Altersvorsorge: Die Macht der Börsen

Dr. Igor Radović, Canada Life
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Dr. Igor Radovic, Commercial Director und Vorstandsmitglied bei Canada Life.

Langfristig bieten fondsgebundene Altersvorsorgeprodukte gute Chancen für attraktive Renditen und einen soliden Vermögensaufbau. Diese Erkenntnis reift auch bei denen, die für das Alter vorsorgen müssen. Die Macht der Börsen ist die Zukunft der Altersvorsorge.

Wir sehen eine Wirtschaft im Krisenmodus, wir sehen nach wie vor hohe Inflationsraten, wir sehen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Das ist aber nur ein Teil des Problems. Der andere ist die neuerliche Absenkung des Rechnungszinses für die Lebensversicherung von 0,5 auf nunmehr 0,25 Prozent zum 1. Januar 2022. Doch was bedeuten Inflation, Wirtschaftskrise und ein Garantiezins quasi auf Nullline für die Altersvorsorge mit Fondspolicen?

„Die Welt verändert sich derzeit sehr stark und die Märkte reagieren entsprechend darauf. Eine fondsgebundene Anlage bei Altersvorsorgeprodukten unterlag schon immer den starken Schwankungen an den Börsen. Die fondsgebundenen Angebote der Versicherer mit abgesenkten Garantien bieten darauf die richtige Antwort. Langfristig bieten aus unserer Sicht vor allem fondsgebundene Altersvorsorgeprodukte eine gute Chance auf einen soliden Vermögensaufbau und attraktive Renditen. Ein Vorsorgeprodukt, welches in der Regel 30 bis 40 Jahre und länger bestehen kann, kann Schwankungen, wie wir sie derzeit erleben, ausgleichen“, sagt Fonds Finanz-Geschäftsführerin Christine Schönteich.

So investieren die Deutschen

Das scheinen die meisten Deutschen mittlerweile so sehen. Wie sehr sich das Vorsorgeverhalten in Deutschland in den vergangenen Jahren verändert hat, zeigt das aktuelle JDC-Trendbarometer „So investieren die Deutschen“ von Jung DMS & Cie oder seiner Tochter Morgen & Morgen. So hat angesichts der gesunkenen Garantieverzinsung die Altersvorsorge mit klassischen Lebensversicherungen rapide abgenommen. Entfielen 2018 noch rund ein Drittel der Tarifberechnungen auf diese Anlageform, sind es aktuell laut JDC nur noch gut 22 Prozent.

Spiegelbildlich ist der Anteil der Tarifberechnungen von fondsgebundenen Lebensversicherungen mit Kapitalmarktorientierung von 67 Prozent 2018 auf 78 Prozent gestiegen. Erkenntnis Nummer zwei: Garantien gehen in der Regel zu Lasten der Rendite. Und so hat sich innerhalb der vergangenen sechs Jahre der Anteil der berechneten Vorsorgetarife mit höchstmöglicher Garantie über alle drei Schichten hinweg merklich verringert. Am deutlichsten wird der Verzicht auf Garantiezusagen bei der Altersvorsorge in Schicht 3 – also beim privaten Vorsorgesparen. Hier kletterte der Anteil der Tarifberechnungen ohne Garantieniveau von 34 Prozent 2018 auf fast 60 Prozent.

„Kundinnen und Kunden haben in den letzten zehn Jahren definitiv viel dazu gelernt. Sie verstehen, wie wichtig das Investieren am Kapitalmarkt für den Erfolg der Altersvorsorge ist und entwickeln sich immer mehr vom Sparer zum Investor. Dies ist sicher auch ein Grund dafür, dass wir in den letzten Jahren starke Zuwachsraten bei Fondspolicen ohne Garantien gesehen haben. Auch aktuell entwickelt sich das Geschäft positiver als das Neugeschäft von Garantieprodukten. Ich bin mir sicher, dass sich dieser Trend fortsetzen wird“, zeigt sich Christian Nuschele, Head of Distribution bei Standard Life Deutschland und Österreich, überzeugt.

