Als die Industrielle Revolution Ende des 18. Jahrhunderts in England begann, standen Betriebe im Zuge rasant voranschreitender technologischer Entwicklungen enormen Herausforderungen gegenüber. Um mit den Wettbewerbern konkurrieren zu können, mussten sie die technologischen Innovationen, die eine höhere Produktivität mit sich brachten, in ihre Arbeitsprozesse eingliedern. Die Betriebe, die sich dieser Aufgabe offen und direkt stellten, sollten schon bald zu einigen der größten Unternehmen der Welt zählen. Kommt Ihnen die Situation bekannt vor?
Die Welt befindet sich erneut in einer Phase des Umbruchs, der digitalen Revolution. Im vergangenen Jahr nutzten einer Studie der Initiative D21 und Kantar zufolge 88 Prozent der Deutschen das Internet, 94 Prozent davon tätigen laut Zahlen von Bitkom Onlinekäufe. Wer jetzt meint, dazu zählen lediglich niedrigschwellige Kaufentscheidungen, der irrt. Bereits 43 Prozent haben sich bereits online über Versicherungen informiert und diese ebenfalls online abgeschlossen. Trotzdem ist die Stimmung in der Branche noch sehr verhalten. Während sich ein Teil der Versicherer und Vermittler den neuen Herausforderungen bereits stellt, zweifelt ein anderer Teil derzeit noch daran, dass sich der Versicherungsbetrieb wirklich umfassend digitalisieren wird oder fürchtet eher mögliche negative Auswirkungen. Dabei bringt die Digitalisierung alles mit, um die Branche nachhaltig zum Positiven zu verändern – für Versicherer, für Vermittler und für ihre Kunden.
Vermittler im Zwiespalt
Die Sorgen der Versicherungsvermittler fokussieren sich vor allem auf eines: Sie sehen die Digitalisierung als Bedrohung für den eigenen Arbeitsplatz. Und eines vorweg: Das könnte unter bestimmten Voraussetzungen durchaus passieren. Aber eben nur, wenn Versicherer und Makler sich nicht in der Tiefe mit den Herausforderungen und vor allem Chancen der technologischen Möglichkeiten befassen, die ihre Arbeit deutlich effizienter machen können. Denn der Vermittler wird nicht obsolet, ganz im Gegenteil: Er kann mit seiner jahrelangen Expertise eine Schlüsselrolle in der digitalen Transformation einnehmen, wenn er sie denn annimmt.
Den Wandel gestalten
Zunächst einmal muss man zwischen verschiedenen Geschäftsfeldern unterscheiden. Eine Studie von Bitkom belegt, dass bereits 34 Prozent der Deutschen schon einmal online eine Reiserücktrittversicherung abgeschlossen haben, 32 Prozent eine Kfz-Versicherung, aber lediglich fünf Prozent eine kapitalbildende Lebensversicherung. So brauchen die meisten Endkunden für bestimmte Versicherungstypen bereits keinen Makler mehr, gerade bei komplexeren Modellen kann es für den Verbraucher aber unübersichtlich werden. Gerade dann, wenn ein größeres Investment im Raum steht, ist die Nachfrage nach Beratung und Vermittlung und damit einer Einordnung der Vielzahl an Informationen, die im Internet zu finden sind, weiterhin hoch.
Lebens- und Rentenversicherungen oder Berufsunfähigkeitsversicherungen sind deutlich komplexer und kostenintensiver. Hier braucht es weiterhin (menschliche) Beratung. Vermittler werden hier also mittelfristig keinesfalls obsolet. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Nicht obsolet zu werden bedeutet nicht automatisch, relevant zu bleiben. Diverse Branchen zeigen: Bis heute hat es nicht in einem einzigen Segment Sinn ergeben, sich einer Entwicklung in den Weg zu stellen, die bereits in vollem Gange ist. Im Gegenteil: Um relevant zu bleiben, müssen Makler zu Treibern der Entwicklung werden, um sie nach ihren Wünschen mitzugestalten.
