Die zehn wichtigsten Argumente für Schwellenländeraktien

Schwellenländeraktien sind einer der Anlagebereiche, der sich unseres Erachtens nur schwer durch passive Strategien nachbilden lässt. Aktives Management – ungeachtet des individuellen Anlagestils – bietet sowohl auf der «Top-down- (Währung) als auch auf der «Bottom-up»-Ebene (Einzelwerte) zahlreiche Chancen für eine «Rückkehr zum Mittelwert».

Dies ist bedingt durch die mit der Anlageklasse verbundene Volatilität und der Vielzahl von Ländern, die sie umfasst. Obwohl der Ausbruch des Coronavirus die Märkte und die Wirtschaft kurzfristig belasten könnte, sehen wir zehn übergeordnete Faktoren, die langfristig Bestand haben werden.

1. Höchststand des US-Dollars

Der wichtigste Aspekt für die Performance von Schwellenländeranlagen – insbesondere von Werten in Lokalwährung – ist, dass die Verlangsamung des globalen Wachstums und die fortgeschrittene Phase des Zinszyklus in den USA den US-Dollar abschwächen könnten. Ein Ende der US-Dollar-Aufwertung und der Leitzinserhöhungen der US-Notenbank könnte die Sorge über restriktivere Finanzierungsbedingungen in den Schwellenländern vermindern.

2. Attraktiver Einstiegspunkt

Wir befinden uns derzeit an einem interessanten Wendepunkt, an dem sich sowohl die relativen längerfristigen Aussichten als auch die relativen zyklischen Trends von Schwellenländeraktien verbessern. Nimmt man den Rückgang des derzeit hohen Niveaus der internationalen Spannungen hinzu, erscheint die Positionierung insgesamt zu defensiv.

Tatsächlich liegt ein Jahrzehnt der historischen Tieferbewertung von Schwellenländer- gegenüber Industrieländeraktien hinter uns. Das reduzierte realisierbare Gewinnwachstum je Aktie sowie die Auswirkungen des starken US-Dollars führten zu einer zehnjährigen Tieferbewertung bzw. Underperformance gegenüber den Märkten der Industriestaaten und insbesondere gegenüber dem S&P 500.

3. Höhere Aktienbewertung

Die günstigen Bewertungen und die Erwartungen einer Höherbewertung unterstützen mittlerweile die Anlageklasse. Der Bewertungsunterschied zwischen Schwellenländer- und Industrieländeraktien ist nach unserer Einschätzung im Vergleich zu Vergangenheitswerten zu hoch. Hinzu kommen attraktive relative Bewertungen – insbesondere auf Basis der Werthaltigkeit, des Wachstums und der «Suche nach Rendite» im Investment-Grade-Bereich. Die Prognosen für die Gewinne je Aktie lassen im Vergleich zu dem erst vor Kurzem beendeten Jahrzehnt der Underperformance ebenfalls «Lebenszeichen» erkennen.

4. Carry-Trade

Währungen mit Ertragsvorteilen (positiver Carry) sind gut unterstützt – und Rohstoffwährungen notieren bereits etwa 65% unter ihren Höchstwerten. Die US-Dollar-Stärke ist eingepreist. Im Währungsbereich deutet unser Modell für den realen effektiven Wechselkurs (REER) darauf hin, dass die überwiegende Anzahl der Schwellenländerwährungen unterbewertet sind. Da der Zyklus jedoch dank der Belebung des globalen Handels zugunsten von zyklischen Werten umschwenkt und die Risikobereitschaft der Anleger zunimmt, erwarten wir in diesem Jahr eine Aufwertung der Schwellenländerwährungen.

5. Stärkeres Wachstum

Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass das Wachstum in den Schwellenländern im Jahr 2020 anzieht und unverändert den zweifachen Wert der Industrieländer erreichen wird. Dies lässt sich auf verbesserte fiskalische, wirtschaftliche und geldpolitische Strategien und den erneuten Fokus auf Strukturreformen in zahlreichen Schwellenländern zurückführen. Die günstigeren Finanzierungsbedingungen infolge der synchronisierten geldpolitischen Lockerung in vielen Schwellenländern dürften sich ebenfalls zunehmend positiv auf das Wachstum auswirken.

6. Verzögerter Zinszyklus

In unserem Anlageuniversum haben in den vergangenen zwölf Monaten 15 Zentralbanken ihre Zinssätze gesenkt, im Durchschnitt um rund 100 Basispunkte gegenüber 75 Basispunkten in den USA. Im Gegensatz zu den meisten Industriestaaten sind diese Schwellenländer überwiegend in der Lage, die Zinsen weiter zu senken, da die Inflation unverändert moderat ausfällt. Darüber hinaus wird die Weltwirtschaft unseres Erachtens in den kommenden Jahren von den vielseitigeren Wachstumsquellen der Schwellenländer abhängig sein.