Ein Trend ist: Weg von klassischen und Garantieprodukten

Nuscheles Aussage wird durch eine Umfrage des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung unter unabhängigen Versicherungsmaklern untermauert. Demnach ist der Anteil der Vermittler, die monatlich zu fondsgebundenen Produkten ohne Garantien beraten, allein in den vergangenen beiden Jahren von 64 auf 77 Prozent gestiegen. Im Gegensatz dazu ist der Anteil derer, die monatlich zu Produkten mit Garantien beraten, im gleichen Zeitraum von 58 auf 48 Prozent gesunken. Ähnlich verhält es sich mit klassischen Versicherungsprodukten – hier sank der Anteil von 30 auf 25 Prozent.

Im Rahmen der Umfrage gaben rund 60 Prozent der Befragten an, dass Kunden, die sich 2022 für ein Versicherungsprodukt mit Beitragsgarantie entschieden haben, immer noch ein Garantieniveau von 80 Prozent oder höher wählen. Im Jahr 2021 lag der Anteil mit 67 Prozent noch höher. „Es kann also durchaus von einem Trend weg von klassischen oder Garantieprodukten hin zu rein kapitalmarktgebundenen gesprochen werden“, sagt Prof. Michael Hauer, Geschäftsführer des IVFP.

Die Neue Klassik und Indexpolicen waren nur bei jedem vierten Beratungsgespräch noch Bestandteil. „Daraus lässt sich schließen, dass reine Fondspolicen derzeit den größten Marktanteil haben“, so Hauer. „Produkte mit voller Beitragsgarantie oder klassische Produkte mit Garantiezins spielen in unserem Neugeschäft nur noch eine untergeordnete Rolle. Vielmehr setzen Kundinnen und Kunden auf kapitalmarktaffine Lösungen mit oder mit reduzierter Garantie. „Unsere Erfahrungen deuten darauf hin, dass jüngere Kunden in den meisten Fällen zunächst vollständig auf Garantiekomponenten verzichten“, ergänzt Miriam Michelsen, Leiterin Vorsorge bei MLP. Mit steigendem Alter spiele dann aber das Thema Sicherheit wieder eine Rolle – und damit auch die Garantiekomponente, so die Vorsorgeexpertin.

Miriam Michelsen, MLP. Quelle: MLP

Wie groß die Renditehebel bei einer Reduzierung der Garantie ist, zeigt eine Berechnung des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa), Ulm. Das ifa hatte im März 2021 eine Studie zu den Auswirkungen von Garantien erstellt. Seinerzeit seien 100 Prozent Beitragsgarantie rein rechnerisch schon gar nicht mehr möglich gewesen, erklärte ifa-Geschäftsführer Professor Jochen Ruß im Gespräch mit unserer Redaktion.

„Wir haben damals berechnet, welche Auswirkungen es auf die Rendite hat, wenn die Beitragsgarantien von jeweils 90 auf 80, 80 auf 70 und 70 auf 60 Prozent reduziert werden. Die Reduzierung der Garantien von 90 auf 80 hat ziemlich genau einen Prozentpunkt mehr Rendite gebracht. Von 80 auf 70 einen halben und von 70 auf 60 nochmals einen Viertel Renditepunkt. Das klingt erst einmal nach wenig. Wenn ich aber 20 oder 30 Jahre spare, macht das in Bezug auf die Ablaufleistung einen sehr großen Unterschied“, sagte Ruß weiter.

