Die Halver-Kolumne: Was Inflation und ein Song von Marius Müller-Westernhagen gemeinsam haben

Robert Halver
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Robert Halver, Baader Bank

Warum die Inflationsbekämpfung derzeit so schwierig ist und welche Rolle die Preisstabilität in der Geldpolitik spielt

„Ich bin wieder hier, in meinem Revier, war nie wirklich weg, hab mich nur versteckt“ Dieser Refrain aus einem Lied von Marius Müller-Westernhagen passt zur Inflationsentwicklung der letzten Jahre. Lange Zeit schien sie verschwunden zu sein, doch kam sie durch Corona, Krieg, geopolitische Turbulenzen und hemmungslose Staatsverschuldung wieder zum Vorschein. Eigentlich müsste Inflation durch Geldpolitik jetzt unbarmherzig bekämpft werden. Doch fürchten Notenbanken und Regierungen bei zu viel Härte auch harte konjunkturelle, finanzielle und soziale Folgen.

Nach 40 Jahren zeigt die Inflation wieder ihre hässliche Fratze

Bis 2019 glaubte man in der westlichen Finanzwelt, den Stein der Weisen gefunden zu haben: Globalisierung und eine bis zum Anschlag betriebene industrielle Optimierung schienen die alte Wirtschaftsthese, wonach zu billiges und viel Geld zu hohen Preissteigerungen führt, auszuhebeln. Bei gleichzeitiger Säkularisierung der heiligen EU-Stabilitätskriterien war Schuldenmachen in Europa einfach und billig. Wenn wie beim Metzger gefragt wurde, „Darf es auch etwas mehr sein?“ lautet die Antwort der Regierungen immer ja. Tatsächlich wurde jeder Krise zins- und liquiditätspolitisch mit dem geldpolitischen Füllhorn entgegengewirkt.

Als dann nach Corona die Inflation dennoch anfing zu steigen, wurde das Narrativ einer nur vorübergehenden Inflation aufgebaut. In dieser Zeit hat sich die Geldpolitik schleichend zum staatlichen Erfüllungsgehilfen machen lassen. Das mag auch an der „Unabhängigkeit“ von Notenbankern liegen. Denn die Politik entscheidet, wer Notenbanker wird. Und warum bitte sollten Politiker „Sparbrötchen“ benennen, die ihnen das Geldausgeben erschweren? Niemand setzt sich freiwillig eine Laus in den Pelz, oder?

Aber vorübergehend kann anscheinend sehr lange dauern. In dieser „nur vorübergehenden“ Zeit haben Lieferengpässe, Energie- und Rohstoffpreissteigerungen sowie Deglobalisierung und Protektionismus die Inflation wiederauferstehen lassen. Vor allem wurden Zweitrunden-Effekten kräftig Wasser auf ihre Mühlen geleitet. Oder glaubt irgendjemand, dass Unternehmen und der Staat die inflationsbedingt höheren Gehälter nicht ebenso in Form höherer Produktpreise bzw. Gebühren- und Kommunalabgaben weitergeben?

Und dann wirkt die grüne Transformation der Industriegesellschaft. Während das russische Gas konkurrenzlos billig war, werden Dekarbonisierung und Wärmewende dauerhaft das Preisniveau treiben. Außerdem soll massiv Strom eingespart werden, so dass insgesamt ein verringertes Angebot auf eine immer höhere Nachfrage durch Wärmepumpen, E-Mobilität und Digitalisierung trifft. Zu sinkenden Energiepreisen wird das nicht führen.

Der Staat als Inflationstreiber

Damit Deutschland dennoch wettbewerbsfähig bleibt, will die Politik den Industriestrom subventionieren. Man macht ihn zuerst künstlich teuer, um ihn dann künstlich zu verbilligen. Herbert Grönemeyers „Kinder an die Macht“ ist Realität geworden. Und da die Deindustrialisierung Deutschlands auch Wohlstand kosten wird, kommt Papa Staat zur Wahrung des sozialen Friedens auch an weiter üppigen Sozialausgaben nicht vorbei. Schließlich, seitdem US-Präsident Biden einen Subventionswettlauf startete, plant Europa ähnliche Projekte und sowieso höhere Verteidigungshaushalte. Und so bleibt die Ausgabendisziplin auf der Strecke. Christian Lindners Einsparauflagen sind bei seinen Kabinettskollegen so beliebt wie eine Darmspiegelung.

