Die Schwellenländer werden scheinbar mit zu vielen positiven Nachrichten überhäuft. Das klingt nach einer seltsamen Beschwerde für eine risikoreiche Anlageklasse. Denn sie sollten grundsätzlich positiv auf Faktoren wie eine stärkere Weltwirtschaft, die allmähliche Öffnung für den Tourismus und die Festigung der Rohstoffpreise reagieren.
Anfänglich anständige Renditen
Das Problem liegt jedoch in der Ausgangslage. Zu Beginn 2021 waren die Schwellenländer eine Anlageklasse, die vor dem Hintergrund niedriger globaler Zinssätze anständige Renditen bot und bei der die Risikoprämien sinken sollten, wenn sich das makroökonomische Bild weltweit verbessert. Dies hat sich im Januar und Februar weitgehend bewahrheitet: Die Risikoaufschläge (Spreads) für Staatsanleihen aus den Schwellenländern mit Investment-Grade-Rating (IG) und High-Yield-Rating (HY) haben sich bis Ende Februar um etwa 10 beziehungsweise 30 Basispunkte verringert.
Hintergrund war das näher rückende Ende des Lockdowns und die damit verbundene Rückkehr auf einen wirtschaftlichen Wachstumspfad. Diese Entwicklung hat US-Staatsanleihen weiter unter Druck gesetzt. Zwar bekräftigen die US-Notenbank und die EZB ihre Strategie, die Niedrigzinspolitik und die allgemeinen Stützungsmaßnahmen für die absehbare Zukunft beizubehalten. Doch der Markt zweifelt zunehmend daran und tut sich schwer damit zu verstehen, wie die Politik (fiskalisch und geldpolitisch) am Vorabend des Lockdown-Ausstiegs und der damit verbundenen wirtschaftlichen Erholung so locker bleiben kann.
Breakeven-Inflationsraten waren früher dran
Die Breakeven-Inflationsraten haben diesen Schritt schon seit einiger Zeit vorweggenommen, aber in jüngster Zeit lassen sich eine Verschiebung der nominalen Zinssätze und – angesichts nahezu unveränderter tatsächlicher Inflationsraten – ein Anstieg der realen Zinssätze beobachten. Entscheidend ist, sich die Auswirkungen eines derartigen Anstiegs der US-Treasury-Renditen auf festverzinsliche Schwellenländer-Anlagen bewusst zu machen. Das gilt insbesondere für einige der qualitativ hochwertigeren Schwellenländer. In diesem Sektor reichen die Spreads nicht mehr aus, um die Verluste zu kompensieren, die mit einem Ausverkauf von US- Treasuries einhergehen. Risikoreichere Schwellenländer mit höheren Renditen sind derzeit besser in der Lage, diese Herausforderungen zu meistern. So reichte die genannte Spread-Einengung im HY-Bereich aus, um einen Großteil des negativen Einflusses auszugleichen, der von der Renditeausweitung bei Treasuries und in geringerem Maße bei deutschen Bundesanleihen und anderen risikofreien G7-Sätzen ausging. IG-Staatsanleihen hingegen konnten sich dem Sog nicht im gleichen Maß entziehen.
Wie das Potenzial zu bewerten ist
Diese aktuellen Entwicklungen gilt es zu berücksichtigen, wenn es darum geht, das mittelfristige Potenzial von Schwellenländeranleihen insgesamt sowie einzelner Subsegmente zu beurteilen. Wie jede Anlageklasse werden auch sie maßgeblich von der Corona-Pandemie und entsprechenden Eindämmungsmaßnahmen beeinflusst. Insgesamt wirken sich weltweite Impfprogramme positiv auf die Gesundheit der Menschen und das Wachstum der Schwellenländer aus. Allerdings werden die Fundamentaldaten einzelner Länder weiter auseinanderdriften – je nachdem, wie erfolgreich die Regierungen in der Umsetzung ihrer Stützungs- und Impfprogramme sein werden – und wie stark sie die Staatshaushalte belasten.
Corona belastet Haushalte
Grundsätzlich hat der Kampf gegen die Pandemie die öffentlichen Haushalte in allen Teilen der Welt belastet. Die Ausgaben für medizinische Versorgung und Konjunkturprogramme sind gestiegen, die Steuereinnahmen mit dem Wirtschaftseinbruch sind dagegen zurückgegangen. Zwar erreichten die öffentlichen Schulden der Schwellenländer bereits zu Beginn des Jahres 2020 den höchsten Stand seit 2002; wegen der niedrigen Zinsen erscheint diese Schul- denlast jedoch insgesamt tragbar.
Festzuhalten ist indessen, dass die Kreditqualität einzelner Schwellenländer sehr unterschiedlich ist – mit entsprechenden Folgen für die Finanzierung der Krisenmaßnahmen und die Staats- haushalte. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Aussichten für die jeweiligen Anleihen. Aufschluss verspricht eine Analyse nach Risikosegmenten beziehungsweise Bonitäten.
Solvente Schwellenländer stehen weiter solide da
Unter den solventen Schwellenländern stachen Chile und Polen mit außerordentlich großen Konjunkturpaketen heraus. Dazu zählten in beiden Ländern neben Steuersenkungen auch direkte Investitionen in ihre Gesundheitsversorgung und soziale Sicherungsprogramme. Laut IWF Fiscal Monitor vom Oktober hatten diese Konjunkturpakete einen Umfang von sechs bis acht Prozent der Wirtschaftsleistung. Damit lagen beide Länder vergleichsweise knapp hinter den großen Volkswirtschaften, die im Durchschnitt neun Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts ausgaben, während die Schwellenländer insgesamt nur auf drei Prozent kamen. Chile und Polen konnten sich nicht nur zu historisch niedrigen Zinsen im Ausland verschulden, sondern auch an ihren eigenen hoch entwickelten Rentenmärkten. Denn durch jahrelange erfolgreiche Inflationssteuerung haben ihre Zentralbanken an den Märkten viel Glaubwürdigkeit gewonnen. Auch gehören sie zu der Gruppe solider Länder, in denen die Zentralbanken Kaufprogramme für Staatsanleihen auflegen konnten.
