Wie kam es zur Idee, die Expertise zweier Analysehäuser zu bündeln?
Schiffels: Die Unsicherheiten und der Informationsbedarf in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit sind nach wie vor groß. Vor diesem Hintergrund haben wir Ende 2020 eine Zusammenarbeit gestartet. Nun ist daraus eine feste Kooperation entstanden, mit dem gemeinsamen Ziel, den begrüßenswerten Fortschritt des Themas Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche mitzugestalten. Durch Bündelung unserer Marktpräsenz erreichen wir nun die wichtigsten Akteure im Bemühen, das Bewusstsein von Privatkunden in Sachen Nachhaltigkeit zu schärfen: Makler und Finanzvermittler.
Zu diesem Zweck hat Morgen & Morgen Anfang 2021 in einem ersten Schritt das CSR-Label als Orientierung in der Analyse- und Vergleichssoftware für Versicherungsmakler M&M Office zur Verfügung gestellt. Seit Ende 2021 vergeben wir nun gemeinsam die Auszeichnungen für Unternehmen und ganz neu auch für Produkte. Dadurch, dass wir neben der Fondsliste auch den Deckungsstock betrachten, kann erstmals in Deutschland auf den besonderen Wunsch des Kunden nach nachhaltigen Versicherungsprodukten wirklich eingegangen werden. Unsere große Stärke ist, Vermittlern die Unternehmens- und Produktbewertungen auch zum Thema Nachhaltigkeit direkt in der Analyse- und Vergleichssoftware M&M Office zu bieten.
Ein weiterer Punkt ist die Unabhängigkeit in der Bewertung und Unternehmensausrichtung beider Häuser. Wir stellen sicher, dass alle bewerteten Informationen im Rahmen des CSR-Ranking frei zugänglich sind und es sich nicht um ein Auftragsranking handelt, für das Versicherer im Vorfeld zahlen. Ziel ist es, den Versicherern die Möglichkeit zu geben, sich im Marktvergleich einordnen zu können und Versicherungsnehmern die objektive Beurteilung zu erleichtern, ob ihr Geld von einem nachhaltig agierenden Unternehmen eingesetzt wird.
Zielke Research Consult ist spezialisiert auf die Analyse von Nachhaltigkeits- und Solvenzberichten von Versicherungsunternehmen und Banken. Morgen & Morgen legt den Fokus auf die Analyse der Versicherungsprodukte. Das ergänzt sich gut.
Sie hatten im Herbst vergangenen Jahres erstmalig ein CSR-Label an 37 Versicherungsunternehmen vergeben. Wie gut sind die Unternehmen inzwischen beim Thema Nachhaltigkeit aufgestellt?
Zielke: Das Thema Nachhaltigkeit wird vom Großteil der Akteure jetzt ernst genommen. Doch dies ist eine kontinuierliche Reise. Während die Grundlagen für ein nachhaltiges ESG-Management geschaffen wurden, kommt es nun auf die Ausgestaltung an. Hierzu zählt vor allem die Messung der Umwelteinflüsse der Kapitalanlagen. Hier stehen wir noch ganz am Anfang.
Sie haben für das CSR-Label unter anderem die CSR-Reports der Unternehmen unter die Lupe genommen? Einige Unternehmen veröffentlichen hier umfangreiche Berichte, andere Versicherer nur schmale Reports. Ist hier überhaupt eine Vergleichbarkeit möglich?
Zielke: Es müssen zu allen drei Bereichen Umwelt, Soziales und Governance Stellung bezogen werden und möglichst detaillierte Informationen geliefert werden. Hierzu bedarf es nicht unbedingt viel Text. Von daher sind die Berichte durchaus vergleichbar.
Welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit inzwischen in Ihren Augen für die Versicherungsunternehmen hierzulande?
Schiffels: Für den Großteil einen sehr hohen. Einmal durch die Verpflichtung zur Offenlegung und zum anderen erhöht die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und nachhaltig agierenden Unternehmen den Stellenwert in den Versicherungsunternehmen. Der Druck vom Markt wird zunehmen und damit auch die Relevanz innerhalb der Unternehmen.
Welche weiteren Kriterien fließen in das CSR-Zertifikat mit ein?
Zielke: Für das Zertifikat für die Unternehmen schauen wir uns Aussagen zur Umweltausrichtung (CO2-Ausstoß, ESG in der Kapitalanlage, Ökostromanteil..), zum Bereich Soziales (Inklusion, Frauenquote, soziale Inititativen) und gute Unternehmensführung (Qualität des SFCR-Berichts) an. Bei der Bewertung von Versicherungsprodukten schauen wir, wie hoch eine Übereinstimmung mit der EU-Taxonomie gegeben ist.
