Beim Vertriebstraining oder der Weiterbildung spielt der persönliche Kontakt eine wichtige Rolle. Wie gehen Sie nun vor?
Bläser: Natürlich mussten wir die Umstellung der persönlichen Beratung, die ja derzeit nur noch per Telefon oder Skype stattfindet, mit den Vertriebspartnern trainieren. Analog zum hybriden Kunden haben wir auch unsere Akademie hybrid aufgestellt und haben seit zwei Jahren eine sogenannte „virtuelle Akademie“.
Da aktuell keine physischen Präsenz-Veranstaltungen möglich sind, haben wir auf digitale Seminare umgestellt. Viele Vertriebspartner nutzen die Phase, in der die Terminfrequenz nicht ganz so hoch ist, um das Weiterbildungsstundenkonto zu fachlichen Themen und Aspekten rund um Digital- oder Telefonverkauf aufzufüllen.
Die IDD verlangt ja von einem Vermittler 15 Weiterbildungsstunden pro Jahr und auch uns ist wichtig, dass unsere Partner gut qualifiziert sind. Die Resonanz unserer Vertriebspartner auf solche Angebote war und ist sehr positiv.
Eine juristische Abhandlung der Kanzlei Wirth stellt in Frage, ob virtuelle Akademien anrechenbare Weiterbildungspunkte vergeben können. Weil sich nicht überprüfen lässt, ob die Vermittler auch wirklich dauerhaft physisch am Computer sitzen und am Seminar teilnehmen?
Bläser: Ein Thema, über das wir ein gesondertes Interview führen könnten. In Kürze: Die 15 Stunden und was wirklich weiterbildungsfähig ist, wird von 79 IHKen in Deutschland kontrolliert. Und diese sind vollkommen autark – auch in ihren Einschätzungen.
Bei der virtuellen Weiterbildung muss vor allem gewährleistet sein, dass es sich bei demjenigen, der vor dem Bildschirm sitzt, auch wirklich um den entsprechenden Vertreter handelt. Er muss sich also bei der Einwahl authentifizieren und auch in einer Interaktion immer wieder klarstellen, dass er aktiv ist.
Insofern besteht ein Seminar aus Abschnitten und dort müssen Fragen in einem gewissen Zeitrahmen beantwortet werden. Geschieht dies nicht, werden keine Weiterbildungszeiten für den Teilnehmer gutgeschrieben.
Wir sehen in der Wirtschaft Lockerungen. Wie sehen die konkreten Planungen der Ergo aus?
Bläser: Wir klären derzeit, wie eine schrittweise, wohl dosierte Rückkehr in die Büros aussehen könnte. Die Guidelines für den Außendienst haben wir in Abstimmung mit den Vertriebskollegen erstellt. Dabei müssen Hygienestandards, Abstandsregeln und die Maskenpflicht berücksichtigt werden.
Allerdings sind die Risiken für die Gesundheit von Kunden, MitarbeiterInnen und Vertriebspartnern nach wie vor vorhanden. Auch wenn alle sehr gerne ins normale Leben zurückkehren würden. Wir werden hier schrittweise und sehr vorsichtig vorgehen, um die Risiken so gering wie möglich zu halten.
Christian Wiens, Mitbegründer des Insurtechs Getsafe sieht die Coronapandemie als Brandbeschleuniger, der die Versicherer und Vertriebspartner weiter zurückwirft, die bislang die Digitalisierung zögerlich angegangen sind. Teilen Sie diese Einschätzung?
Bläser: Das Wort „Brandbeschleuniger“ trifft es für mich nicht, das ist zu negativ. Die Einschätzung, dass die jetzige Situation ein massiver Treiber in Richtung weiterer Digitalisierung unserer Gesellschaft ist, halte ich dagegen für richtig.
Man bemerkt in vielen Bereichen die großen Vorteile. Insofern werden die Versicherer, die entsprechende Investitionsmittel zur Verfügung haben und in die Hand nehmen, die Digitalisierung weiter vorantreiben. Es gibt aber auch Versicherer, denen fällt es schwerer hier mitzuhalten, weil dafür sehr hohe Investitionen nötig sind.
Hinzu kommt, dass nicht wenige Versicherer auf alten Bestandsverwaltungssystemen sitzen, die mit neuen Systemen, auf denen die digitalen Tools aufsatteln, oft nicht kompatibel sind. Seitens Ergo sind wir mit unserer Ausrichtung auf nahtlos integrierte Plattformen auch für künftige Herausforderungen sehr gut aufgestellt.
Die Veränderungsgeschwindigkeit im digitalen Bereichen nimmt exponentiell zu. Wo sehen Sie Ihre digitalen Baustellen (Customer Journey / Salespartner Journeys, Plattform-Modelle, IT-Umrüstung der Altsysteme, Wertewandel, Schnelligkeit und Schnittstellen-Problematik)?
Bläser: Mit unserem seit 2016 laufenden Strategieprogramm haben wir begonnen, das Geschäftsmodell Hybrider Kunde aufzubauen. Dadurch haben wir uns frühzeitig eine gute Ausgangslage geschaffen und treiben seitdem die Digitalisierung beherzt voran.
Unter der Marke Ergo vernetzen wir unsere Kunden konsequent über alle Kanäle. Dabei gehen wir bewusst einen anderen Weg als viele Versicherer. Stand 2020 haben wir mittlerweile vieles bereits abgearbeitet. So bauen wir etwa gemeinsam mit IBM eine Plattform für die Bestandsverwaltung im Bereich Lebensversicherung auf. Auch gibt es im Vertrieb ein Projekt, das sich mit dem Thema Provisionssystem und nahtlose Infrastruktur beschäftigt.
Damit gehen wir den letzten Schritt bei der Modernisierung unserer Plattformen im Sinne einer „seamless integration“. In unserem sogenannten „Vermittler-Cockpit“ können die Vertriebspartner alle Kennziffern und HGB 84er Vertragsinhalte einsehen sowie einen Vertretungsvertrag per digitaler Unterschrift annehmen.
Ein Großteil der Branche versendet heute – und wahrscheinlich auch noch länger – dazu viel Papier. Wir haben mittlerweile vom Erstbewerbergespräch bis hin zur digitalen Vertragsakte einen digitalen Prozess hinterlegt, der den Versand von Papier nahezu überflüssig macht.
Die aktuellen Herausforderungen führen allen Marktteilnehmern nochmals deutlich vor Augen: Um zukunftsfähig zu sein, werden Versicherungsunternehmen eine größere Flexibilität beweisen müssen. Als Ergo wollen wir auf Erkenntnisse wie aus der aktuellen Corona-Situation mit bedarfsgerechten Lösungen reagieren, um auf vergleichbar unvorhergesehene Ereignisse vorbereitet und für die Zeit einer „neuen Normalität“ gerüstet zu sein. (dr)
Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews mit dem Ergo-Vertriebsvorstand in der kommenden Cash. Ausgabe. Heft 7/2020 erscheint am 25. Juni 2020.
Foto: Ergo