Die Deutschen werden in der Krise mutiger: So jedenfalls lässt sich das Ergebnis einer Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Dekabank interpretieren, die im September veröffentlicht wurde. Sie zeigt, dass immer mehr Menschen in Deutschland mit Hilfe von Wertpapieren fürs Alter sparen. Inzwischen legt jeder Vierte (25 Prozent) Geld auch in Aktien, Fonds, Anleihen oder Zertifikaten an, im vergangenen Jahr lag der Anteil noch bei 21 Prozent, 2019 waren es 17 Prozent. Den Aufwärtstrend erklärt das Wertpapierhaus der Sparkassen unter anderem mit dem Dauerzinstief: Angesichts der niedrigen Sparzinsen stünden immer mehr Anleger Wertpapieren aufgeschlossener gegenüber. Doch auch die Coronakrise habe bei vielen Menschen noch stärker ins Bewusstsein gerufen, dass eine private Vorsorge fürs Alter notwendig ist.
Den Eindruck, dass die Deutschen in den Monaten der Coronakrise sensibler für das Thema Altersvorsorge geworden sind, haben auch die Teilnehmer des Cash.-Roundtable gewonnen, die im Oktober über den Status quo und die Perspektiven der Altersvorsorge in Deutschland diskutierten. „Wir haben gespürt, dass die Menschen Zeit hatten, sich mit Vorsorgethemen zu beschäftigen: Wie geht es an den Aktienmärkten weiter, was passiert mit meinen Anlagen? Auch in den Bereichen Gesundheit und Krankenversicherung war ein hoher Beratungsbedarf da“, sagt Markus Knapp, Mitglied des Vorstands beim Finanzvertrieb Deutsche Vermögensberatung. Corona habe in den Köpfen der Menschen ausgelöst, mal wieder über diese Themen nachzudenken. „Ich kann aber nicht bestätigen, dass dies nachhaltig dazu geführt hat, dass die Menschen generell einen anderen Standpunkt zum Thema Altersvorsorge eingenommen haben“, so Knapp. „Sie müssen weiterhin angesprochen werden, man muss ihnen die Ist-Situation aufzeigen. Dann ist auch die Bereitschaft da, langfristig etwas für die Altersvorsorge zu tun.“
Eine deutliche Tendenz in Richtung kapitalmarktorientierter Altersvorsorge hat Christian Nuschele, Head of Sales and Marketing beim Versicherer Standard Life Deutschland, festgestellt: „Wir sehen aber auch einen Unterschied in der Neugeschäftsstruktur: Wir haben tendenziell eine geringere Steigerung im Bereich der Stückzahlen als im Bereich der Volumina. Die einzelnen Abschlüsse, für die sich Kunden entscheiden, sind größer als vor der Krise.“ Insbesondere Menschen mit viel verfügbarem Vermögen seien qualifiziert in die Frage eingestiegen, wie sie ihre Vorsorge organisieren. „Sie haben die Pandemie genutzt, um ihre Absicherung noch einmal Revue passieren zu lassen, und haben sich intensiv beraten lassen“, so Nuschele.
Davon hat offenbar auch der Immobiliensektor profitiert. „Die Wohnimmobilie hat durch die Krise einen noch höheren Stellenwert in der Altersvorsorge bekommen“, sagt Sebastian Engel, Chief Sales Officer beim Asset- und Investment-Manager Alpha Real Estate. „Zu Beginn der Coronakrise hat der Markt für kurze Zeit stagniert, weil niemand wusste, was auf uns zukommt. Vielen Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz hatten oder in Kurzarbeit gehen mussten, wurde erst richtig bewusst, was es bedeutet, wenn sie ihre eigengenutzte Immobilie bereits abbezahlt hätten. Dann wäre ihr finanzielles Wohlbefinden deutlich größer gewesen – ob als Selbstnutzer oder Kapitalanleger. Nach der Stagnation kam eine Anfragewelle auf uns zu, die wir so schnell gar nicht abarbeiten konnten.“
Andreas Schrobback, Geschäftsführer des Immobilieninvestors AS Unternehmensgruppe, hat identische Erfahrungen gemacht: „Jahrelang war die vermietete Wohnung zur Kapitalanlage, ob Denkmal oder Bestand, ein sehr beratungsintensives Produkt, welches man sicherlich nicht als sogenanntes Massenprodukt für die breite Bevölkerung bezeichnen konnte.“ Dies habe sich durch die Pandemie stark verändert. „Die Wohnimmobilie galt als Gewinner der Krise – robust, solide und resilient, gerade im Vergleich zu anderen Immobilien-Assetklassen, die leider stark von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen waren, wie Hotellerie und Gastronomie. Ich glaube, dass den Menschen durch diese Krise sehr viel bewusster geworden ist, wie wichtig es ist, finanziell unabhängig zu sein – durch zusätzliches passives Einkommen neben dem Arbeitseinkommen.“
„Ein Ausstieg aus der Riester-Rente wäre völliger Unsinn und ein Vertrauensbruch, den man sich nicht erlauben darf.“
Mit großem Interesse dürften Knapp, Nuschele, Engel und Schrobback die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP in Berlin verfolgen, denn dort steht die Zukunft der privaten Altersvorsorge im Fokus: „Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren. Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen. Daneben werden wir die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen. Es gilt ein Bestandschutz für laufende Riester-Verträge“, heißt es dazu im Sondierungspapier. Es sind Pläne, die für reichlich Diskussionsstoff in der Branche sorgen.