Zwischen dem Erstplatzierten und dem Letztplatzierten liegen exakt sechs Punkte Differenz. Was macht der aktuell Erstplatzierte besser als das Schlusslicht?
Zielke: Die Axa beschreibt sehr konkret ihr Vorgehen, überzeugt in der Selektion der Kapitalanlagen und ist auch in sozialen Aspekten vorne. Hier hat die Continentale Verbesserungspotenzial.
Dr. Zielke, Sie betonen, dass es sich nicht um ein Auftrags-Ranking handelt. Warum heben Sie diesen Aspekt hervor?
Zielke: Wir analysieren alle öffentlichen CSR-Berichte der größeren Versicherer ungefragt. Dadurch bekommen wir einen sehr guten Marktüberblick, der mit in das Analyseverfahren einfließt. Bei Auftragsratings arbeitet man hauptsächlich mit nicht öffentlichen Informationen, die schwer verifizierbar sind.
Sie sprechen von einem spannenden Nachhaltigkeits-Wettbewerb unter den Versicherern? Wie äußerst sich das?
Zielke: Es gab Verbesserungen querbeet. Gerade im Vorfeld der Analyse wurden wir mit vielen Fragen konfrontiert, welche Informationen uns denn noch fehlen. Die Bereitschaft zur Transparenz ist immens gestiegen.
Ende November 2021 sollte das Unternehmens-Nachhaltigkeitsranking durch ein Produktranking ergänzt werden: Welche Produkte aus welchen Sparten werden untersucht?
Zielke: Wir untersuchen zunächst Lebensversicherungsprodukte mit Anlagecharakter gemäß Vorgaben der IDD. Hier schauen wir, inwiefern die unterlegten Kapitalanlagen wirklich nachhaltig gemäß Artikel 8 und 9 der Taxonomieverordnung sind. Um dem vorzubeugen: Atom- und Gaskraft werden gesondert betrachtet.
Können Sie kurz skizzieren, was eine konventionelle Rentenversicherung von einer nachhaltigen Altersvorsorge unterscheidet?
Zielke: Bei einer Rentenversicherung ist auch auf die allgemeine Nachhaltigkeit des Versicherers zu achten. Wir haben dabei aber noch die erheblichen Summen, die für die Rentenzahlungen angespart werden. Hier müssen wir zwischen klassischen und fondsgebundenen Tarifen unterscheiden. Bei den klassischen Tarifen ist sowohl in der Anspar- als auch in der Rentenphase der Deckungsstock der „Geldanlagetopf“.
Ist dieser nachhaltig, dann kann auch das Produkt in der Regel als nachhaltig bezeichnet werden. Bei einem fondsgebundenen Tarif werden in der Ansparphase die Beiträge in Fonds angelegt. Der Versicherungsnehmer kann also direkten Einfluss auf die Geldanlage nehmen und in nachhaltige Fonds investieren. In der Rentenphase wird aber auch hier in der Regel die Rentenleistung aus dem klassischen Deckungsstock bestritten.
Die Vermittler sind der Transmissionsriemen. Doch gerade hier hapert es, wie wir immer wieder hören, noch deutlich an Expertise. Wo sehen Sie auf der Vertriebsebene derzeit die Defizite?
Schiffels: Wir sehen vor allem die Defizite darin, dass die Informationen zu Unternehmens- und Produktnachhaltigkeit noch nicht einfach genug zugänglich und vergleichbar sind. Das ändert sich aktuell und wir tragen hier einen großen Anteil dazu bei, indem wir die Informationen einfacher zugänglich machen und auch in Kürze auf die Abfrage der individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen eingehen werden. Sicherlich benötigt der Vermittler auch neben verfügbaren Services tiefergreifendes Wissen, das er sich aufbauen sollte, um seine Kunden entsprechend beraten zu können. Schulungen, Workshops, Webinare sind hier sicherlich hilfreich.
Beim Thema Nachhaltigkeit ist die Branche ohne Zweifel auf dem Weg. Allerdings wirkt die Branche in Sachen Kommunikation und Angeboten hier immer noch inhomogen. Haben Sie eine Erklärung hierfür, warum die Versicherungsgesellschaften in punkto Nachhaltigkeit oft noch nicht klar positioniert sind?
Zielke: Das Thema ist sehr komplex und vielfältig. Da müssen sich die Akteure erst selbst finden. Es ist ein Prozess, den wir gerade gemeinsam durchlaufen. Es geht hier vor allem darum, als Branche eine agile, faire Entwicklung mit Blick auf Verbraucherinnen und Verbraucher im Fokus zu haben.
Das Interview führte Jörg Droste, Cash.