„Mit einer klaren nachhaltigen Ausrichtung erreiche ich die wachsende Zielgruppe derjenigen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist.“
Trotz der Weiterbildungsangebote und eines steigenden Interesses sieht Mehrwert-Geschäftsführer Baer beim Vertrieb noch Luft nach oben. „Gerade hier geht es vielerorts aktuell eher um Grundlagenwissen. „Tiefer gehende und damit längerfristige Aus- und Weiterbildungen werden erst seit kurzem angeboten. Doch gerade die sind für einen Expertenstatus im grünen Versicherungsbereich Grundlage“, erklärt der Experte. Baer vermisst zudem bei Vermittlerinnen und Vermittlern nach wie vor ein Verständnis für die Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und Wirkungsweise von grünen Finanzprodukten. Insbesondere in den Bereichen E und S – also Umwelt und Soziales. Und auch beim Marktüberblick bräuchten die Marktteilnehmer noch Unterstützung.
Das Gros der Vermittler ist noch weit entfernt
„Das Gros der Vermittler ist von einer klaren nachhaltigen Positionierung noch weit entfernt. Leider erkennen wenige, dass darin gleichzeitig eine große Chance für ihr Vermittlungsunternehmen liegt. Denn mit einer klaren nachhaltigen Ausrichtung erreiche ich als Beraterin oder Berater die wachsende Zielgruppe der Menschen, denen Nachhaltigkeit ein Anliegen ist. Das gilt insbesondere für junge Menschen. Damit gelingt auch eine klare Abgrenzung zu allen anderen Kolleginnen und Kollegen“, sagt Baer.
Auch wenn Umfragen wie die von Heute und Morgen derzeit noch geringes Interesse bei den Kunden sehen, die Versicherer ihrerseits registrieren eine steigende Nachfrage. „Uns erreichen Kundenanfragen zu allen Sparten der Versicherung, allerdings findet dies noch verhalten statt. Mit einer Ausnahme: Ein klarer Schwerpunkt unserer Kundenanfragen bezieht sich auf Produkte, die Kapitalanlage-orientiert sind, das heißt, die Lebensversicherung. In den Gesprächen, die wir hierzu führen dürfen, sind wir immer wieder beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit und Konsequenz unsere (potenziellen) Kundinnen und Kunden und hinterfragen, was mit ihren Versicherungsmitteln finanziert, oder besser, bewirkt wird. Besonders sichtbar wird dies in der Lebensversicherungssparte“, sagt Eberhard Sautter, Vorstandsvorsitzender der Hanse Merkur Versicherungsgruppe.
„Erst wenn Verbraucher verstehen, wie ihre Versicherung auf Nachhaltigkeit einzahlt, stiftet diese einen Mehrwert.“
Im Segment Lebensversicherung fokussiert sich laut dem ESG-Report von Franke und Bornberg das Thema Nachhaltigkeit aktuell auf die Kapitalanlage der Kunden. Immer mehr Versicherer bieten Fonds oder ETFs an. „Häufig gibt es separate „grüne“ Produktlinien, bei denen nur nachhaltige Kapitalanlagen zur Auswahl stehen. Diese Produkte stehen dann in der Regel in der privaten und betrieblichen Altersvorsorge zur Verfügung. Auch hier gibt es noch Potenzial für die Versicherer“, sagt Wedeking. Zwar ist die Kapitalanlage der größte Hebel, um auch andere Wirtschaftszweige zu nachhaltigerem Handeln zu motivieren, aber bei weitem nicht der einzige Ansatzpunkt. Wedeking: „So sollten zukünftig auch weitere Aspekte der Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt werden. Denn auch Themen wie Ökologie oder Transparenz sind unter Nachhaltigkeit zu verstehen.“
Das Angebot steigt vor allem in der Altersvorsorge
2020 hatte das Institut für Vorsorge und Finanzplanung erstmals ein Fondspolicen-Nachhaltigkeitsrating durchgeführt und in diesem Jahr den Markt erneut gescannt. „Dadurch, dass es sich beim aktuellen Rating um ein Folgerating handelt, haben wir somit den direkten Vergleich, was sich zum letzten Jahr verändert hat. Alle Versicherer haben zusätzliche, qualitativ hochwertige Fonds mit Nachhaltigkeitsmandat in ihr Portfolio aufgenommen.
Für Kunden bedeutet das, dass größere und bessere Fondspaletten mit Nachhaltigkeitsmandat für verschiedene Regionen und Themen zur Verfügung stehen. Sowohl im Bereich der privaten Rentenversicherungen, aber auch bei Basisrenten, die zumeist dieselbe Fondsauswahl zulassen, ist das nachhaltige Angebotsspektrum aus unserer Sicht sehr gut“, sagt IVFP-Mann Kick. Insgesamt wurden 37 Tarife vom IVFP mit Bestbewertungen ausgezeichnet. „Dabei handelt es sich um die Top-Tarife im Markt, die eine hervorragende Auswahl nachhaltiger Fonds bieten“, sagt Kick.
