Die Gretchenfrage – warum die Politik nicht aus aus dem Mieten-Dilemma hilft

Politische Irrungen und Wirrungen verstärken den Mietenwahnsinn und sorgen für immer seltsamere Maßnahmen, um weitere Anstiege zu deckeln. Warum derlei Aktionismus den Immobilienstandort Deutschland nicht voran bringt.

Dr. Reiner Braun, Empirica

Drei Auswanderungswellen aus Südeuropa, Osteuropa und der Levante, eine bisher nicht gekannte Binnenwanderung in die Schwarmstädte sowie ein langanhaltender Wirtschaftsaufschwung prägen hierzulande seit 15 Jahren die Wohnungsnachfrage. Im Ergebnis leben mehr Menschen in mehr Haushalten, die jedoch in weniger Regionen und mit höheren Ansprüchen Wohnungen suchen. Auf dem Land dagegen weht zuweilen der staubige Wind wie in einem schlechten Western sinnbildlich vertrocknete Sträucher um die wachsenden Leerstände.

Im selben Zeitraum wurden die gesetzlichen Anforderungen an Brandschutz, Schallschutz oder Energieeinsparung drastisch verschärft, Baulandausweisung aus Angst vor Zersiedelung verschleppt und Bauträgern Zusatzkosten für die Errichtung sozialer Infrastruktur abverlangt. Das Ergebnis: zu wenig Neubau. Gleichzeitig steigt der Anlagedruck infolge der Niedrigzinsen. In Ermangelung ausreichender Neubauobjekte fließt die überschüssige Liquidität in den Bestandskauf. Regionale Preisblasen entstehen. Neue Investorentypen werden angelockt. Sie führen „unnötige“ Modernisierungen durch und legen die Kosten auf die Mieten um.

Warum? Weil die Knappheit es zulässt. Es klingt böse, aber der Markt funktioniert: Er signalisiert den Investoren anhand steigender Mieten einen hohen Neubaubedarf. Und tatsächlich nimmt die Bautätigkeit Fahrt auf. Doch die Fertigstellungen hinken dem Bedarf hinterher. Das ist aber kein Marktversagen. Vielmehr bremsen Baulandmangel, lange Genehmigungsprozesse, Bürgerprotest und zuletzt auch Kapazitätsengpässe den Wohnungsbau aus.

Was ist zu tun? Manche sagen: Wenn wir nicht bauen, ziehen weniger zu und steigt die Nachfrage nicht mehr; und im Bestand deckeln wir die Mieten per Gesetz oder durch Enteignung. Aber das ist zu kurz gedacht. Denn Zuwanderer kommen auch ohne Neubau, vertreiben dann aber Alteingesessene. Zuzügler sind oft einkommensstärker. Deshalb können sie höhere Mieten zahlen oder werden – falls die Mieten gedeckelt sind – trotzdem von privaten Vermietern bevorzugt. Im Zweifelsfall kaufen sich die zahlungskräftigen Zuwanderer einfach eine Wohnung. Außerdem locken niedrige Mieten auch verstärkt Geringverdiener an, die zuletzt in preiswertere Städte ausgewichen sind. Und solange keine Zwangseinweisung von Untermietern droht, werden glückliche Bestandsmieter bei gedeckelten Mieten ihren Flächenkonsum vergrößern.

Baulandmangel, Bürgerproteste und lange Genehmigungsprozesse bremsen den Wohnungsbau aus

Es kann noch schlimmer kommen: Wenn die Marktteilnehmer glauben, dass der Deckel länger als fünf Jahre gilt, werden die Preise für gedeckelte Wohnungen proportional zur Mietabsenkung einbrechen. Das könnte die Nadel sein, die den mit Niedrigzins aufgeblasenen Preisballon zum Platzen bringt. Zumindest aber werden Banken argwöhnisch: Sinkt der Marktwert unter den Beleihungswert, fordern sie zusätzliche Sicherheiten. Wer Pech hat, muss zwangsversteigern. Das droht den privaten Kleinvermietern genauso wie den börsennotierten Gesellschaften. Dann wackelt die Altersvorsorge.

Eine atmende Modernisierungsumlage, die mit dem Zinssatz dynamisiert wird, wäre eine sinnvolle Maßnahme

Was wäre die Alternative? Knappheit beseitigt man durch mehr Angebot, dafür braucht man dringend Bauland. Preiswerte Wohnungen entstehen, wenn Bauland ausreichend vorhanden ist und staatliche Auflagen nicht überborden. Eine Vereinfachung der Bauordnungen kann Wunder wirken. Wer unbedingt strikte Umweltauflagen haben will, muss sich entweder mit hohen Mieten abfinden oder kräftige Subventionen bereitstellen. Warmmietenneutralität bei energetischer Sanierung gibt es nur auf dem Papier. Bis der Neubau steht, dauert es jedoch seine Zeit. Deswegen brauchen wir ein höheres Wohngeld, gerne dynamisiert mit dem Mietpreiswachstum. Die Wartezeit darf man auch durch schärfere Regulierung überbrücken. Dabei sind aber zwei Dinge zu beachten: Erstens muss man das versprochene Zusatzangebot auch glaubhaft schaffen wollen und zweitens sollte die Regulierung smarter sein als ein plumper Rasenmäherdeckel. Denn der unterdrückt entweder zu viele Investitionen oder provoziert zu viele Ausweichreaktionen. Die müssen dann durch immer weitere und feiner ziselierte Deckelregeln wieder eingefangen werden.

