So rasant wie sich unsere Städte in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert haben, so schnell verändert sich unser Verständnis von urbaner Mobilität. Ursprünglich oft an den Verkehrsbedürfnissen von Pferd und Wagen ausgerichtet, bedeuteten die ersten Nahverkehrssysteme für unsere Städte bereits einen deutlichen Einschnitt, der im Straßenbild sichtbar wurde.
Eine noch einschneidendere Veränderung erzeugten die Kriegszerstörungen und der Trend zur Massenmobilität in Verbindung mit dem Konzept der autogerechten Stadt. Der private PKW wurde zum Maß der Dinge und Statussymbol und prägte den Städtebau bis in die jüngste Vergangenheit.
Corona verändert die Perspektiven
Mit der Jahrtausendwende änderte sich die Perspektive erneut. Die Herausforderungen, die durch überkommene Verkehrskonzepte entstanden waren, gerieten stärker in den Fokus. Immer mehr Menschen mit immer mehr Fahrzeugen strebten und streben in die Ballungsräume und Innenstädte.
Der Verkehrskollaps ist in den Großstädten omnipräsent. Oft wurde versucht, mit einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gegenzusteuern, jedoch blieb der Erfolg meist aus. Denn der ÖPNV kann nicht überall zur Verfügung gestellt werden.
Das ist wirtschaftlich für die Träger unmöglich zu leisten, denn die meisten Nahverkehrsbetriebe sind bereits stark subventioniert. Somit war der Nahverkehr auch nicht die Lösung für unsere zunehmend verstopften Städte und individuelle Mobilitätsansprüche.
„Pendler mit Fahrrädern galten lange Zeit als Exoten. Das hat sich durch moderne Fahrrad-Elektromobilität deutlich verändert“
Bleibt noch das Rad. Pendler, die mit Fahrrädern über längere Strecken ihren Arbeitsweg bewältigten, galten lange Zeit als Exoten. Bestenfalls kamen sie nur verschwitzt ins Büro, mitunter waren sie auch völlig durchnässt.
Das hat sich durch moderne Fahrrad-Elektromobilität deutlich geändert. Das E-Bike oder Pedelec kann zum vollwertigen Ersatz für einen PKW werden. Dieser, besetzt von nur einer Person, ist in verkehrsüberlasteten Städten noch immer die Regel, wird aber zunehmend als Anachronismus gesehen.
Das E-Bike bietet dagegen alle Vorteile individueller Mobilität ohne die Nachteile eines klassischen Fahrrads. Kälte, Regen oder Sturm lassen sich mit entsprechender Bekleidung und einem E-Antrieb besser ertragen und führen nicht zu skeptischen Blicken der Kollegen wegen durchnässter Kleidung oder Schweißausbrüchen.
Für die Versicherung bringen die neuen Trends neue Herausforderungen
Nicht vergessen werden soll bei aller E-Mobilität auch, dass die generelle Akzeptanz für Räder im Individualverkehr deutlich gestiegen ist. So erlebt das „Commuter-Bike“, also das Rad ohne E-Antrieb als Stadtrad gerade eine Renaissance und auch hier wandelt sich die Nutzung vom Gelegenheitsrad zum täglichen Verkehrsmittel. Mit weitreichenden folgend für Angebote, Services, Produkte und ganze Wirtschaftszweige rund um den Radverkehr.
Im Versicherungsbereich ergeben sich durch diese Trends ebenfalls neue Herausforderungen. E-Bikes und Pedelecs wie auch das Commuter-Bike sind keine gewöhnlichen Räder mehr. Dieses wurde nur ab und an mal bewegt, und fristete ansonsten sein Dasein im Keller oder der Garage. Mit dem Ausbau des Radwegenetzes und durch die Verbreitung von E-Antrieben mit hoher Akkukapazität und Reichweite sind E-Bikes wie auch Commuter-Bikes zu einer Alternative sowohl zum ÖPNV als auch zum PKW geworden.
Das bedeutet aber auch, dass es zu einem täglichen Verkehrsteilnehmer und Transportmittel wurde. Hinzu kommt, dass sich auch der Wert im Auge des Besitzers verändert hat: Ein vollwertiger Autoersatz wird als solcher wertgeschätzt und will entsprechend gut versichert sein. Es ist kein Sachgegenstand mehr, der wie früher in der Hausratversicherung eingeschlossen ist. Oder würden Sie Ihr Auto als Hausrat kategorisieren?
Und noch ein weiterer Faktor kommt hinzu: Mit der verbauten Technologie steigt natürlich der Preis und auch das würde den Rahmen einer normalen Hausratversicherung sprengen. Die Kombination „kleine Wohnfläche, aber ein E-Bike im Wert von über 5000 Euro für die täglichen Wege“ wird langsam zur Regel in den Städten.
Sind agile modulare Versicherungspakete die Lösung?