Sicherheit und Garantien bleiben entscheidende Aspekte

Viele Kunden verstünden zwar, dass sie auf Garantien verzichten müssten, da andernfalls keine auskömmlichen Renditen mehr erwirtschaftet werden könnten, erläutert Jens Oliver Martin, Zentralbereichsleiter Produktmanagement bei der Alte Leipziger Lebensversicherung. „Dennoch gehen wir davon aus, dass Sicherheit und Garantien in der Altersvorsorge auch in Zukunft entscheidende Aspekte bleiben werden – insbesondere in Kombination mit hoher Flexibilität. Wir halten nichts von Diskussionen, die Garantien pauschal als gut oder schlecht abstempeln. Das Sicherheitsbedürfnis von Kunden ist unterschiedlich und deshalb ist es wichtig, für diese Bedürfnisse unterschiedliche Garantieniveaus anzubieten.“ Auch eine flexible Anpassung während der Laufzeit könne hilfreich sein, etwa um in jungen Jahren mit geringen Garantien zu starten, die Renditechancen der Märkte bestmöglich zu nutzen und diese später entsprechend durch höhere Garantien abzusichern, so der ALH-Produktmanager.

Jens Oliver Martin, ALH Quelle: ALH

Gleichwohl: mit Blick auf das wieder hohe Zinsniveau stellt sich natürlich die Frage, wie der Markt dort tickt und ob nicht der ein oder andere Lebensversicherer eventuell nicht doch mit der Rückkehr des einstigen Lieblings der privaten Altersvorsorge liebäugelt. „Nein. Wenn Sie unter Klassik eine traditionelle Lebensversicherung verstehen mit einem jährlichen Höchstrechnungszins, dann wird es das aus meiner Sicht nicht mehr geben“, lautet die eindeutige Antwort von Ergo-Vorsorge-Lebensversicherung-Vorstand Dr. Michael Fauser. Fakt ist, dass durch die niedrigen Zinsen die Altersvorsorge nicht weniger Sparer gelitten haben dürfte. Insofern müssen durch die Altersvorsorge diese Lücken aus der Vergangenheit geschlossen werden.

„Die Fondspolice ist ein ideales Vehikel für die Altersvorsorge, denn sie ermöglicht eine Anlage in Sachwerte und eine lebenslange Rente. Ob die Kunden in Fonds oder Aktien oder in das Sicherungsvermögen eines Lebensversicherers investiert sein möchten, hängt von ihrem individuellen „Chance-Risiko-Profil“ ab, sagt Fauser. Mit der Rente Balance bietet die die Ergo Vorsorge Lebensversicherung eine ideale Kombination von beidem. Ein Switchen zwischen Fonds oder Sicherungsvermögen sei jederzeit möglich. „Diese Flexibilität wird zunehmend wichtiger“, so Fauser weiter. Die Lebensläufe seien heute nicht mehr so stet wie früher. Zudem änderten sich die Rahmenbedingungen quasi von heute auf morgen, wie der Ukraine-Krieg, der rasende Anstieg der Inflation oder die Auswirkungen der Corona-Pandemie deutlich gezeigt hätten.

Diese von Fauser angesprochene Flexibilisierung in Bezug auf die Gestaltungsmöglichkeiten ist laut MLP-Vorsorgeexpertin Michelsen ein klarer Markttrend: „Wir beobachten eine weitere Flexibilisierung in Bezug auf die Gestaltungsmöglichkeiten während der Vertragslaufzeit“, sagt Michelsen. Dazu gehöre etwa die Anpassung des Garantieniveaus, vorzeitige Entnahmen, Beitragspausen; außerdem wünschten sich viele Kundinnen und Kunden eine flexible Gestaltung ihrer Rentenphase, etwa die Aufschiebung des Rentenbeginns die Nutzung von Auszahlplänen oder auch ein fondsbasierte Rentenphase in Form von Kapitalanlagemöglichkeiten im Ruhestand.