Diese Länder werden sich im Durchschnitt höher verschulden, um die Corona-Krise zu überwinden. Doch sie werden sich auch schneller erholen als weniger solvente Staaten, da sie aller Voraussicht nach auch weniger tiefe Rezessionsnarben davontragen werden. Dank hoher Finanzierungs- flexibilität und gutem Marktzugang können sie ihre Wirtschaft außerdem weiter stützen. Die Schulden dieser Länder werden steigen, ihre Schuldentragfähigkeit dürfte nicht gefährdet sein.
Verschuldung im Auge behalten
Allerdings müssen Anleger auch innerhalb der Gruppe solventer Schwellenländer die Verschuldung im Auge behalten, denn die Schuldenquoten könnten bestimmte Rating-Grenzwerte überschreiten. So droht Malaysia und Indien wegen steigender Schuldenquoten eine Abstufung. Eine sorgfältige Differenzierung der solventeren Schwellenländer nach ihrem Kreditprofil bleibt daher auch in diesem Segment unabdingbar.
Das mittlere Qualitätssegment weist ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Kreditprofile auf. Im Mittelfeld finden sich einerseits größere Länder mit höheren Schuldenquoten, aber funktionierenden Kapitalmärkten, über die sich die Regierungen finanzieren können. So haben sich Südafrika und Brasilien hohe Summen im Inland geliehen. Um die Kreditkosten möglichst niedrig zu halten, haben viele der Anleihen nur kurze Laufzeiten. Durch die Finanzierung im eigenen Land sind die Risikoaufschläge nicht zu drastisch gestiegen, dafür steigen die Refinanzierungsrisiken an den inländischen Rentenmärkten. Mittelfristig werden sich diese Länder um Schuldentragfähigkeit bemühen müssen. Sie können sich nach wie vor im Ausland finanzieren; die Risikoaufschläge werden jedoch zunehmend auseinanderdriften – je nachdem, wie der Markt die Pläne für eine mittelfristige Konsolidierung sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zur Umsetzung dieser Pläne einschätzt.
Manche Länder haben kaum Reserven
Andere Länder des Spektrums sind zwar nicht extrem verschuldet, verfügen jedoch kaum über eigene Reserven oder effiziente Rentenmärkte, was ihre Flexibilität in der Haushaltsfinanzierung einschränkt. Dazu zählen Länder wie Paraguay, Jordanien und die Mongolei, die sich bisher durch Auslandsschulden und subventionierte Kredite von multilateralen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank finanziert haben. Auch aus den USA und anderen entwickelten Ländern erhalten diese Länder Unterstützung.
Besonders betroffen von der Pandemie waren Länder mit schwacher Bonität und Krisenländer, die sich schon zuvor nur schwer finanzieren konnten. Länder wie Bahrain und El Salvador konnten Kredite im Ausland nur zu hohen Zinsen aufnehmen.
Die meisten dieser Länder sind in hohem Maße von subventionierten multilateralen Krediten und bilateralen Schuldenerlassen wie der Debt Service Suspension Initiative der G20 abhängig. Andere, darunter Ecuador, Argentinien und der Libanon, mussten ihre am Markt aufgenommenen Schulden restrukturieren. Die Haushaltsprobleme bestanden in vielen Fällen bereits vor der Pandemie, wurden jedoch durch die Krise weiter verschärft.
Erhebliche Unterschiede der bonitätsschwachen Länder
Die Staatsverschuldung der bonitätsschwachen Länder weist erhebliche Unterschiede auf. Ein wichtiges Differenzierungsmerkmal für Emerging Market Debt-Fonds wird daher die Fähigkeit ihrer Fondsmanager sein, die Entwicklung der öffentlichen Haushalte dieser Länder richtig vorherzusagen. Die Regierungen stehen vor einem Spagat: Einerseits müssen sie ihre Haushalte konsolidieren, andererseits sind sie weiterhin auf multilaterale Finanzierungen und bilaterale Schuldenerlasse angewiesen – vor allem von China, in vielen Fällen ein bedeutender Gläubiger. Zu den Ländern, die an der Schwelle zur Überschuldung und vor schwierigen Entscheidungen stehen, gehört unter anderem Sri Lanka.
In den kommenden Jahren wird es in dieser Gruppe zu weiteren Ausfällen und Restrukturierungen kommen. Für aktive Emerging Debt Manager mit hoher Fundamentalanalyse-Kompetenz ergeben sich daraus jedoch durchaus strategische Chancen. Vielfach zu bevorzugen sind derzeit allerdings Länder aus dem Bonitäts-Mittelfeld. Auch in diesem Segment gewinnen eine sorgfältige und differenzierte Analyse der Fundamentaldaten und die entsprechende Wertpapierauswahl an Bedeutung. Vielfach sollten sie aber von einer Erholung der Weltwirtschaft profitieren. Gleichzeitig bieten sie einen höheren Schutz vor möglicherweise weiter steigenden Zinsen in den USA, als es die Länder im oberen Bereich des Qualitätsspektrums bieten können. In diesem Segment ist angesichts der historisch niedrigen Risikoaufschläge Vorsicht geboten – eine Einschätzung, die die Entwicklungen zu Jahresbeginn bereits eindrücklich untermauert haben.
Autor Nick Eisinger ist Fondsmanager für Schwellenländer-Anleihen bei Vanguard.