Und wegen solcher Beträge muss die Versicherungswirtschaft mit agilen modularen Versicherungspaketen Lösungen für den Kunden bereithalten. Einfach die Quadratmeterzahl der Wohnung für die Ermittlung der Versicherungssumme nutzen, um dann prozentual das Fahrrad mitzuversichern? Das hat vor zehn Jahren vielleicht noch bei einem Mountainbike für 1000 Euro funktioniert. Heute sieht das deutlich anders aus.
„Diese Entwicklungen sind in älteren Deckungskonzepten oft nur teilweise und mitunter gar nicht versichert“
Mit der täglichen Nutzungsdauer steigt auch das Diebstahl Risiko exponentiell. Nicht jeder kann sein Rad bis an den Schreibtisch mitnehmen, auch wenn das manchmal die Werbung suggeriert. Und wird es während der Arbeitszeit irgendwo abgestellt, steht es abgeschlossen an der Straße oder im Hof des Bürogebäudes.
Damit steigen die Anforderungen an die Absicherung. Sicherungsstandards für Schlösser, die es bereits gibt, müssen konsequent in die Kalkulation einbezogen werden. Und die Verbindung mit dem Smartphone mittels eines Ortungschips, die es für PKW schon gibt, wird auch für das hochwertige Commuter- oder E-Bike kommen. Die Verknüpfung dieser Ortungstechnik mit einem flexiblen Versicherungsschutz wird dann denkbar. Die Technik erkennt, ab wann das Rad die eigenen vier Wände verlässt, um damit den Versicherungsschutz in diesen Situationen anzupassen.
Das Commuter- oder E-Bike wird also im verschlossenen Keller unter den günstigeren Hausratbedingungen versichert. Verlässt der Nutzer sein Zuhause mit Rad, gelten die höheren Haftungseinschlüsse einer speziellen Fahrradversicherung. Dazu zählen auch die Anbauten am Fahrrad, die schnell mal einige 100 Euro kosten können. Eine teure Packtasche unterliegt im Keller einem anderen Risiko als auf dem Firmenparkplatz.
Das Sachrisiko Fahrrad
Bisher ging es um Nutzungsdauer, Technologie, Risiken von Rädern und E-Bikes wie auch um den Einfluss auf Mobilitätskonzepte. Eine anderer wesentlicher Aspekt ist der Mensch, der als Pendler nun viel mehr Zeit auf dem Rad und im Verkehr verbringt.
Sein individuelles Risiko steigt dadurch deutlich an. Das gilt aber auch für das Sachrisiko Fahrrad. Demnach müssen sich für das Fahrrad und den Versicherungsnehmer die Risikoabsicherung während der Nutzung verändern. Unstrittig ist, dass von einem Fahrrad oder E-Bike in Bewegung ein höheres Unfallrisiko ausgeht als wenn es im Keller steht.
Angesichts gestiegener Werte und Geschwindigkeiten, aber auch mit Blick auf die intensivere Nutzung gilt wie zuvor: Dem ist nur mit agilen Produktlösungen beizukommen. Das kann auch eine Mischung verschiedener Sparten bedeuten, nämlich Hausrat-, Unfall- und nicht zu vergessen Haftpflichtversicherung.
Denn es ist nicht nur das Risiko für das Rad oder für den Nutzer abzusichern. Ebenso wichtig ist das Risiko, das durch die Nutzung des Rads für andere entstehen kann. Naheliegend ist sicherlich das Risiko, das vom Nutzer ausgeht, wenn er damit einen Sach- oder Personenschaden verursacht. Aber die modernen Räder liefern auch Quellen für ganz andere Risiken.
Warum ältere Deckungskonzepte zum Gefahrenherd werden
Wird ein E-Bike im Büro geladen und es kommt zu einem Akkubrand, entsteht schnell ein Sachschaden in Millionenhöhe oder noch schlimmer, ein Personenschaden. Diese Entwicklungen sind in älteren Deckungskonzepten oft nur teilweise und mitunter gar nicht versichert.
Da aber der Nutzer derjenige ist, der für durch ihn selbst oder seine Sachen entstandene Schäden zur Verantwortung gezogen wird, muss dem Rechnung getragen werden. Vollends komplett wird das Paket aber erst mit einer Rechtsschutzversicherung zur Absicherung. Denn wer sich mit PKW oder Fahrrad im heutigen Verkehrsgeschehen bewegt, auf den können auch Rechtsstreitigkeiten zukommen, die je nach Verfahrensgegenstand sehr teuer werden können.
Die moderne Mobilität verändert unsere Städte, sie wird und muss deshalb auch die Absicherung und Leistung einer Versicherung verändern. Die Übergänge von Freizeitnutzung zur beruflichen Nutzung sind fließend. Veränderungen gehen immer schneller vonstatten. Deshalb sind gerade in diesem Bereich agile und flexible Versicherungslösungen, die sich je nach Bedarf und Nutzungsprofil zu- und abwählen lassen, die Zukunft. Denn Mobilität und Versicherung es war noch nie so spannend und innovativ wie heute.
Stephen Voss ist Vorstand für Vertrieb und Marketing der Neodigital Versicherung AG