„Und ein Zeichen, dass im auslaufenden Zinserhöhungszyklus die Notenbanken politischer agieren und Deutungs- und Gestaltungshoheit für sich beanspruchen“, sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking der Hamburger Sutor Bank.
Die EZB hat am Donnerstag (15. Juni 2023) zwar erwartungsgemäß den Zins um 0,25 Prozentpunkte angehoben. „Diese Entscheidung kam aber nicht einstimmig oder zumindest einmütig zustande“, so Beil. „Innerhalb der EZB bilden sich erkennbar zwei Lager.“ Die einen, die die Zinserhöhungspause in den USA gerne ebenfalls für den Euroraum anwenden würden und die anderen, die weiter an der Zinsschraube drehen wollen, um die Inflation in den Griff zu bekommen.
Kampf um Inflation noch nicht gewonnen
Denn der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht gewonnen. Die EZB erwartet für dieses Jahr die Kerninflation bei 5,1 statt bisher 4,6 Prozent, für 2024 bei 3 statt vorher 2,5 Prozent. Und 2025 wird nun mit 2,3 Prozent Inflation gerechnet, nach bisher erwarteten 2,2 Prozent. „Damit wäre erst 2026 der von der EZB gewünschte Inflationswert von rund 2,0 Prozent zumindest in Reichweite – und es darf keine Abweichungen von den Erwartungen geben“, sagt Beil.
Diese Anhebung der Prognosen verdeutlicht, dass das Ende der Zinssteigerungen noch nicht erreicht ist. „Angekündigt hat die EZB nach ihrer Zinserhöhung, dass die künftigen Beschlüsse des EZB-Rats dafür sorgen werden, dass die Leitzinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau gebracht werden“, so Beil. „Das lässt vieles offen, spricht aber eher für weitere Zinsschritte.“
Doch je länger die restriktive Phase der Notenbanken dauert, desto gefährlicher kann dieser Kurs für die Realwirtschaft werden. „In fast allen Phasen einer harten Notenbankpolitik kam es zu einer Rezession“, sagt Beil. „Um diese Zinserhöhungsphase zu einer Ausnahme zu machen, darf mit dem Point of Return nicht zu lange gewartet werden.“ Die Wirtschaft übersteht die höheren Zinsen derzeit in der Erwartung, dass es auch bald wieder niedrigere Zinsen gibt – und dass sich so lange noch von den billig aufgenommenen Krediten leben lässt. Neue Investitionen werden also verschoben. „Und je weiter nach hinten, desto schlechter für die Konjunktur“, sagt Beil.
Hier tritt der Eigennutz der Notenbanken und ihrer politischen Umfelder zutage. „Die Fed ist von Anfang an der EZB vorausgelaufen“, sagt Beil. „Ihre Erhöhungspause ist jetzt ein Antesten, was die Europäer unternehmen.“ Denn die USA wollten nicht gegenüber der Eurozone ins Hintertreffen geraten. Insofern sei es ein geschickter Schachzug, die Zinsen zu pausieren und sich das Hintertürchen der Erhöhung offenzuhalten. „Die Fed kann jetzt, ohne noch einmal die Zinsen erhöhen zu müssen, die Früchte der Ankündigung ernten“, so Beil. „Europa wird sich sehr genau überlegen, wie weit die Zinsen noch steigen sollen.“ Und können, denn die Konjunktur ist in der Eurozone noch etwas weniger robust als in den USA.