Lange sind wir ja von der Börsensonne verwöhnt worden. Doch jetzt sind wir irritiert, dass die dunklen Wolken der Zins- und Kriegsangst die Sonne verdecken. Am schlimmsten ist die Unsicherheit, wie lange die Schlechtwetterperiode noch anhält.
Börsen-Eiszeit ohne Ende?
An den Börsen hat sich die stabil freundliche Wetterlage eingetrübt. Und nicht nur das: Das bisher dominierende geldpolitische Azoren-Hoch droht zum massiven Tief zu werden. So scheinen bei der Fed die Eisheiligen das Kommando übernommen zu haben. Selbst der strahlende Sonnenschein der EZB könnte an wärmender Wirkung verlieren. Einige Wetterfühlige mutmaßen schon, dass die Schönwetter-Front „Christine“ zur kalten Sophie mutiert. Tatsächlich wird das Sommermärchens einer nur vorübergehenden Inflation immer weniger erzählt. Die dunklen Wolken der Inflation am Börsenfirmament lassen sich nicht mehr einfach so wegpusten.
Hartnäckig liegt auch die geopolitische Kaltfront „Ukraine“ über den Börsen. Väterchen Frost Putin kooperiert mittlerweile so eng mit Sturmtief „Jinping“, dass es die wenig kooperativen Warmfronten „Joe“ und „Olaf“ schwerhaben, Widerstand zu leisten. Ist die friedliche Wetter-Koexistenz bedroht? Kommt es sogar zur Polarfront? Würde uns Putin den Gashahn zudrehen, könnten wir dem Kaltwetter selbst im wohlig-warmen Zuhause kaum entgehen.
Ein langer sibirischer Winter im Verhältnis West zu (Fern-)Ost würde ebenso die Weltwirtschaft tiefkühlen. Dann stünden die europäische und speziell deutsche Exportindustrie vor einem Dauerfrost.
Leider fehlt es derzeit noch an verlässlichen Prognosen der Börsen-Meteorologen über das zukünftige Zins- und geopolitische Wetter. Aber gerade diese Unsicherheit sorgt bei Aktien mitunter für miese Stimmung wie zehn Tage Dauerregen.
Auch Zinswolken ziehen weiter
Sicherlich wurden viele Anleger von der kalten Zinswitterung überrascht. Und viele Neu-Aktionäre haben bislang kaum schlechtes Aktien-Unwetter erlebt. Doch sollten die Chancen für wieder freundliche Witterung nicht unterschätzt werden. Wie singt schon Rudi Carrell am Ende seines Hits: „Trotz allem glaub‘ ich unbeirrt, dass unser Wetter besser wird.“
Woher könnte eine neue Wärmepumpe, sozusagen der Golfstrom seine Kraft beziehen?
Zunächst müssen sich Anleger wieder daran gewöhnen, dass steigende Zinsen in Konjunkturzyklen so normal sind wie eben ab und zu Regen. Den gibt es selbst im Sunshine State Florida.
Grundsätzlich geht es aber um das Ausmaß des unfreundlichen Zins-Wetters. Meiner Meinung nach wirken die Vermeidung von neuen Schulden-, Banken- und Eurokrisen gegen anhaltend schlechtes Zinsklima wie hohe Berge, an denen die Wolkenfront abprallt. Kein (Geld-)Politiker will doch, dass unser Finanzsystem in die permanente Eiszeit fällt. Die Notenbanker versuchen doch allein schon mit der Kraft ihrer Worte das zu freundliche Zinsklima etwas zu normalisieren. Das kennen wir alle aus der Schule. Bereits der strenge Blick und klare Ansagen von Lehrern haben auch ohne Strafarbeiten wieder Ruhe in den Klassenraum und auf den Schulhof gebracht.
Tauwetter im Ost-West-Konflikt ist möglich
Beim geopolitischen Klima ist entscheidend, dass es nicht zum endgültigen Temperaturabfall kommt. Man muss den westlichen und östlichen Kaltfronten die Möglichkeit zum gesichtswahrenden Rückzug geben, was zugegebenermaßen mit zunehmender Dauer des Konflikts schwieriger wird. Aber im Kalten Krieg hat es doch auch funktioniert. Überhaupt, die einen haben Gas, die anderen brauchen es. Klingt nach guten Zutaten für einen positiven Wetterwechsel, oder? Die Ostsee-Pipeline könnte dabei als Durchlauferhitzer schlimme geopolitische Frostschäden verhindern. Dann würde sich auch der Sturm an den Rohstoffmärkten und damit die Inflationsgefahren legen. Nicht zuletzt könnte die Weltwirtschaft wieder auf Schönwetter machen.
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung
Vorerst werden wir zwar noch mit schlechtem Börsenwetter konfrontiert bis Klarheit herrscht, dass die Zinskälte und der Ukraine-Konflikt die Finanzwelt nicht gefrieren lassen.
Aber was sollen Anleger in den Schlechtwetterperioden machen? Es wäre falsch, sich dem Börsenwetter gar nicht mehr auszusetzen. Denn dann geht man auch das Risiko ein, die schönen Tage zu verpassen.
Dazu hat uns der berühmte Münchner Komiker Karl Valentin einen passenden Glückstipp gegeben: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es trotzdem.“ Man sollte als Anleger nicht nur die Sommerkleidung, sondern ebenso den „Friesennerz“ dabeihaben. Konkret setzt man nicht nur schwerpunktmäßig auf leichte Wachstumswerte aus dem High-Tech-Lager, sondern engagiert sich verstärkt in Titeln aus dem Value-Lager mit wetterfesten Geschäftsmodellen und Dividendenaussichten.
Und wann wird’s mal wieder richtig (Börsen-)Sommer? Lieber Rudi, es ist die falsche Frage. Ist wechselhaftes April-Wetter nicht längerfristig das bessere Börsen-Klima? Denn dann kann man an unfreundlichen Tagen seine Aktien günstig erwerben und sich an den schönen in Form von Temperatur-, sprich Kursanstiegen umso mehr an ihnen erfreuen.
Ein richtiger Börsianer kommt doch mit jedem Wetter klar. Glück auf!
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725