Die Digitalisierung und die Niedrigzinsphase sorgen dafür, dass Banken und Versicherer immer stärker einem zunehmenden Ertragsdruck ausgesetzt sind. Die Coronapandemie forciert die Entwicklung und beschert uns neue Allianzen.
Digitale Bancassurance-Kooperationen zwischen Insurtechs und Banken sowie Versicherern boomen. Für die Kunden bringt der Prozess mehr Service und Komfort. Aber was bedeutet Digital Bancassurance eigentlich für die klassischen Berater und Vermittler?
Bekannt seit den 1970er Jahren
Die traditionelle Offline-Bancassurance, also der Vertrieb von Versicherungsprodukten über Bankfilialen, ist bereits in den 1970er Jahren entstanden und hat sich trotz einiger Aufs und Abs als Vertriebsweg etabliert und umfasst heute ein weltweites Beitragsvolumen von stolzen 648 Milliarden Euro pro Jahr. Neu ist, dass seit etwa drei oder vier Jahren auch immer mehr digitale Bancassurance-Lösungen aufpoppen.
In meiner Rolle als CSO und verantwortlich für Market Strategy & Sales bei Friendsurance habe ich drei wesentliche Treiber für diese Entwicklung identifiziert. Zum einen wollen Kunden wollen integrierte Plattformlösungen: Viele Kunden sind nicht mehr bereit zwischen verschiedenen Anbietern hin und her geschickt zu werden und dieselben Daten zweimal eingeben zu müssen, um einen Versicherungsservice in Anspruch zu nehmen.
Stattdessen erwarten Kunden Lösungen, die es ihnen ermöglichen, ihre finanziellen Angelegenheiten einfach und effizient zu erledigen. So kam eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Deutschen ihre Versicherungsverträge direkt über ihr Online-Banking verwalten möchte.
Zudem gibt es immer stärker die Notwendigkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen. Banken und Versicherer sind einem zunehmenden Ertragsdruck ausgesetzt: In der anhaltenden Niedrig- und Nullzinsphase sehen sich Banken mit sinkenden Erträgen konfrontiert. Zudem drohen ihnen in Folge der Corona-Pandemie zusätzlicher Druck durch Filialschließungen und Kreditausfälle.
Ertragspotenziale heben
Obwohl sich die durch die Pandemie verursachten Schäden in der Versicherungsbranche noch in Grenzen halten, sind auch die Gewinne vieler großer Versicherer in der ersten Hälfte des Jahres 2020 deutlich zurückgegangen.
Vor diesem Hintergrund ist Digitale Bancassurance eine naheliegende Strategie, um Ertragspotenziale zu heben und gleichzeitig die Kundenbindung mit sinnvollen, digitalen Services zu stärken. Darüber hinaus bietet die Regulatorik auch Chancen – nämlich die passgenaue Ermittlung des Versicherungsbedarf mit Hilfe von Bankdaten.
Dank der PSD2 sind Versicherer und andere Drittanbieter in der Lage, über standardisierte Schnittstellen auf Kontodaten zuzugreifen, wenn der Kunde sie dazu autorisiert. Mit Hilfe von Machine Learning werden versicherungsrelevante Informationen aus Bankkontobewegungen erfasst: Zum einen können Versicherungsverträge erkannt und in einer digitalen Versicherungsübersicht dargestellt werden.
Gleichzeitig können wichtige Lebensereignisse wie die Geburt eines Kindes, das Übersteigen von Bemessungsgrenzen oder ein Umzug erkannt und sinnvolle Anpassungen des Versicherungsschutzes vorgeschlagen werden.
Kooperationen mit Insurtechs: schnell und günstig
Angesichts dieser Verschiebungen auf Seiten der Kunden, Banken und Versicherer, kommen die neuen digitalen Bancassurance-Lösungen genau zur richtigen Zeit. Weil die Entwicklung eigener Bancassurance-Plattformen oft sehr zeit- und kostenintensiv ist, greifen viele Banken und Versicherer bei der technischen Umsetzung auf die Kooperation mit Insurtechs bzw. Fintechs zurück.
Diese zumeist jungen Unternehmen können die Versicherungslösungen oft agiler, kundenzentrierter und günstiger umsetzen. Seit 2017 werden immer mehr solcher Kooperationen im Bancassurance-Bereich bekannt gegeben, an denen zwei und sogar drei Partner beteiligt sind: ein Versicherer als Produktanbieter, eine Bank als Vertriebskanal und oftmals ein digitaler Anbieter, der die technische Lösung bereitstellt.
Einige dieser Anbieter stellen White-Label-Plattformen zur Verfügung. Andere bieten individuelle Lösungen an. Und manche haben auch Lösungen im Angebot, bei denen White-Label-Komponenten mit maßgeschneiderten Komponenten kombiniert werden. Aktuell gibt es mindestens 37 dieser Kooperationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hier ein Überblick.
Digital Bancassurance: Bleiben Berater außen vor?
Angesichts der zunehmenden Anzahl an Kooperationen mit digitalen Lösungen, stellt sich die Frage, welche Rolle klassische Vermittler wie Bankberater oder Versicherungsvertreter in diesem Gefüge spielen. Zunächst einmal muss gesagt werden, dass die Insurtechs und Fintechs, die heute am digitalen Bancassurance-Markt aktiv sind, in der Regel ebenfalls Vermittler sind und viele auch mit klassischen Vermittlern zusammenarbeiten.
