„Viele Versicherer befinden sich aktuell noch in der notwendigen Erneuerung ihrer Kernsysteme. Diese Systeme sind sehr gut in der Verarbeitung von Masseninteraktionen wie Batches zur Erstellung von Masseninteraktionen. Sie bilden aber keine brauchbare Basis für eine kundenzentrierte Digitalisierung“, sagt Andreas Fensterer, Versicherungsexperte bei der Unternehmensberatung Q_Perior. Blau Direkt-Mann Papke ist davon überzeugt, dass vor dem Hintergrund des IT-Dilemmas der Branche Plattformen im Markt eine immer größere Bedeutung zukommen werde. Blau Direkt habe seit Jahren die Transformation von einem Maklerpool hin zu einem Transaktionsdienstleister vollzogen.
„Damit können wir heute mit offenen Schnittstellen und einer riesigen Dienstleistungsspanne fast jedes Geschäftsmodell unterstützen. Dabei verzahnen wir mit APIs die jeweiligen Systeme nahtlos. Normalerweise ist das sehr kompliziert, da kaum ein System so einfach mit dem anderen verbunden ist“, sagt Papke. Für Vermittlerinnen und Vermittler sei das so mühelos einfach wie Lego. „Man kann diese Dienstleistung einfach bei uns einkaufen – viel günstiger und auf dem neuesten Stand der Technik. Damit schaffen wir Freiräume, die für bessere Beratung und Service bei der Kundschaft genutzt werden kann.“
Auch JDC bietet seine Plattform-Technologie an. Laut Grabmaier sieht man sich damit gut aufgestellt. „Weil wir etwa über unsere Finanz- und Versicherungs-App „allesmeins“ und über unser innovatives Makler-Verwaltungsprogramm „iCRM“ sowohl Kunden als auch Vermittlern und Großkunden aus der Versicherungsbranche marktführende, digitale Tools zur Verfügung stellen. Damit können unsere Vertriebspartner ihren Kunden ein so genanntes „Financial Home“ bieten, über das sämtliche Finanz- und Versicherungsbelange für deren Kunden transparent angezeigt und abgewickelt werden können.
HDI-Vertriebsvorständin Schlick bestätigt die Aussagen der Maklerpools.
Der Digitalisierungstrend im Vertrieb von Bank- und Versicherungsprodukten beschleunige sich auch in Richtung Plattformenökonomie sowie den Auf- und Ausbau eigener Öko-Systeme, um die digitale Kundenschnittstelle nicht allein den Fintechs und Insurtechs zu überlassen. Hier zeichneten sich neue Kooperationsmodelle ab, die den Kundenbedürfnissen nach transparenten, einfachen und flexiblen Produkten und digitalen Services gerecht würden. Gerade die Kooperation mit Insurtechs sind wichtiger Bestandteil für den Erfolg der Versicherungsbranche geworden.
„Anfangs haben doch viele „Neue“ am Markt von Disruption gesprochen, man wolle den klassischen Versicherer, den klassischen Vertrieb angreifen. Nicht viel, im Grunde sehr wenig, hat davon funktioniert. Und dennoch haben die Insurtechs den etablierten Playern am Markt gezeigt, wo es Möglichkeiten gibt, entscheidende Dinge besser, schneller und kundenfreundlicher zu machen“, erklärt Neodigital-Vorstand Voss. Das Insurtech arbeitet inzwischen etwa mit der SDK oder der Bayerischen zusammen. „Dadurch gelingt es uns zudem, immer wieder sehr digitale und markt- unübliche Produkte zu entwickeln, wodurch wir uns vom Wettbewerb abheben“, bestätigt Martin Gräfer, Vertriebsvorstand der Bayerischen.