Die Leuchttürme der Branche
Leuchttürme seien die Stuttgarter Lebensversicherung mit ihrer „Grüne Rente“, die Concordia Oeco, die zur Bayerischen gehörende Pangaea Life, die Liechtenstein Life, die zur R+V-Gruppe gehörende Condor Lebensversicherung sowie der Volkswohl Bund, sagt Nachhaltigkeitsexperte Baer. Letzter hatte im Frühjahr mit „Next“ ein komplett nachhaltige Produktreihe auf den Markt gebracht. Bisher konnten Vermittler auf die Fondspolice Pur, die ETF-basierte Rentenversicherung FondsFittery, die Unfallversicherung Invest als nachhaltige Vorsorgelösungen zurückgreifen.
Ende September hat der Dortmunder Versicherer die nachhaltige Next-Palette um die Indexrente Klassik modern erweitert. „Der Kunde hat bei allen Produkten der Next-Familie ein bedingungsgemäßes Recht auf Nachhaltigkeit; in der gesamten Ansparzeit und während der Rentenphase“, sagt Dietmar Bläsing, Vorstandssprecher des Volkswohl Bundes. Bei der Fondspolice Next etwa könnten die Kunden aus mehr als 40 nachhaltigen Investmentfonds auswählen. Noch umfangreicher ist das Angebot der Swiss Life. Der Versicherer hatte Anfang März mit Swiss Life Investo Green einen nachhaltigen Ableger der fondsgebundenen Rentenversicherung Swiss Life Investo auf den Markt gebracht.
„In der Anlage steht im Fokus, dass Unternehmen schonend und nachhaltig mit ihren Ressource und der Umwelt umgehen (Environment), dass die Geldanlagen helfen, die Zukunft der Gesellschaft zu sichern und zu verbessern (Social) und dass Unternehmen, in die investiert wird, ihre unternehmerische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen (Governance)“, erklärt Stefan Holzer, Leiter der Versicherungsproduktion bei Swiss Life Deutschland.
Anfang Oktober wurde im Rahmen eines Produktupdates das Angebot von 45 nachhaltigen Fonds auf acht Anlageportfolios und rund 90 Einzelfonds ausgeweitet. „Diese stammen aus den unterschiedlichsten Anlageklassen wie Aktien, Renten oder Mischfonds und decken größtenteils Investmentbereich ab, die in nachhaltige Werte investieren; unter anderem in die Segmente Solarenergie, umweltfreundliche Immobilien und Aktien von Unternehmen, die generell nachhaltig wirtschaften“, sagt Holzer.
PKV: Warten auf die Angebote
Dagegen steht in der PKV das Thema Nachhaltigkeit aktuell noch nicht im Fokus. „Dennoch sind auch hier die Anbieter dabei das Thema Nachhaltigkeit voranzutreiben. Im Mittelpunkt steht hier hauptsächlich die nachhaltige Kapitalanlage. Auf der der Produktebene haben sich hingegen bisher noch nicht so viele Ansätze gezeigt. Hier wird höchstens auf Gesundheitsmanagement-Programme oder die Übernahme der Kosten für Naturheilverfahren abgestellt“, sagt Wedeking. Anders sieht es bei den Produkten der Sachversicherung aus.
„Hier liegt insbesondere die nachhaltige Schadenregulierung im Trend. So werden Mehrleistungen erbracht, die über den eigentlichen Schadenersatz hinausgehen, wie Leistungen für energieeffiziente Elektrogeräte, umweltfreundliche Materialien oder energetische beziehungsweise ökologische Modernisierungen. Es wird aber auch die Reparatur statt eines Ersatzes bei einem Totalschaden angeboten“, sagt Wedeing. Trotz des Trends: Wirklich Neues gebe es derzeit nicht im Markt, sagt Mehrwert-Geschäftsführer Baer. „Nach wie vor sind hier die NV, die Barmenia, die Pangaea und die Waldenburgische mit überzeugenden nachhaltigen Tarifmerkmalen unterwegs“, so sein Resümee.
Die Branche ist auf dem Weg
Bei der Nachhaltigkeit sind die Versicherer auf dem Weg. Ein Manko ist neben der fehlenden Standardisierung, dass auch die Kommunikation und die Angebote vielfach noch in den Kinderschuhen stecken. „Dies liegt letztlich auch daran, dass Versicherungsgesellschaften in punkto Nachhaltigkeit oft noch nicht klar positioniert sind, selbst erst noch um eigene klare Strategien und Konzepte ringen“, sagt Brocke.
Ein reiner „Marketingsprech“ oder mit Alibi-Produkten auf „grüne Züge“ aufzuspringen werde zukünftig immer weniger ausreichen. „Erst wenn Verbraucher verstehen, wie ihre Versicherungen auf Nachhaltigkeit einzahlen, stiftet diese auch einen entsprechenden Mehrwert. Denn gerade aufgrund ihres Denkens in längeren Geschäftszeiträumen – allen voran im Leben-Bereich – ist die Assekuranz eigentlich prädestiniert, hier zukünftig eine führendere Rolle als bisher zu einzunehmen. Die Mehrheit der Kunden ist jedenfalls bereit, auf den sie überzeugenden Nachhaltigkeitswegen Schritt für Schritt mitzugehen“, so Brocke. (dr)