Nehmen wir zum Beispiel die Kooperation von Friendsurance mit der R+V Versicherung und den Volks- und Raiffeisenbanken, die nach dem “persönlich-digital” Prinzip funktioniert: Dabei gehen die selbstständige Nutzung des neuen VR-Versicherungsmanagers durch den Kunden mit einer persönlichen Beratung durch den R+V Berater in der Bankfiliale Hand in Hand.
Die Berater – und damit Kunden – profitieren gleich an mehreren Punkten von den neuen Beratungs- und Verwaltungstechnologien: Die Berater bekommen über die neue Messenger-Funktion eine zusätzliche Beratungsschnittstelle, über die sie schnell und unkompliziert kontaktiert werden können – das spart wertvolle Beraterzeit und gibt dem Kunden das Erreichbarkeits-Gefühl moderner Messenger-Dienste.
Bestandsaufnahme extrem vereinfacht
Auf Wunsch durchläuft der Berater gemeinsam mit dem Kunden den Registrierungsprozess. Durch die Erkennung von Versicherungsverträgen aus den Kontodaten und die automatische Anzeige im digitalen Versicherungsordner wird die Bestandsaufnahme extrem vereinfacht und das Ausfüllen von Formularen entfällt. Darüber hinaus profitiert der Berater von der automatischen Erkennung von Lebensereignissen, durch die neue und hilfreiche Gesprächsanlässe identifiziert werden.
Erhält beispielsweise ein Kunde auf einmal Kindergeld auf das Bankkonto, kann der Berater nachfragen, ob es Familienzuwachs gegeben hat, und Hilfestellung zur neuen Situation anbieten: Welche bestehenden Versicherungen müssen angepasst werden, wo kann Geld gespart werden und wo gibt es gegebenenfalls sogar staatliche Förderung für den Nachwuchs.
Wir gehen davon aus, dass es in Zukunft noch viel mehr situative und an den individuellen Bedarf angepasste Produkte geben wird. Die modernen Vertriebstechnologien können Beratern helfen, auch bei gesteigerten Kundenbedürfnissen immer vorne mit dabei zu sein.
Effiziente Erweiterung klassischer Beratung
Bei Friendsurance sind wir überzeugt, dass solche digital-persönlichen Beratungsansätze, die die Stärken klassischer, ganzheitlicher Beratung mit dem wachsenden Kundenwunsch nach einfachen, schnellen und digitalen Lösungen verbinden, zukunftsweisend sind. Wir glauben nicht, dass rein digitale Lösungen die Betreuung durch einen Berater in naher Zukunft komplett ablösen werden.
Besonders beratungsintensive Versicherungsprodukte und -situationen benötigen eine individuelle und tiefgehende Beratung. Reine Robo-Advisor können vieles, aber nicht alles – und schon gar keine individuellen Bedürfnisse oder Ängste der Menschen erfassen.
Daher verstehen wir Digital-Bancassurance-Plattformen als absolut zeitgemäße und wertschaffende Erweiterungen der traditionellen Beratungsprozesse in Banken in Bezug Versicherungen – keineswegs als Ersatz. Darin liegt auch ein Unterschied zu reinen Vergleichsportalen, die Versicherungen zumeist nach dem Preis optimieren und dadurch dem klassischen Berater die Provision abgraben.
Flexible Vertriebsmodelle für Vermittler
Was den Vermittlerstatus der Kooperationen aus unserer Übersicht angeht, so gibt es es etwa zu gleichen Teilen Tippgeber-Modelle, Vertreter- oder Mehrfachagenten- und Makler-Modelle. Die Tippgeber-Modelle sind unabhängig vom Vermittlerstatus und lassen sich unkompliziert umsetzen, sind dafür nicht wirklich tief integriert und das Kundenerlebnis damit begrenzt.
Bei Kooperationen in der Maklerschaft oder gebundenen Vertreterschaft wird in der Regel deutlich, wer der initiale Treiber hinter der bestehenden Zusammenarbeit ist. Geht die Initiative vom Versicherer aus, kommt eher ein Vertreter-Modell zum Tragen, das stärker dem Vertrieb der eigenen Produktpalette dient und auch der Ausschließlichkeitsorganisation als Werkzeug zur Seite gestellt werden kann.
Nimmt die Zusammenarbeit ihren Beginn bei den Banken, wird häufig der Vertrieb als Mehrfachagent oder Makler genutzt, was den Nutzern eine breitere Produktpalette eröffnet. Aus Sicht der Plattform-Anbieter sind diejenigen Anbieter klar im Vorteil, die Vermittlerstatus-agnostisch sowohl als Makler, Vertreter oder Mehrfachagent arbeiten und so verschiedene Kooperationsmodelle anbieten können.
Bancassurance hilft Kunden und Beratern
Zusammengefasst lässt sich sagen: Digitale Bancassurance ist eine Win-win-win-Lösung für alle: Die Kunden bekommen mehr Service und Komfort. Banken können das klassische Bankangebot mit digitalen Services sinnvoll abrunden. Versicherer und deren Berater können die Kontaktfrequenz mit ihren Kunden steigern und ihnen mit personalisierten Angeboten echte Hilfe im Leben eines Versicherten anbieten.
Autor Sebastian Langrehr ist CSO Market Strategy & Sales bei Friendsurance (www.friendsurancebusiness.com).
Foto: Alexander Klebe