Gestaltungsmöglichkeiten durch Wandel nutzen
Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 sank der Leitzins in der Eurozone von damals 4,25 Prozent innerhalb eines Jahres auf 1 Prozent und kam 2016 bei 0 Prozent zum Erliegen. Fast 15 Jahre bewegten wir uns also im Niedrigzinsumfeld. Menschen, die 1991 oder später geboren wurden, sie machen laut dem Statistischen Bundesamt knapp 30 Prozent der Bevölkerung aus, kennen eigentlich nur den Zustand niedriger Zinsen. Innerhalb von nur acht Monaten und als Reaktion auf die hohe Inflation ist der Leitzins im vergangenen Jahr auf 3,5 Prozent gestiegen. Was das für die Menschen bedeutet, wird besonders greifbar beim eigenen Immobilienwunsch. Die eigenen vier Wände sind schließlich einer der Top-10-Lebensträume in Deutschland. Jahrelang war Geld günstig und damit auch für viele die Finanzierung einer eigenen Immobilie gut realisierbar. Das ist nun schlagartig anders. Während bei den einen der Kredit nach 10 oder 15 Jahren ausläuft und die Anschlussfinanzierung nun den monatlichen Haushaltsetat viel stärker belastet, ist für andere der Traum vom Eigenheim vorerst in weite Ferne gerückt – Zins- und Baukosten zum Dank. Hier gilt es beratend zur Seite zu stehen und mit ganzheitlicher Beratung Möglichkeiten aufzuzeigen. Wir erleben zum Beispiel gerade die Renaissance vom Bausparen, ein Produkt, das lange Jahre keine Beachtung fand und gerade in der jüngeren Generation vermutlich weitestgehend unbekannt ist. Die Anzahl an neuen Bausparerinnen und -sparern bei unseren Beratungsgesellschaften stieg im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 212 Prozent. Genau diese Möglichkeiten und Chancen für unsere Kundinnen und Kunden frühzeitig zu erkennen, ist unsere Aufgabe. Breit aufgestellte Finanzvertriebe greifen auch auf ein Netzwerk von Immobilienexpertinnen und -experten zurück und leisten mit ihrem Branchen- und Marktverständnis unmittelbar Mehrwerte, indem sie Marktprognosen antizipieren, sie verständlich erklären und auf ein umfangreiches Portfolio von Angeboten zurückgreifen oder alternative Anlageformen ermitteln. Neben dem Erkennen solcher Chancen, gilt es aber auch Krisen, wie die aktuelle Rekordinflation, gut zu moderieren.
Entscheidungen mit Weitsicht sind gefragt
Die sich aufstapelnden Krisen haben zu einer Rekordinflation von zeitweise über 10 Prozent geführt. Eine Studie von Swiss Life Select zeigt, dass dies für viele Menschen besonders bei den Verbraucherpreisen (81 Prozent) spürbar wird, wenn das Portemonnaie nach dem Wocheneinkauf merklich leichter ist. Dem Großteil der Menschen (77 Prozent) bereitet diese hohe Inflation Sorge und sie machen sich Gedanken darüber. Viele reagieren auf die Mehrausgaben mit Einsparungen an anderer Stelle. Die Menschen in Deutschland verzichten gegenwärtig am ehesten auf Luxusgüter (49 Prozent), Konsumgüter wie neue Kleidung (49 Prozent), Freizeitgestaltung (48 Prozent) und bei Urlauben (47 Prozent). Nur 13 Prozent haben ihre Altersvorsorge und Versicherungen angepasst. Das ist ein sehr gutes Zeichen dafür, dass den Menschen die Wichtigkeit von privater Vorsorge bewusst ist und sicherlich auch ein Verdienst der professionellen Finanzberatung. Aber gerade jetzt ist es wichtig, neue Chancen zu nutzen und den Menschen Optionen zu bieten. Ein Beispiel wäre die Entlastung durch das Inflationsausgleichsgesetz, mit dem letztlich auch Liquidität für zusätzliches Sparen geschaffen wurde. Es sind die Finanzberaterinnen und -berater in ihrer Lotsenfunktion, die ihren Kundinnen und Kunden jetzt solche Perspektiven aufzeigen, damit sie gut informiert weitsichtige Entscheidungen treffen und auch in herausfordernden Zeiten ihren Lebenszielen näherkommen und selbstbestimmt leben können.
Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge ist kein Selbstläufer
Damit die Zukunft auch lebenswert bleibt, müssen wir mit der ökologischen Transformation eine der größten Herausforderungen unserer Zeit bewältigen. Wir brauchen bei diesem Thema Geschwindigkeit und auch da kann die Finanzberatung eine wichtige Hebelfunktion übernehmen, denn die Klimakrise ist längst keine abstrakte Drohkulisse mehr, sondern spürbar. Es ist jetzt Zeit, alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen und aktiv zu handeln. Beim Thema Nachhaltigkeit denken die meisten reflexartig an Mobilität oder Energiegewinnung, aber auch die Altersvorsorge kann ein wichtiger Hebel im Kampf gegen den Klimawandel sein. Den Menschen ist selten bewusst, dass sie mit ihrer Geldanlage auch eine soziale, und ökologisch steuernde Wirkung erzielen können. Unsere Marktforschung zeigt, dass nur fünf Prozent der Menschen bei Geldanlagen
spontan an Nachhaltigkeit denken, obwohl die Wirkung hoch wäre: 57 Prozent der Menschen schätzen ihr Wissen zu nachhaltigen Anlagen als gering ein. Die gute Nachricht ist aber: Je höher das Finanzwissen ist, desto eher erkennen die Menschen die Wirkung und desto häufiger entscheiden sie sich auch für nachhaltige Geld- und Anlageformen. Die Zahlen machen deutlich, wie wichtig die Wissensvermittlung und Aufklärung durch die Finanzberaterinnen und -berater ist, damit wir dieses Potenzial für die nachhaltige Transformation nutzen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Rahmenbedingungen für eine flächendeckend nachhaltige Beratung noch nicht gegeben sind. Zum einen gibt es bei der Produktvielfalt Aufholbedarf, zum anderen fehlt es aber vor allem an einheitlichen Standards und Klarheit. Für die Kundinnen und Kunden bleibt es bisweilen undurchsichtig, sodass die Aufklärungsarbeit durch die Finanzberaterinnen und -berater sehr viel Zeit benötigt. Und auch sie werden allein gelassen, wenn wir kein einheitliches Verständnis über nachhaltige Anlageformen etablieren. Hier braucht es neben der hohen Fachkompetenz der Beratenden eben auch die Präzisierung der Nachhaltigkeitskriterien, sodass die Finanzberatung ihre wichtige Lotsen- und Katalysatorfunktion zur Verbreitung nachhaltiger Geldanlagen flächendeckend und damit effektiv wahrnehmen kann.
Beratung schafft Zuversicht
Diese drei aktuellen Fälle zeigen exemplarisch, was auf die meisten Krisen zutrifft: Die professionelle Finanzberatung ist wichtiger denn je und sie nimmt eine tragende Rolle bei der Bewältigung ein. Es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe in unruhigen Zeiten, die finanzielle Stabilität der Menschen abzusichern und verlässlich an ihrer Seite zu stehen. Die große Leistung der Finanzberaterinnen und -berater, die oftmals von Medien und Politik unterschätzt wird, verdient aus meiner festen Überzeugung mehr Wertschätzung. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig von der Expertise der Vermittlerinnen und Vermittler profitieren und sich auch in Krisenzeiten ihnen zuwenden, braucht es Empathie, Qualitäts- und Kundenorientierung – drei ohnehin wichtige Erfolgskriterien einer modernen Finanzberatung.
Dr. Matthias Wald, Leiter Vertrieb Swiss Life Deutschland und Vorstand VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V.