Die (noch) Unbekannte

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„Letzlich kämpfen alle Firmen um die knappe Ressource, die hochqualifizierten Mitarbeiter. Und da wird die bKV zu einem echten Add-on.“

Mit Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich entwickelt sich die betriebliche Krankenversicherung (bKV) zum Wachstumsmotor der privaten Krankenversicherer. Beflügelt wird das auch durch die immer größere Personalnot der Unternehmen. Ein Selbstläufer ist die bKV dennoch nicht. Denn die Informationsdefizite sind nach wie vor hoch.

Die Corona-Pandemie und der Arbeitskräftemangel scheinen die Wachstumstreiber für die betriebliche Krankenversicherung (bKV) zu sein. Nach Angaben des Verbandes der privaten Krankenversicherer (PKV-Verband) boten Ende 2022 rund 22.300 Unternehmen in Deutschland ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine vom Arbeitgeber gezahlte bKV an. Das entspricht einem Plus von beachtlichen 22,5 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 (18.200 Betriebe). Aber auch die Zahl der Beschäftigten, die von einer bKV profitieren beziehungsweise auf das Angebot ihres Arbeitgebers eingegangen sind und eine betriebliche Krankenversicherung für sich abgeschlossen hatten, legte weiter zu. Und zwar um 11,5 Prozent auf knapp 1,8 Millionen Personen im Jahr 2022. Schaut man auf die vergangenen acht Jahre, hat sich die Zahl der Firmen, die ihren Mitarbeitern eine bKV anbieten, nahezu versechsfacht. 2015 waren gerade einmal 3.800 Betriebe und rund 575.000 Mitarbeiter, die eine bKV abgeschlossen hatten. „Der Markt ist groß und die Nachfrage ebenso“, bestätigt Alexandra Markovic-Sobau, Zentralbereichsleiterin Vertrieb bei der Hallesche Krankenversicherung beim Cash. Extra Roundtable „Betriebliche Vorsorge“. Heißt in Zahlen übersetzt: Ein Plus von 21 Prozent gegenüber 2021. Die bKV steuert inzwischen etwa ein Viertel bis ein Drittel des Gesamtumsatzes bei der Halleschen hinzu und entwickelt sich damit zu einem veritablen Standbein im Neugeschäft des privaten Krankenversicherers. Die Entwicklung bei der Halleschen ist kein Einzelfall: Auch bei der Barmenia Krankenversicherung war das bKV-Geschäft nach Aussage von Vertriebs- und Marketingvorstand Frank Lamsfuß rekordverdächtig. „2022 war das erfolgreichste Jahr für uns“, so Lamsfuß. 

Bemerkenswert an den Verkaufszahlen ist, dass sie trotz Ukraine-Krieg, massiv gestiegener Energiekosten und hoher Inflationsraten weiter nach oben zeigen. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die dazu geführt haben, dass die bKV zu einem Renner geworden ist. „Da ist zum einen die steuerliche Klarheit“, erläutert Karsten Rehfeldt, Geschäftsführer der BBVS, Beratung für betriebliche Vorsorgesysteme beim Cash. Extra-Roundtable „Betriebliche Vorsorge“. Gerade in der Vergangenheit habe es ein Gezerre um die Versteuerung gegeben. Ein abschließendes Schreiben habe hier für endgültige Klarheit gesorgt, so Rehfeldt. Ein weiterer Grund dürfte – das wurde im Cash.-Expertengespräch sehr deutlich – der sich immer stärker abzeichnende Fachkräftemangel in Deutschland sein. Wie groß der Druck bei den Unternehmen hierzulande ist, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und an sich zu binden, zeigen die Zahlen des jüngsten DIHK-Fachkräftereports. Danach gaben mehr als die Hälfte von fast 22.000 Unternehmen an, nicht alle offenen Stellen besetzen zu können – ein Rekordwert. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht deshalb neben der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe auch die Umsetzung wichtiger Transformationsaufgaben in Gefahr. „Wir gehen davon aus, dass in Deutschland rund zwei Millionen Arbeitsplätze vakant bleiben“, berichtete Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse. „Das entspricht einem entgangenen Wertschöpfungspotenzial von fast 100 Milliarden Euro.“