Sinnvoll wäre dagegen eine atmende Modernisierungsumlage, die mit dem Zinssatz dynamisiert wird. Sie kann derzeit gerne vier Prozent statt der geltenden acht Prozent betragen oder besser durch Einordnung in einen entsprechend modifizierten Mietspiegel nachfragegerecht ermittelt werden. Sinnvoll wäre auch ein geringeres Vollzugsdefizit bei der Mietpreisbremse. Offenbar gibt es nicht wenige Verstöße, die aber fast nie geahndet werden. Auch ein Mietendeckel wirkt nur dann so wie er soll, wenn man ihn kontrolliert. Warum kontrolliert man nicht zunächst einmal die Einhaltung der Bremse?

Ein anderes Problem: Bei jeder neuen Regulierung jubelt der Mieterbund und jammert die Immobilienlobby. Beide aber zu Unrecht. Denn bisherige Regulierung verhinderte keine Investition, sie verzögerte sie nur. Wenn Mieten langsamer steigen durften, dann wurde schlicht länger gewartet und erst bei höheren Mieten investiert. Bestandshalter profitierten, ihre Mieter mussten leiden und Wohnungssuchende reihten sich länger in Warteschlangen. Je schwächer oder smarter eine Regulierung, desto eher hielten Investoren den Neubau für rentabel. Auch wenn am Ende oft zu viel gebaut wurde und die Mieten fielen – im Durchschnitt blieb er trotzdem lohnend.
Jetzt aber erleben wir eine Zeitenwende: Dumpfe Regulierung raubt den Investoren den Glauben an rentablen Neubau. Ein strikter Mietendeckel entwertet Investitionen auf Dauer. Viele werden sich fernhalten, die Knappheit ewig halten und der Bestand verlottern. Denn auch im freigestellten Neubau wird abgewogen, wie glaubhaft dessen Ausnahme vom Deckel künftig noch sein wird.

Das Problem des Mietendeckels kennt jeder vom Gurkenglas. Dreht man es zu fest zu, kann man es kaum wieder öffnen

Fazit: Das Problem des Mietendeckels kennt jeder vom Gurkenglas: Dreht man es zu fest zu, kann man es kaum noch wieder öffnen. Sind die Mieten erst mal auf niedrigem Niveau fixiert, wird es kein Politiker mehr wagen, den Deckel jemals zu lockern. Das Gurkenglas wäre die Büchse der Pandora. Zeitverzögert würde auch der spärliche Neubau gedeckelt, um die dort dann stattfindenden Exzesse zu mildern. Reduziert man die Mittel der Wahl auf ihren eigentlichen Kern, dann stellt sich die Gretchenfrage: Vertraut man eher dem Markt oder dem Staat? Der Markt führt zyklisch zu unfairen Ergebnissen, die in ihrer Wirkung aber durch smarte Regulierung abgefedert werden können. Auf jeden Fall lässt er jedem die Freiheit, dort und so zu wohnen wie er will. Der Preis dieser Freiheit ist die Miete. Sie kann zyklisch auch mal stark belasten.

Vom Markt zu unterscheiden ist dagegen der Marktmechanismus. Der Staat kann den Wasserlauf verändern, bei Hochwasser macht das Wasser dennoch, was es will. Werden die Wohnungen nicht über den Preis zugeteilt, braucht es einen wohlwollenden Verwalter, der das Angebot blind wie Justitia rein nach objektiven Kriterien vergibt. Aller Erfahrung nach wird das aber mehr schlecht als recht gelingen. Die Verwaltung von Knappheit führt früher oder später immer zu Günstlings- und Schattenwirtschaft. Wie schon heute in Wien bezahlt der Mieter dann auch hierzulande die Instandhaltung aus eigener Tasche, verlangt vom Nachmieter dafür hohe Abstandszahlungen und sucht sich nach eigenem Gutdünken Untermieter für seine überdimensionierte Wohnung. Der Preis niedriger Mieten ist deswegen die Unfreiheit. Die dauerhafte Unfreiheit der Zuziehenden und Wohnungssuchenden. Man mag vieles kritisieren an der Marktwirtschaft. Aber auch in der Planwirtschaft fließt das Wasser niemals bergauf. Ochs und Esel sollten das wissen.

Autor Dr. Reiner Braun ist Vorstandsvorsitzender der empirica AG.

Foto: Empirica, Shutterstock

 

 

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