Die absolute Mehrheit hat die „Neue Volksfront“ zwar verfehlt. Dennoch ist das Linksbündnis stärkste politische Kraft im Parlament und wird auf seinen Einfluss pochen. Der Staatspräsident könnte die alte Regierung geschäftsführend im Amt belassen oder eine Technokratenregierung bilden. Diese hätten aber kaum Rückhalt im Parlament. Frankreich würde zum lahmen gallischen Hahn.
Es läuft wohl auf eine Ampelkoalition à la manière française hinaus, ein Regierungsbündnis aus gemäßigten Linken und der politischen Mitte, das allerdings fragil sein wird. Die Linke würde sich selbst spalten und an parlamentarischer Kraft einbüßen. Und diese bislang unbekannte Regierungsform mit dem permanenten Zwang, über jedes Komma in Gesetzesvorlagen zu verhandeln und mühevolle Kompromisse zu finden, ist für alle Seiten politischer Stress pur.
Bei Erfolglosigkeit könnte ab Juli 2025 zwar die nächste vorgezogene Parlamentswahl stattfinden. Doch dann könnte es wegen noch mehr Polit-Frust im Land wirklich „Le Pen(g)“ machen, wobei das andere Extrem ebenso unappetitlich ist.
Insgesamt ist die Gefahr groß, dass auf absehbare Zeit in Frankreich weiter nur verwaltet, aber in puncto französischer Standortqualitäten nicht gestaltet wird. Als Preis für den politischen Ampel-Frieden drohen noch mehr Verschuldung bei noch weniger Reformen.
Französischer Etatismus als Blaupause für die gesamte EU?
Seitdem in Frankreich Könige und Kaiser zur Abdankung gezwungen und verbannt wurden oder gar ihren Kopf verloren, gilt die Republik, der Staat als Heilsbringer. Vive la République! Der Etatismus soll alle Probleme lösen und den Menschen ein angemessenes und soziales Leben ermöglichen, u.a. möglichst kurze Arbeitszeiten und möglichst frühzeitige Rente. Besonders beliebt ist der öffentliche Sektor, in dem ca. 20 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten. Da ist es kein Wunder, dass die Staatsquote an der Wirtschaftsleistung bei 60 Prozent liegt und der letzte schuldenfreie Haushalt 50 Jahre her ist. Der übergewichtige Staat beherrscht die Wirtschaft wie die fette Unke den Teich.
Die Besitzstandswahrung im Sozialstaat zu reformieren oder zu sparen, ist wie der Griff auf die heiße Herdplatte. Man verbrennt sich, denn die französischen Gewerkschaften sind übermächtig und können das Land lahmlegen. Und schnell brennt es auch schon mal in Vorstädten.
Dieser Etatismus lässt vielen auf der linken politischen Seite das Wasser im Mund zusammenlaufen. Für sie ist er das Optimum einer Gesellschaftsform. Er müsse sogar noch weiter ausgebaut werden.
Diese Herrschaften haben wohl zu viel Beaujolais geschlürft. Denn trotz eines riesigen Sozialstaats ist die allgemeine Unzufriedenheit groß. Frankreich hat mit die höchsten Einkommen- und Unternehmenssteuersätze sowie Sozialversicherungsbeiträge der Welt. Es macht keinen Spaß mehr, wirtschaftlich aktiv zu sein. Und so investieren finanziell überbelastete Unternehmen immer weniger in Frankreich und schaffen immer weniger Perspektiven. Die Wirtschaft stagniert seit unzähligen Jahren. Der übermächtige Staat ist nicht die Lösung von Problemen, er ist das Problem.
Eigentlich müsste Brüssel dieser etatistischen Offensive mit starker Abwehr Einhalt gebieten. Und tatsächlich wurde ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Aber wie sagte schon der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: Frankreich kann man nicht bestrafen, weil es Frankreich ist. Es ist zu mächtig, zu bedeutend in der EU. Überhaupt scheint die staatswirtschaftliche Spielart der Franzosen auch in anderen EU-Ländern Gefallen zu finden.
Während also die Europäische Kommission von Frankreich Kürzungen im Staatshaushalt fordert, wollen linke Parteien im französischen Parlament eine drastische Ausweitung der Sozialausgaben auf Pump durchsetzen. Raten Sie mal, wer sich durchsetzt?
Wie reagieren die europäischen Finanzmärkte?
Seit der Europawahl sind die Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen gestiegen. Selbst deutsche Staatsanleihen spüren Druck, wenn auch weniger deutlich. Zum Glück spielt Macrons politische Mitte mit und kann einen kompletten Linksruck verhindern. Lieber mitregieren als nicht regieren.
Überhaupt, jeder echten Schuldenkrise wird von der EZB als Ausputzer entgegengewirkt. Mit ihrem Transmission Protection Instrument wird sie sich übermäßig steigenden Risikoaufschlägen in den Weg stellen. Damit fördert sie zwar Inflation, doch kommt diese, wenn sie wie erwartet nicht konsequent bekämpft wird, den Aktienmärkten zugute.
Apropos Aktien, vor allem Bankaktien reagieren sensitiv auf die geringste Andeutung einer Schuldenkrise, die immer auch eine Bankenkrise bedeutet. Die letzte Krise steckt ihnen immer noch in den Knochen. Aber auch hier hilft die Hand Gottes, die Hand der EZB. Überhaupt verdienen die Banken im Zinsgeschäft wieder Geld. Und bei anziehender Konjunktur verringern sich die Kreditrückstellungen und läuft das Kapitalmarktgeschäft wieder an. Nicht zuletzt sind sie mit fast 50 Prozent Abschlag zum europäischen Gesamtaktienmarkt unterbewertet.
Ohnehin können europäische Aktien von den wirtschaftspolitisch schlecht bespielbaren Fußballfeldern in Frankreich oder Europa abstrahieren. Sie spielen weltweit auf den besten Standorten mit Zierrasen. Für sie gilt Bonjour Tristesse weniger.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725