Schnelles Wachstum, Reife, Wandel des Wettbewerbsumfelds und manchmal auch Stagnation – diese Lebenszyklen von Unternehmen müssten Investoren im Blick haben, um Wachstumsanlagen zu identifizieren, meint Anne-Marie Peterson, Portfoliomanagerin bei Capital Group. Sie gibt einen Ausblick auf Werte mit Wachstumspotenzial für das kommende Jahrzehnt sowie Prognosen, wie die Welt im Jahr 2030 aussehen könnte.
Langfristiges Gewinnpotenzial identifizieren
Eine Wachstumsanlage lasse sich der Expertin zufolge anhand von drei Grundsätzen erkennen. Der erste sei das Umsatzwachstum, denn dieses beflügle den Gewinn und dieser wiederum den Aktienkurs. „Mein Ausgangspunkt ist es, nach überdurchschnittlich zunehmenden Umsätzen als Wegbereiter für langfristiges Gewinnpotenzial Ausschau zu halten“, sagt Peterson. Ein Beispiel hierfür sei die Cloud. Letztes Jahr hätten Microsoft Azure und Amazon Web Services zusammen rund 60 Milliarden US-Dollar generiert. Dies stelle aber nur einen Bruchteil des adressierbaren Marktes für unternehmensseitige IT-Investitionen dar. Der zweite Grundsatz: wichtig sei außerdem das Menschliche. Investiere sie in einen Titel, sei das meist ein Ausdruck ihres Einverständnisses mit einem Managementteam oder einer Unternehmenskultur. „Als ich das E-Commerce-Unternehmen Shopify beurteilte, traf ich mich mehrere Male mit dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens, Tobi Lutke, um ihn kennenzulernen“, erläutert Peterson. „Er ist ein besonderer Mensch und arbeitet hart daran, dass es Shopify auch in 100 Jahren noch gibt.“
Veränderungen beinhalten immer Chancen
Der dritte Wachstumstreiber sei die Veränderung, wie beispielsweise ein CEO-Wechsel. So sei es unter anderem auch bei Home Depot gewesen, das in der Anfangsphase zu schnell gewachsen sei. Die US-Baumarktkette habe zügig eine Menge an Filialen eröffnet, ohne die notwendige Infrastruktur dahinter aufzubauen. Als sich der Markt sättigte und das Wachstum stagnierte, schien Home Depot seine Belastungsgrenze zu erreichen. „Als Frank Blake CEO wurde, stoppte er die Eröffnung neuer Filialen und brachte die Lieferkette im Back-End in Ordnung“, analysiert die Portfoliomanagerin. „Er stoppte das Wachstum, damit das Unternehmen letztendlich wieder wachsen konnte.“ Auch könnten sich während Phasen der Veränderung ganze Branchenstrukturen verändern. Zwar herrsche in solchen Situationen oft Ungewissheit, doch gerade dies könne dazu führen, neue Gelegenheiten zu identifizieren.
Langfristige Beschleunigung der Digitalisierung
„Selten gibt es Phasen der Veränderung, die bedeutender sind als jene, die wir derzeit durchleben“, sagt Peterson. Über allem stehe dabei die Aussage, dass COVID-19 die langfristige Verschiebung hin zur Digitalisierung beschleunige. Das klassische Programmfernsehen und sein Werbemodell etwa sähen sich ebenso großen Herausforderungen gegenüber, wie der Einzelhandel, der schon mehr Insolvenzen als während der weltweiten Finanzkrise erlebt hätte. Interessant sei hierbei insbesondere, dass die Verschiebung trotz bereits großer Auswirkungen noch am Anfang stehe.
„In den USA wächst der Onlinehandel schnell, stellt aber nur einen Bruchteil des Gesamteinzelhandelsumsatzes dar. Zudem hinkt er dem von China und anderen Märkten hinterher“, so Peterson. Im Gesundheitssystem dürfte zudem die Nutzung von Telemedizin und Online-Sprechstunden ein Trend von Dauer sein. Infolge von COVID-19 hätten die Aufsichtsbehörden und die Gesundheitsdienstleister ihre Regeln gelockert, um eine stärkere Digitalisierung zu ermöglichen. Zugleich hätten die Patienten und Ärzte teils aus der Not heraus mehr Gefallen an Fernsprechstunden gefunden.
Chancen für kleine und mittlere Unternehmen
Für das Jahr 2030 kann sich die Portfoliomanagerin eine Art David-gegen-Goliath-Szenario vorstellen. „Jedes kleine Unternehmen und jeder Einzelne könnte zukünftig zur Konkurrenz für Großunternehmen werden“, so Peterson. Das liege daran, dass derzeit Onlinesoftware-Anbieter und E-Commerce-Unternehmen Back-End-Infrastrukturtools entwickelten, die sowohl die Barrieren, Kunden zu erreichen, senkten als auch die Verwaltung von Lagerbeständen vereinfachen dürften. So könne zukünftig jeder innerhalb von 15 Minuten ein digitales Geschäft eröffnen. „Die Gewinne der ersten Welle von Online-Dienstleistungen, allen voran von Google und Facebook entwickelt, wurden von einigen wenigen großen Unternehmen abgeschöpft. Bei der nächsten Welle könnte es hingegen zu einer Streuung der wirtschaftlichen Macht und zu einer Gelegenheit für kleinere Unternehmen kommen“, so Peterson. „Das bringt interessante Chancen mit sich – insbesondere für aktive und langfristig orientierte Anleger.“