Probleme digitaler Prozesse identifizieren und lösen
Der Markt wird sich in Richtung hybrider Modelle entwickeln, die das Beste aus der „alten“ und „neuen“ Welt vereinen. Interessant wird es dort, wo Vermittler die Beratungsleistung in der heutigen Zeit nicht mehr als potenziell austauschbar, sondern jetzt erst recht holistisch betrachten und den Begriff für sich noch einmal grundlegend neu definieren. Vor allem jetzt ist es relevanter denn je, sich an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten. Die reine Informationsvermittlung wird tatsächlich überflüssig, im World Wide Web wird der Endkunde alles und mehr finden, was er zu Versicherungen wissen möchte. Anstatt dies jedoch als Gefahr zu sehen, sollten Vermittler ihre Kunden dazu beraten, wo sie genau die Informationen finden, die sie gerade suchen, oder besser noch eine eigene digitale Plattform zur Verfügung zu stellen, wo Kunden Versicherungen abzuschließen können. Auch der digitale Abschluss und die digitale Verwaltung der einzelnen Produkte gestaltet sich derzeit für die Endkunden noch nicht reibungslos. Kunden, die bereits verschiedene Versicherungs- und Vorsorgeprodukte im Portfolio haben, müssen diese derzeit oftmals noch mühsam einzeln verwalten, während beispielsweise eine einheitliche App zur Verwaltung der Produkte das Problem beheben könnte.
Laut Bitkom-Umfrage sagt jeder Dritte, der schon einmal online eine Versicherung abgeschlossen hat, dass der Abschluss zeitaufwändig gewesen sei, 39 Prozent empfanden den Vertragsabschluss als kompliziert. Genau hier müssen Makler ansetzen. Denn wie die Endkunden in Zukunft ihre Verträge abschließen wollen, können sie nicht beeinflussen. Die „Pain Points“ beim Abschluss von Online-Versicherungen als Experten mit jahrelanger Erfahrung beseitigen und einen unkomplizierten Prozess zu ermöglichen können sie aber sehr wohl. Und genau damit können sie sich unentbehrlich machen und zeigen, dass sie radikal auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden fokussiert sind.
Die zunehmende Autonomie der Kunden akzeptieren
In der heutigen Zeit können Kunden online schier endlos auf Informationen zugreifen. Dadurch sind Menschen in allen Lebensbereichen heute unabhängiger denn je – das betrifft auch die Versicherungsbranche. Vermittler müssen sich über die Rolle bewusst werden, die sie in diesem Szenario übernehmen können und evaluieren, welchen Wert sie für ihre Kunden haben (können). In diesem Kontext bedeutet Wert: Expertise und Beratung, die sich nicht einfach auf technologische Angebote übertragen lassen.
Das bedeutet, Makler müssen auch ihre eigenen Arbeitsprozesse an die neuen Anforderungen anpassen. Sie konkurrieren mit Angeboten, die 24/7 von überall auf der Welt abrufbar sind. Von überall und zu jeder Zeit kann der Kunde eine Versicherung abschließen – wer nicht erreichbar ist, der verliert wichtige Zeit und vor allem Kunden. Die folgenden Fragen sollte sich ein Versicherungsvermittler also heute stellen, um sein Geschäft zukunftssicher zu machen.
- Bin ich selbst für meine Kunden auf digitalen Kanälen und damit meist dort, wo es für sie am unkompliziertesten ist, erreichbar?
- Ist meine Website auf den neusten Stand und erfüllt sie Anforderungen wie Übersichtlichkeit, Ausrichtung an meinen Kundengruppen, gute Erreichbarkeit und Nutzbarkeit?
- Benötigt der Kunde hinsichtlich der Produkte, die ich vertreibe, wirklich meine Beratung? Ist es so komplex, dass ich eine Hilfestellung bei der Auswahl geben kann?
- Wenn nein, wie muss ich meine Beratungsleistung anpassen, um einen echten Mehrwert zu bieten?
- Wenn ja, wie kann ich mir die Technologie zunutze machen, um noch zielgerechter auf die Bedürfnisse meiner Kunden einzugehen und den Prozess so unkompliziert wie möglich zu gestalten (zum Beispiel durch mehr Übersichtlichkeit, Schnelligkeit, Komplexitätsreduktion)?