„Dieser Punkt wird durch die steigende Lebenserwartung der Menschen immer wichtiger“, bestätigt Dr. Igor Radovic´, Direktor Produkt- und Vertriebsmanagement bei Canada Life. Mit ihr habe der Kunde zwei oder sogar drei Jahrzehnte länger Zeit, das Kapital an dem Kapitalmärkten arbeiten zu lassen. „Die Kunden genießen den Ruhestand und das Geld arbeitet weiter. Ihre Renten sind dabei voll abgesichert und können positive Marktentwicklungen in Form einer höheren Rente mitnehmen“, so Radovic.

Immer wichtiger wird zudem das Thema Nachhaltigkeit. „Auf Produkt- und Serviceebene kann man sagen, dass Nachhaltigkeit größtenteils angekommen ist. Immer mehr Gesellschaften bieten sogenannte „Green-Tarife“ an, bei denen der Kunde ausschließlich aus einem nachhaltigen Fondsangebot wählen kann“, sagt Hauer. So bietet etwa die ALH inzwischen 50 ESG-Fonds an. „Zuletzt haben wir unser gesamtes Produktportfolio fondsgebundener Produkte mit der Gestaltungsoption „VisionGrün“ ausgestattet. Sie ermöglicht es den Kunden, nachhaltige Aspekte bei der Altersversorgung umfassend zu berücksichtigen“, erklärt Martin.

Komplexe Regulatorik sorgt für Holperstart

Bei Standard Life sind nach Aussage von Christian Nuschele inzwischen mehr als die Hälfte des Fondsangebot der Fonds nachhaltig. „Wir haben uns aber ganz bewusst dafür entschieden, keine nachhaltige Fondspolice anzubieten“, sagt der Vertriebschef. Die Kunden sollten die Möglichkeit haben, ihr Portfolio aus dem gesamten Anlageuniversum zusammenzustellen. Der Volkswohlbund setzt nach Aussage seiner Pressesprecherin Simone Szydlak mit der Produktlinie Next ebenfalls eine nachhaltige Fondspolice im Angebot.

Christian Nuschele, Standard Life Quelle: Standard Life

„Dafür kommen nur Fonds in Frage, die eine Nachhaltigkeitseinstufung nach Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung haben“, sagt Szydlak. Auch Canada Life hat sein Angebot weiter ausgebaut, zuletzt erst mit dem Update der „Generation private plus“.
Bei den Vermittlerinnen und Vermittlern scheint das Thema Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge inzwischen zwar angekommen zu sein.

Nicht zuletzt, weil seit dem 2. August 2022 Vermittler von Versicherungsprodukten per Gesetz zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen beim Kunden verpflichtet sind. „Im Rahmen unserer Umfrage schätzte ein Großteil der befragten Vermittler seinen Kenntnisstand zum Thema „nachhaltiges Investieren“ sehr gut ein. Rund zwei Drittel haben angegeben, in den letzten zwölf Monaten an Weiterbildungen zum Thema ESG- und Nachhaltigkeitsberatung teilgenommen zu haben“, erklärt IVFP-Geschäftsführer Hauer. „Dennoch gaben nur rund 25 Prozent der Befragten an, dass das Thema „Nachhaltigkeit“ einen hohen beziehungsweise sehr hohen Stellenwert in deren Beratung einnimmt.“
Das Ergebnis verwundert nicht, denn bei den Kunden scheint das Thema „nachhaltiges Investieren“ derzeit kaum im Fokus zu liegen.

Den Anteil derer, die sich grundsätzlich für nachhaltige Geldanlage interessieren, bezifferten die durch das IVFP befragten Makler im Durchschnitt nur auf etwa 39 Prozent. Konkrete Nachhaltigkeitspräferenzen äußern laut der Umfrage sogar nur 16 Prozent. „Auf Kundenseite ist Nachhaltigkeit also noch keineswegs voll angekommen“, resümiert Hauer. Eine Erklärung liefert Standard Life Vertriebsmann Nuschele: „Die sehr komplexen und schwer umsetzbaren regulatorischen Vorgaben haben für einen holprigen Start gesorgt. Hier sollte mit leichter verständlichen Vorgaben unbedingt nachgebessert werden.

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