Über alle Branchen hinweg sehen sich den Umfrageergebnissen zufolge 53 Prozent der Betriebe von Personalengpässen betroffen, in der Industrie und in der Bauwirtschaft sind es jeweils 58 Prozent. Bedenklich mit Blick auf die Zukunft: Stellenbesetzungsprobleme treffen besonders stark die für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie bedeutsamen Investitionsgüterproduzenten (65 Prozent) sowie Hersteller von Spitzen- und Hochtechnologie (jeweils 63 Prozent). So können beispielsweise 67 Prozent der Hersteller elektrischer Ausrüstungen Stellen nicht besetzen; bei den Produzenten von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen gilt dies für 63 Prozent, im Maschinenbau für 67 Prozent und im Fahrzeugbau für 65 Prozent der Betriebe. „Die Herausforderung vor der wir alle stehen – Stichwort Fachkräftemangel, die Sprunghaftigkeit von Talenten oder der War of Talents – bleiben nicht nur, sie werden immer virulenter. Und sie werden das Jahr 2023 prägen“, zeigt sich auf Barmenia-Vorstand Lamsfuß überzeugt. 

In den Augen des Versicherungsvorstands entwickelt sich die bKV zu einem probaten Mittel, um den Pain der Unternehmen hier zu lindern. „Die bKV etabliert sich als Benefit in der HR-Politik und Personalstrategie der Unternehmen“, so Lamsfuß. Zustimmung kommt von Eric Bussert, Vertriebs- und Marketingvorstand der Hanse Merkur: „Letztendlich kämpfen alle Unternehmen um die knappe Ressource, die hochqualifizierten Mitarbeiter. Und da ist natürlich die betriebliche Krankenversicherung genauso wie die betriebliche Pflege oder die betriebliche Altersvorsorge ein echtes Add-on, dass mich im Markt der Recruiter unterscheidet.“ 

Verantwortlich für die prekärer werdende Personalsituation ist aber nicht nur die demografische Entwicklung und der damit verbundene Abschied der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt. Auch die Corona-Pandemie hätte dafür gesorgt, dass sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus prekären Arbeitsverhältnissen verabschiedet haben, ergänzt BBVS-Geschäftsführer Rehfeldt. „Wir haben einen verstärkten Fachkräftemangel über alle Hierarchien. Und die Unternehmen suchen händeringend nach Instrumenten, um neue Mitarbeiter zu finden und zu binden. Da ist die bKV ganz vorne“, so Rehfeldt.

Die prekäre Personalsituation vieler Firmen ist sicher ein Grund für die steigende Nachfrage. Fakt ist aber auch, dass die vergangenen drei Jahre Corona-Pandemie ein Bewusstseinsmacher für das Thema Gesundheit waren und die Sensibilität bei Arbeitnehmern und Arbeitgeber gleichermaßen erhöht haben dürften. „Wenn wir das Thema ansprechen, gibt es heute eine andere Resonanz als vor fünf Jahren. Gesundheit ist ein aktuelles Thema. Aktueller jedenfalls als die Altersversorgung. Die ist sehr weit weg“, bestätigt auch Rehfeldt. Vor dem Hintergrund könne die bKV ihre Vorteile ausspielen. „Die betriebliche Krankenversicherung ist vom Konzept her in der Beratung und im Verkauf deutlich einfacher. Weil wir nicht so viele gesetzliche Regularien haben und nicht ständig eine aktuelle Rechtsprechung zu dem Thema“, sagt Rehfeldt. Gleichwohl ist die bKV weit davon entfernt, ein Selbstläufer zu sein. Ein Grund dürfte sein, dass die Informationsdefizite beim Thema nach wie vor groß sind. „Wenn ich Unternehmer frage, ob sie eine betriebliche Krankenversicherung kennen, bekomme ich im Regelfall ein nein. Das Thema ist bei den Unternehmen nicht bekannt. Wir haben dort ein riesiges Aufklärungspotenzial“, bestätigt Rehfeldt. 

Helfen könnte sicherlich eine Informations- und Aufklärungskampagne durch den Vertrieb. Doch das Thema ist steuer- und arbeitsrechtlich alles andere als trivial. „Wir reden bei der bKV über eine arbeitsrechtliche Zusage, die ordentlich abgebildet werden muss. Die Unternehmen, Arbeitgeber, Personaler und Mitarbeiter müssen wissen, was da passiert. Und auch im Steuerrecht gibt es da den ein oder anderen Stolperstein“, betont Rechtsexperte Rehfeldt. Vor dem Hintergrund verwundert es nicht, wenn vor allem Industriemakler, bAV-Makler oder spezialisierte bKV-Vermittler sich im qualifizierten Geschäftsfeld bKV tummeln. Gleichwohl zeigen sich die Experten überzeugt, dass sich hier etwas ändern wird. „Ich glaube felsenfest daran, dass wir in drei Jahren ganz anders auf den Markt schauen als heute“, resümiert Barmenia-Vertriebsvorstand Lamsfuß. 

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