All diese Aber-Milliarden des Staates, die auf ein mangelndes Angebot treffen, werden die Inflation nicht bremsen, sondern beschleunigen.

Leider hat der Staat diese Finanzmittel nicht. Er muss weiter viele Schulden machen. Da helfen auch keine Taschenspielertricks, die Schulden als „Sonder-Vermögen“ definieren, um sie nicht auf die Schuldenbremse anrechnen zu müssen. Doch so wie Gammelfleisch nicht durch das Aufkleben eines falschen neuen Verfalldatums genießbar wird, bleiben Schulden eben auch Schulden.  

Die Staatsschulden explodieren förmlich. Selbst Deutschland verletzt 2023 das dritte Mal in Folge das europäische Defizitkriterium. In der Euro-Zone zusammen hat sich die Verschuldung seit der Finanzkrise 2008 von 6,2 auf 12,4 Bill. Euro verdoppelt, was etwa 100 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht. In den sieben größten Industriestaaten liegt der Wert insgesamt sogar bei 130 Prozent.

Wie will man diesen Staatsschulden überhaupt Herr werden? Kommt jemals wieder Finanz- und damit auch Preisstabilität zurück?

Die Rolle der Preisstabilität in der Geldpolitik: Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach

Die Geldpolitik könnte theoretisch der staatlichen Ausgabenwut Paroli bieten wie in den 80er-Jahren. Denn ohne konsequente Fiskaldisziplin ist der Kampf gegen Inflation nicht zu gewinnen.   

Doch haben bereits die bisherigen zinspolitischen Nadelstiche unangenehme Folgen gehabt, z.B. Bank runs. Diese finden heute nicht mehr klassisch mit Schlange stehen vor den Banken, sondern virtuell mit dem Smartphone statt. Mit ein paar Klicks vagabundiert das Kapital in den USA massenhaft von weniger verzinslichen Bankeinlagen zu attraktiveren Geldmarktfonds, was im Extremfall – wie schon gesehen – Bankpleiten auslöst. Außerdem versetzen höhere Kreditzinsen Staat, Unternehmen, Konsumenten, den Gewerbeimmobiliensektor und die Konjunktur im Allgemeinen in Stress. Einen credit crunch wird die gute alte Fed nicht zulassen.

Und bei uns in Europa muss die EZB die schuldenverliebten Euro-Staaten, die Banken und den Euro retten, koste es was es wolle, auf englisch: Whatever it takes.  

Mit ihrer Dauerrettungspolitik hat sie stabilitätsfeindliche Geister gerufen, die sie jetzt nicht mehr loswird. Die Regierungen haben verlernt, Krisen auszuhalten, ohne neue Schulden zu machen. Tatsächlich suggeriert Politik seinen Bürgern, dass der Staat alles lösen kann. Die gute alte soziale Marktwirtschaft mit einem Leistungsprinzip und ordentlichem statt künstlichem Wachstum ist nicht mehr in. Und überhaupt, da ein negativer Realzins den Staat elegant entschuldet, haben Politiker ein gebremstes Interesse an Inflationsbekämpfung über Zinserhöhungen.  

Zugegebenermaßen schwächt sich die allgemeine Inflationsdynamik dank Basiseffekten und niedrigerer Energiepreise zurzeit ab. Bei Beibehaltung des fiskalpolitischen Müßiggangs mit geldpolitischer Barmherzigkeit wird sie längerfristig deutlich höher als zwei Prozent bleiben. Und wenn man Inflation richtig misst, könnte man sagen, vier Prozent sind die neuen zwei Prozent. Denn die offiziellen Inflationsraten halte ich für geschönt. Sie passen nur, wenn man von Luft und Liebe lebt.

In puncto wiedererstarkter Inflation komme ich zum Schluss auf Marius Müller-Westernhagen zurück. Passend dazu heißt es in seinem Lied weiter: „Ich rieche den Dreck, ich atme tief ein und dann bin ich mir sicher, wieder zu Hause zu sein.“  

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash. 

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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