7. Technologieimpulse

E-Commerce, digitale Banken, künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Robotertechnik, das Internet der Dinge und mobile Computer werden auf Jahre hinaus fundamentale Treiber der Wirtschaft in den Schwellenländern sein. Dies deutet auf gute langfristige Aussichten hin. Bei «Next-Wave»-Technologien wie Elektrofahrzeugbatterien, Gentherapien und 5G-Telekommunikationsausrüstung laufen asiatische Technologieunternehmen dem Westen den Rang ab. Die Menschen in den Schwellenländern dürften stärker von diesen «Leapfrog»-Technologien profitieren, mit denen sie im Vergleich zur Bevölkerung der Industriestaaten mehrere Generationen technologischer Entwicklungen überspringen könnten.

8. Verbesserung von ESG-Standards

Zweitnotierungen, eine größere Transparenz und eine stärkere Beachtung der Corporate Governance könnten in den Schwellenländern eine positivere Dynamik der ESG-Faktoren (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) antreiben. Trotz der Auswirkungen des (vorübergehenden) Stopps der Börsenverbindung zwischen Shanghai und London und der fehlenden Notierung Aramcos an einer Börse in den Industrieländern profitieren Schwellenländeraktien von der zunehmenden Einführung von ESG-Bewertungen. Zweitnotierungen von Unternehmen verbessern ihr ESG-Profil und machen diese an ihren Heimatmärkten zu Branchenführern und Vorbildern, denen weitere Firmen nacheifern. Sei es durch die Globalisierung oder die allgegenwärtigen sozialen Medien: Die Wahrnehmung der «besten gegenwärtigen Praktiken» in den Schwellenländern wird unverändert vom Phänomen der globalen Vereinheitlichung beeinflusst.

9. Fortlaufende innenpolitische Reformen

Einige Schwellenländer wie Brasilien und Indien verfolgen unverändert bedeutende Strukturreformen. Die jüngste Senkung der Unternehmenssteuersätze, die Fokussierung auf die Infrastrukturentwicklung, Maßnahmen zur Verbesserung des regulatorischen Umfelds und die geldpolitische Lockerung dürften diese Volkswirtschaften stabilisieren.

Die indische Zentralbank senkte den Leitzins im vergangenen Jahr um 135 Basispunkte. Dieser Trend dürfte sich in nächster Zeit fortsetzen. Indonesien hat ebenfalls angekündigt, einen signifikanten Teil seines BIP für die Infrastrukturentwicklung aufzuwenden. In Brasilien haben die entschlossenen Wirtschaftsreformen der Regierung ein vorteilhaftes Investmentklima geschaffen. Die Sozialversicherungsreform trägt entscheidend dazu bei, Investitionen und die Kreditvergabe zu fördern. Dies könnte das Haushaltsdefizit Brasiliens erheblich reduzieren und sollte weitere ausländische Investitionen anziehen.

Die Initiativen Chinas zur Diversifizierung der Wirtschaft wurden durch den zunehmenden internationalen Protektionismus überschattet. Der Fokus der Regierung auf nachhaltiges Wachstum und die Stärkung der Widerstandskraft in Stressphasen führten zu einer beschleunigten Umsetzung von Strukturreformen. China kann bei Bedarf weitere geldpolitische Maßnahmen zur Wirtschaftsankurbelung umsetzen. Obwohl die Behörden betonen, dass sie die Wirtschaft in diesem Zyklus nicht überstimulieren würden, bleibt die politische Unterstützung aktiv. Dies dürfte generell positive Auswirkungen auf die Schwellenländer haben – und sowohl das Aufwärtspotenzial stärken als auch eine Absicherung gegen Abwärtsrisiken für das Wachstum darstellen.

10. Attraktives langfristiges Wachstum

Gemessen an den Anlageerträgen des letzten Jahrzehnts zahlte sich die Fokussierung auf langfristige Entwicklungen nicht aus. Dazu zählten das Pro-Kopf-BIP-Wachstum, die demografische Entwicklung, die Urbanisierung, die Erwerbsbeteiligung von Frauen, das Tempo der Industrialisierung sowie die Gewinner von Disruptionen und technologischen Innovationen einschließlich alternativer Energiequellen. In Zeiten niedrigen Wachstums ist langfristiges Wachstum jedoch attraktiver als je zuvor. Nach unserer Einschätzung könnten diese Entwicklungen zu einer potenziellen Steigerung des langfristigen Wachstums der Gewinne je Aktie um 3% bis 7% führen.

Tim Love ist Investment Director bei GAM Investments und Lead-Fondsmanager der GAM Emerging Markets Equity Strategie

Foto: Shutterstock

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