Ein Pferd springt nur so hoch wie es muss. Angesichts des Zustands der deutschen Wirtschaft muss aber ein neuer Weltrekord im Hochsprung her. Anderenfalls drohen weitere Jahre mit Nullwachstum, sogar mit Stagflation, da uns die Inflation wie ein Schatten verfolgt.
Die früheren konjunkturellen Wohlfühlzeiten kommen ohnehin nie mehr zurück. Vor diesem Hintergrund können Wirtschafts- und Finanzpolitik keine Schönwetterveranstaltungen mehr sein. Im Haifischbecken des international brutalen Wettbewerbs heißt es „Vogel friss oder stirb“.
Doch wie stehen die Chancen für eine wirtschaftsfreundliche Koalition nach der Bundestagswahl? Aktuell erleben wir einen Wohlfühlwahlkampf mit hübsch ins Schaufenster gestellten Annehmlichkeiten, die jedoch nur mit konsequenter Ignoranz der Mathematik umsetzbar sind.
Dagegen sind dringend nötige Konzepte zur Beseitigung unserer Wirtschaftsprobleme (Energiesicherheit zu akzeptablen Preisen, Bürokratie, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit) Mangelware. Doch fürchten sich unsere Kandidaten vor harten und schmerzhaften Reformen, die zu ebenfalls harten Abstrafungen durch die Wähler – wie nach der Agenda 2010 – führen könnten. Aber haben sie eine Wahl? Wollen wir wirtschafts- und finanzpolitische Zustände wie in Frankreich riskieren, für die auch gesellschaftspolitische Preise zu zahlen sind?
Ebenso liefert die EU-Politik nicht unbedingt Argumente für deutsche und europäische Aktien 2025. Eine wachsende Anzahl von sendungsbewussten Eurokraten will uns auch weiter mit gutmenschlichen Maßnahmen beglücken, obwohl diese vielfach wie Rattengift auf unsere Wirtschaft wirken. Leider ist Deutschland immer besonders emsig, wenn es um deren nationale Umsetzung geht.
Und wenn es dann konjunkturell hinten und vorne nicht reicht, werden viele auf die Barmherzigkeit der EZB setzen. Doch wegen Wachstums- und Wettbewerbsschwäche führt dies am Ende nur zu höherer Inflation und somit Wohlstandsverlusten.
Trumps Sprachrohr Elon Musk steckt mit viel sadistischer Freude die Finger in die weit offenen Wunden Europas. Auf Druck könnte jedoch auch Gegendruck folgen. Europa und Deutschland könnten sich wieder auf ihre früheren wirtschaftlichen Tugenden besinnen. Momentan jedoch reagiert man auf berechtigte Kritik wie die beleidigte Leberwurst mit selbstgerechtem Moralismus. Reflektiert wird viel zu wenig.
Unsere schwache Währung spiegelt diese allgemein missliche Lage in Europa klar wider, was leider den Preisauftrieb von außen antreibt.
Zinssenkungsphantasie geht, Konjunkturerholung kommt
In seiner zweiten Amtsperiode wird Donald Trump Amerikas Wirtschaft massiv fördern und deregulieren. Das erfreut auch die High-Tech-Industrie, die sich allerdings mehrheitlich für Kamala Harris ausgesprochen hatte. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass man von den vielen US-Stars, die Amerika verlassen wollten, falls Trump wieder Präsident wird, nichts mehr hört. Gemäß dem Motto „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ wird der amerikanische Vogel des Jahres 2025 der Wendehals werden.
Allerdings wird die amerikanische Wirtschaftsoffensive viel neues Schuldengeld und Inflation kosten. Das schmälert den Spielraum der Fed für Zinssenkungen und somit ihre Phantasie für die Aktienmärkte. Immerhin wissen Fed und andere Notenbanken, dass sie weiter Schutzpatrone der Schuldenstaaten sein müssen, um Finanzkrisen durch zu hohe Anleiherenditen zu verhindern.
Und Trump weiß, dass seine noch im Wahlkampf propagierten Turbo-Handelszölle die US-Preise ähnlich wachsen ließen wie Unkraut im Vorgarten. Wurde er nicht gerade wegen der hohen Lebenshaltungskosten gewählt? Also wird es nur überschaubare Zollerhöhungen geben.
2025 wird an Stelle des Zinssenkungsarguments für Aktien das Konjunkturthema mit höheren Unternehmensgewinnen in den Vordergrund treten. Überhaupt sorgen überall gewaltige Ausgabenprogramme für Verteidigung, Infrastruktur und Digitalisierung für internationalen Aufschwung.
Davon profitieren konjunkturzyklische Aktien, auch die aus Deutschland und Europa und gerade jene aus der zweiten Reihe. Zum einen werden sie aufgrund ihres Know-Hows gebraucht. Und zum anderen flüchten sie in attraktivere Produktions- und Absatzstandorte, vor allem in die USA. So erklärt sich, warum europäische Industrieunternehmen ihre Gewinne in den letzten 10 Jahren trotz allem um mehr als 80 Prozent steigern konnten.
Insgesamt müssen 2025 mehr Risiken einkalkuliert werden und so wird es auch volatiler. Aber auch die beschriebenen Chancen sind zu berücksichtigen. Der Anlegerfokus sollte auf Aktien gerichtet werden, die intakte Stories erzählen und noch relativ günstig bewertet sind. Dann wird 2025 ein Aktienjahr, das neben Saurem auch viel Süßes bereithält.
Eigentlich ein Fall für den Tierschutz
Dazu müssten sich unsere Politiker allerdings konsequent um die Zukunft unseres Landes kümmern und die Probleme der breiten Masse angehen. Nichts weniger als ein neues deutsches Geschäftsmodell 2.0. muss her. Ja und dann würden unsere Börsen nicht mehr nur als Trittbrettfahrer von Wall Street auffallen, sondern autonome Auftriebskraft entfalten.
Leider sind wir da (noch) nicht. Sonst würde niemand vorschlagen, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben. Ausgerechnet private Altersvorsorge, die verhindert, dem Staat später auf der Tasche zu liegen, würde geschwächt. Die jetzt schon steuerrechtlich geringen Anreize, für den Ruhestand zurückzulegen, würden noch kleiner. Dieser Vorschlag soll zwar nicht die „Normalen“, sondern nur die „Reichen“ treffen, die vom Ersparten leben können. Dadurch wird er kein bisschen besser. Wer sein ganzes Berufsleben lang diszipliniert, regelmäßig angespart und auf Konsum verzichtet hat, für den ist ein beträchtlicher Vermögensaufbau sehr normal. Das ist doch auch der heilige Zweck des Sparens: Wie ein Eichhörnchen zurückzulegen, um später verzehren zu können. Das staatliche Raubrittertum sollte aufhören diese nützlichen Nagetiere zu jagen. Eigentlich ein Fall für den Tierschutz.
Es mag nicht jedem gefallen, was ich in dieser Kolumne geschrieben habe. Aber in meinem Alter trägt man das Herz auf der Zunge. Und die wird jeden Tag größer und breiter.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725