Die Fed hat sie zum Kardinalkriterium für Preissteigerungen und ihre Geldpolitik erhoben: Die Daten vom Arbeitsmarkt. Doch sind sie wirklich so bedeutend?
Zunächst, wie können in Amerika mit seiner wenig effizienten Verwaltung schon am Ende des jeweiligen Monats amtliche Arbeitsmarktzahlen vorliegen? Einfache Antwort: Sie werden geschätzt, Pi mal Daumen.
Die Anzahl neu geschaffener Stellen wird berechnet, indem das Arbeitsministerium jeden Monat ca. 150 Tausend öffentliche und private Unternehmen befragt, ob und wenn ja, wie viele Menschen eingestellt oder entlassen wurden. Obwohl damit noch nicht einmal eine Million Arbeitsplätze bei einer Gesamtanzahl der Erwerbstätigen von über 161 Millionen berücksichtigt werden, rechnet man diese Daten dennoch für alle Beschäftigten in den USA hoch. Diese Methode ist unsauber, da die Grundgesamtheit statistisch zu klein ist. Insofern fällt der Schätzfehler groß aus. Tatsächlich zeigt der vom amerikanischen Privatanbieter ADP ermittelte Arbeitsmarktbericht, der einige Tage vor den offiziellen Daten zu neu geschaffenen Stellen ermittelt wird, oft krasse Abweichungen, als handelte es sich um zwei verschiedene Länder. Und nach einem Monat werden die Schätzdaten von der Realität eingeholt und teilweise auch noch massiv korrigiert.
Auch die Berechnung der offiziellen Arbeitslosenrate ist auf sandigem Gelände gebaut. Zur Berechnung bezieht man sich auf die Anzahl der für Arbeit zur Verfügung stehenden Personen, auf amerikanisch „Work Force“ genannt. Diese Work Force ist eher eine Work Farce. So werden z.B. Bürger nicht berücksichtigt, die sich nicht mehr als arbeitslos melden, weil sie keine staatliche Stütze mehr erhalten. Aber auch Teilzeit beschäftigte Menschen, die gerne Vollzeit arbeiten würden, fallen aus der Statistik heraus. Die Realität am Arbeitsmarkt wird geschönt, was aus politischer Sicht nicht verwunderlich ist. Andere Datenanbieter wie Shadow Government Statistics kommen dagegen auf erheblich höhere US-Arbeitslosenquoten.
Auch diese Zahlen muss man nicht unbedingt für bare Münze halten. Insgesamt zeigt sich aber, dass Arbeitsmarktdaten, die die Treffsicherheit einer Schrotflinte haben, keine verlässliche Basis für die Einschätzung von Konsum und Inflation sein können.
Der Arbeitsmarkt ist die Wirkung, nicht die Ursache
Volkswirtschaftlich betrachtet sind Arbeitsmarktdaten Spätreagierer. Der Vergleich mit einem Kühlschrank ist angebracht. Wird die Kühlung höher eingestellt, verändert dies zunächst die Temperatur nicht. Je länger jedoch die Kälte andauert, umso mehr erkaltet auch der Kühlschrankinhalt.
Ähnlich muss auch die US-Notenbank die Wirkungen ihrer Zinsabkühlung einplanen. Sie muss frühzeitig einschätzen, wann sie den Temperaturregler wieder höher einstellt, um den Arbeitsmarkt nicht zu frosten.
Ein mahnendes Beispiel für Frost: Der frühere Fed-Chef Ben Bernanke hatte von 2004 bis 2006 die Leitzinsen von einem auf 5,25 Prozent dramatisch hochgetrieben und auf diesem Niveau zu lange belassen. Am Ende war die Inflation zwar tiefgekühlt, der Arbeitsmarkt aber auch. Anschließend musste der Leitzins bis auf null Prozent gesenkt werden, um die Beschäftigtensituation wieder aufzuwärmen.
Auch hier zeigt sich, dass der Arbeitsmarkt keine einseitig bestimmende Rolle bei der Zinsfindung der Fed spielen kann. Es ist sogar gewagt, ihn als Grundlage für die US-Geldpolitik zu verwenden.
Übrigens, Arbeitsmarktdaten müssen immer in Relation zur Produktivität gesetzt werden. Ist diese hoch, kann selbst ein hoher Beschäftigungsstand die Inflation nicht anheizen.
Arbeitsmarktdaten als stabilitätspolitische Spielwiese, auf der jedoch der Ball fehlt
All diese Erkenntnisse hat auch die US-Notenbank. Aber warum trägt sie die Arbeitsmarktdaten dennoch wie eine Monstranz durch die Finanzwelt?
Mit der inflationären Betonung einer stabilen Beschäftigungslage und dem entsprechenden Malen des Inflations-Teufels an die Wand erweckt sie den Eindruck einer handlungsbereiten Notenbank, die stets den kritischen Blick auf die Preisstabilität richtet. Und diese Botschaft kommt bei Anlegern offensichtlich an. Sie starren jedes Mal auf die Jobdaten wie das Kaninchen auf die Schlange.
Doch Hand aufs Herz liebe Fed-Direktoren: Selbst die offizielle Inflation liegt immer noch über drei Prozent, von der tatsächlichen ganz zu schweigen. Und angesichts der dramatischen Konjunkturprogramme, die auch nach der Präsidentenwahl munter weiter gehen, wird der Inflation weiter Wasser auf ihre Mühlen geleitet. Unabhängig von der Arbeitsmarktentwicklung hättet ihr längst noch zinsrestriktiver werden müssen.
Allerdings, mit Blick vor allem auf die Überschuldung der USA, aber auch zur Beibehaltung eines soft landing-Szenarios und um gegenüber China wirtschaftlich verteidigungsfähig zu bleiben, geht strenggläubige Zinserhöhungspolitik heutzutage nicht mehr. Das kann die Fed so niemals ex cathedra sagen. Damit würde sich die bedeutendste Notenbank der Welt den Stabilitäts-Heiligenschein selbst abnehmen.
Man muss so tun als ob. Man mimt stabilitätspolitische Handlungsbereitschaft, ohne konsequent stabilitätspolitisch zu handeln. Es ist ein Spiel ohne Zins-Ball und die Arbeitsmarktdaten bieten dafür die passende Spielwiese.
Tja, Geldpolitiker sind eben auch nur Politiker.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725