Sich digital so aufstellen, dass alle Beteiligten profitieren
Die neuen Möglichkeiten, die die digitale Transformation nicht nur für Kunden, sondern auch für Vermittler eröffnen, beginnen schon bei der Auswahl der Vertriebspartner. Versicherungen, die agil und digital aufgestellt sind, können Verträge schnell policieren und bringen die notwendige technologische Infrastruktur wie etwa Schnittstellen für Drittanbieter mit. Nicht zuletzt funktioniert auch die Kunden- und Stakeholderkommunikation dort meist besser, da digitaler. Mit ihnen zu kooperieren kann einen ganz entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Schnelligkeit und gute Kommunikation kann in Zeiten der Digitalisierung der entscheidende Faktor sein. Demensprechend ist es wichtig, dass Versicherer ihren Vertriebspartnern Daten on demand und automatisiert zur Verfügung stellen, wenn sie für die Kundenberatung benötigt werden. Funktioniert die schnelle Informationsvermittlung nicht, dann scheitert die Konkurrenzfähigkeit bereits an einem grundlegenden Punkt. Paradoxerweise war die Versicherungsbranche lange ein Innovationstreiber, wenn es Technologien ging, die die eigene Arbeit vereinfachen. Technologische Neuerungen wurden schnell angenommen und umgesetzt. Heute hakt es genau dort.
Das eigene Angebot anpassen
Neben den bereits genannten Aspekten sollten Makler unbedingt eine komplett digitale Kommunikation zumindestermöglichen. Auch die eigene ständige Weiterbildung ist extrem wichtig. Das fängt bei grundlegenden Dingen wie etwa der eigenen Ausstattung an, um gute digitale Kundengespräche sicherzustellen. Nichts könnte bei einer Beratung störender sein, als wichtige Punkte aufgrund einer schlechten Internetverbindung nur zur Hälfte zu verstehen oder den Berater nur verpixelt zu sehen, wenn es um komplexe Produkte und Investments geht, die ein höheres Vertrauen des Endkunden erfordern. Vom richtigen Licht über die passende Umgebung bis zur Nutzung zusätzlicher Tools: Viele Faktoren sind etwa für gelungene Video-Telefonie wichtig. Dabei ist eines wichtig zu verstehen: Wer auf digitale Technologien setzt, tut das nicht nur für seine Kunden. Er spart kostbare Zeit und Geld in der Kundenberatung, wenn er sich digital aufstellt. Im ersten Schritt ist natürlich ein gewisser Aufwand mit der Umstrukturierung verbunden, der sich aber in Form von deutlichen Effizienzgewinnen und höherer Kundenzufriedenheit schnell bezahlt macht.
Das neue Selbstverständnis als entscheidender Faktor
Die Digitalisierung in der Versicherungsbranche ist weder eine abstrakte Gefahr noch ein zu unterschätzender Trend – im Gegenteil. Neue Technologien bieten Maklern die Möglichkeit, sich jetzt noch radikaler auf die wahren Kundenbedürfnisse zu fokussieren – sofern sie die Veränderung annehmen. Mehr noch: Vermittler können eine entscheidende Rolle im Wandel annehmen und ihn mitgestalten. Ihre jahrelange Expertise ist gerade in Zeiten eines Überflusses an Informationen Gold wert. Ihre jahrelangen Erfahrungen in der Branche können dazu beitragen, genau die Faktoren zu identifizieren, die einer gelingenden digitalen Transformation in der Versicherungsbranche im Wege stehen, denn im internationalen Vergleich hinkt der deutsche Markt bereits hinterher. Niemand ist näher an den Kunden als die Vermittler, niemand kann besser verstehen, welche Wünsche sie haben und welche Prozesse sie derzeit noch zu zeitaufwändig oder kompliziert finden. Sie können Probleme erkennen und gleichzeitig die Lösung anbieten. Die Chancen, die sich Maklern derzeit bieten, sind unbegrenzt. Sie müssen ihre Rolle nur annehmen, um ein aktiver Gestalter der Veränderung zu werden und die eigene Relevanz in der Branche zu unterstreichen.
Autor Stephan Bruckner ist Director Sales Department Germany bei Liechtenstein Life & Prosperity Brokershome.