Für Nuschele wäre ein Ausstieg aus der Riester-Rente „völliger Unsinn und ein Vertrauensbruch, den man sich nicht erlauben darf. Ein Schlag ins Gesicht für Millionen von Deutschen. Die Riester-Rente muss reformiert werden, vielleicht auch umbenannt, die Fördergrundlagen müssen überdacht und die Kapitalmarktorientierung gestärkt werden.“ Er würde sich eine deutliche Vereinfachung des Konzepts wünschen. „Auch generell würde ich mir eine Vereinfachung wünschen, die Förderkriterien für die private Altersvorsorge sind undurchsichtig und unsinnig, teilweise gibt es Zwangsverrentungen, die dazu führen, dass sich niemand dafür interessiert. Auch die Einschränkung in der Vererbbarkeit ist ein absolutes No-Go. Es muss einfach attraktiver werden, privat vorzusorgen“, so Nuschele.
„Die politische Richtung ist weder investoren- noch käuferfreundlich für private Anleger.“
„Die Politik ist dazu angehalten, attraktive Investitionsanreize zu schaffen“, ergänzt Engel mit Blick auf den Immobiliensektor. „Ziel sollte es sein, an der Schraube der Erwerbsnebenkosten zu drehen, um diese zu senken. Wenn die Menschen in der Rente über abbezahlten Wohnraum verfügen, würde das auch den Sozialhaushalt entlasten. Und das sollte auch im Interesse des Staates sein.“ Schrobback blickt allerdings eher pessimistisch in die Zukunft: „Die politische Richtung, die sich momentan leider in weiten Teilen unseres Landes durchzusetzen scheint, ist weder investorenfreundlich noch käuferfreundlich für private Anleger und letztlich auch nicht sehr marktwirtschaftlich. Sie geht inhaltlich massiv in Richtung Vergesellschaftung.“ Er wünscht sich „weniger Regulierung, weniger Restriktionen, mehr offene Kommunikation mit der Wirtschaft, um die Konsequenzen aus den einzelnen Gesetzgebungsverfahren bereits im Vorfeld zu bewerten.“
Knapp hofft, dass die Politik den Bürgern die Karten offen auf den Tisch legt: „Zum Beispiel, dass wir schon jetzt eine Staatsquote von 30 Prozent auf die gesetzliche Rentenversicherung haben. Wenn wir das Rentenalter so lassen wie es ist, laufen wir auf 50 Prozent zu. Ich würde mir wünschen, dass die Politik verantwortungsvoll mit diesem Thema umgeht, auch unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit. Außerdem sollte mal darüber gesprochen werden, dass die aufgrund der Staatsverschuldung künstlich gehaltenen Zinsen dafür gesorgt haben, dass konventionelle Altersvorsorgeprodukte nicht mehr funktionieren.“ Die Politik dürfe den Bürgern nicht das Gefühl geben, dass Eigenvorsorge nicht mehr notwendig ist. „In den Wahlprogrammen wurde diskutiert, ob wir irgendwelche Deutschlandrenten oder Staatsfonds brauchen. Wir sehen die Gefahr, dass da etwas Neues geschaffen wird und die Menschen das Gefühl haben, dass sie gar nicht mehr selbst vorsorgen müssen. Ein Gefühl, das am Ende des Tages nicht aufgehen kann.“ Ob wiederum die Altersvorsorge-Pläne von SPD, Grünen und FDP aufgehen werden, zeigt sich in den nächsten vier Jahren.