„Das Verhältnis zwischen Versicherern und Insurtechs hat sich verändert, als „new economy und „old economy“ begonnen haben, nicht als Konkurrenten aufzutreten, sondern voneinander zu lernen und sich zu ergänzen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Zusammenarbeit dann erfolgreich ist, wenn die Kooperation kontinuierlich und eng betreut wird. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die enge Verzahnung des strategischen Kooperations- und Innovationsmanagements mit den Sparten und dem Vertrieb“, ergänzt ALH-Vertriebsvorstand Frank Kettnaker.
Laut Guidewire ist gerade bei den großen Versicherern zu beobachten, dass klassische Versicherer und Insurtechs zunehmend strategische Partnerschaften schließen. „Um Zugang zu Innovationen zu erhalten“, sagt René Schoenauer, Director Produkt Marketing EMEA bei Guidwire. „Dazu gehören zum Beispiel die Optimierung von Geschäftsprozessen in Bestand und Schaden, die Förderung der Kundenakquise, die Anreicherung von Underwriting- und Schadenprozessen durch neuartige Daten und Analysen und ein effektiveres Risikomanagement.“
CBI Insights schätzt, dass seit 2017 rund 180 Partnerschaften zwischen Insurtechs und Versicherern sowie Rückversicherern wie Axa, Munich Re und Allianz geschlossen wurden. Das Wachstum sei so hoch, dass jedes Quartal etwa 20 bis 30 neue solcher Partnerschaften hinzukämen, so Schoenauer. Im Vergleich zu den großen Versicherern täten sich mittlere und kleinere Versicherer schwerer, Innovationen für sich zu nutzen.
„Hier bieten sich Marktplätze an, die Beratungsdienstleistungen und ergänzende Lösungen von Insurtechs sowie von anderen Partnern anbieten, die sich leicht in das bestehende Kernsystem und in die Organisation des Versicherers integrieren lassen. Auf diese Weise können Versicherer ihren Digitalisierungsgrad erhöhen“, sagt Schoenauer.
Wohin die Reise der Branche beim Thema Digitalisierung gehen könnte, zeigt eine Analyse der Unternehmensberatung Q_Perior. Die Versicherungsexperten haben vier Trends ausgemacht, die die Branche in den kommenden Jahren in der Entwicklung maßgeblich beeinflussen werden: Eingebettete Versicherungprodukte, Embedded Insurance, Ökosysteme, Open Insurance und Smart Contracts.
„Mit Digitalisierung einher geht auch das das essenzielle Thema Vernetzung. Diese beiden Aspekte zusammen sind der größte gemeinsame Nenner von Trends wie Embedded Insurance, Ökosystemen und Open Insurance. Wir gehen davon aus, dass diese Vernetzung immer weiter zunehmen wird und dadurch verschiedenste Branchen stärker miteinander zusammenarbeiten werden – beispielsweise, weil sie durch gemeinsame Kundenschnittstellen profitieren können.
Im Zuge der Interaktion verschiedenster Marktteilnehmer und durch modernisierte Systemlandschaften, spielen Innovationen wie Cloud und Smart Contracts eine große Rolle. Sie machen die Versicherungsbranche flexibler. All das zahlt auf eine höhere Kundenzentrierung und -zufriedenheit ein, was für die Branche einen enormen Stellenwert hat“, erklärt Q_Perior-Versicherungsexperte Fensterer. Eine Umfrage von Senacor Technologies zeigt, dass inzwischen neun von zehn Deutschen inzwischen online sind. Die Generation, die jetzt heranwächst, ist geprägt durch Smartphone, Laptop und Tablet.
Wer sich die aktuelle Vertriebswege-Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft anschaut, sieht das Versicherungsverträge immer häufiger digital abgeschlossen werden. Von 2019 bis Ende 2021 hat sich die Zahl der Online-Abschlüsse verdoppelt. Diese Entwicklung gilt insbesondere für Sach-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, also über eine App oder eine Webseite. Im Jahr 2020 waren es 14,6 Prozent und 2019 erst 9,4 Prozent. Häufig seien dies Versicherungen, die im Zusammenhang mit anderen Produkten gekauft würden – Stichwort Embedded Insurance.